Der Präsident des israelischen Parlaments, Amir Ohana, ist zu Gast bei seiner deutschen Kollegin Bärbel Bas in Berlin. Der Besuch steht unter dem Eindruck zunehmender Kritik am militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen.

Eine Analyse
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Vor dem Reichstagsgebäude haben sich ein paar Demonstranten eingefunden. "Stoppt die Waffenlieferungen" und "Völkermord" stehen auf ihren Transparenten. Sie protestieren gegen die deutsche Unterstützung Israels, das gerade einen Krieg gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen führt. Doch viele sind nicht gekommen - nur etwa zwei Dutzend Personen.

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An diesem Montag besucht der Präsident des israelischen Parlaments, Amir Ohana, Berlin. Am Vormittag hatte er Manuela Schwesig (SPD) im Bundesrat getroffen, dem die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern derzeit vorsitzt. Nun wird der 48-jährige Israeli von seiner Amtskollegin Bärbel Bas (SPD) im Bundestag begrüßt.

Beide Politiker haben in ihrer Funktion in erster Linie repräsentative Aufgaben und sind nicht Teil ihrer jeweiligen Regierung. In normalen Zeiten wäre ihr Treffen kein außergewöhnlicher Termin. Doch es sind keine normalen Zeiten, weder für Israel noch für die Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und Deutschland.

Amir Ohana: "Müssen die Hamas vernichten"

Bevor sie sich für ein vertrauliches Gespräch zurückziehen, überreicht Ohana seiner deutschen Kollegin ein Fotobuch. Darin sind die Zerstörungen abgebildet, die die Hamas am 7. Oktober in einigen Orten Israels angerichtet hat. Ende November war die Bundestagspräsidentin selbst vor Ort gewesen, um sich ein eigenes Bild zu machen. Auch damals in Begleitung von Ohana.

Der betonte in Berlin nun, Israel wolle den "Kreislauf der Gewalt" mit den Palästinensern beenden. "Dafür müssen wir die Hamas vernichten." Mit der Terrororganisation könne es keinen Frieden geben.

Vor ziemlich genau einem halben Jahr, am 7. Oktober 2023, wurde Israel von der Hamas überfallen. Dabei wurden über 1.000 Menschen ermordet und 250 in den Gazastreifen entführt. Seitdem herrscht wieder Krieg in Nahost. Nach verschiedenen Schätzungen sind mittlerweile etwa 30.000 Palästinenser getötet worden, ein großer Teil davon Zivilisten.

Der internationale Druck auf Israel wächst

Israel gerät international zunehmend unter Druck, seine Kriegsführung zu verändern: Zivilisten sollen besser geschützt und mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelassen werden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen forderte Ende März das erste Mal beide Kriegsparteien zu einem sofortigen Waffenstillstand auf.

In dieser Situation ist Amir Ohana zu einem wichtigen Erklärer israelischer Politik geworden. Das Mitglied des Likud, der Partei von Premier Benjamin Netanjahu, traf in den vergangenen Wochen unter anderem Vertreter der USA, Großbritanniens und Österreichs. Ohanas Mission: Für mehr Verständnis für Israels Vorgehen in Gaza werben.

Doch mittlerweile haben selbst die USA, Israels wichtigster Verbündeter, ihren Ton deutlich verschärft. Präsident Joe Biden erhöhte den Druck auf den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu so sehr, dass dieser sich gezwungen sah, die Öffnung weiterer Grenzübergänge nach Gaza für Hilfslieferungen anzukündigen.

Nun war auch für die deutsche Außenministerin der Moment gekommen, im Fahrwasser der Amerikaner härtere Worte gegenüber den Israelis zu wählen. "Wir erwarten, dass die israelische Regierung ihre Ankündigungen rasch umsetzt", schrieb Annalena Baerbock (Grüne) auf "X". "Keine Ausreden mehr."

Bundestag sprach Israel "volle Solidarität" aus

Für die deutsche Regierung bedeutet das eine merkliche Korrektur ihrer Rhetorik seit dem 7. Oktober. Lange schien Deutschland eines der ganz wenigen Länder, das auch noch Monate nach Beginn der israelischen Offensive in Gaza nur äußerst vorsichtig Zweifel an dieser äußerte.

Das diktatorisch regierte Nicaragua verklagt die Bundesrepublik sogar wegen Beihilfe zu einem mutmaßlichen Völkermord in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH). Der Grund: Deutschland liefert Waffen an Israel. Der Klage werden jedoch kaum Chancen ausgerechnet. Die Anhörung vor dem IGH im niederländischen Den Haag beginnt an demselben Tag, an dem Amir Ohana den Bundestag in Berlin besucht.

Das deutsche Parlament hatte sich zuletzt am 10. Oktober, also kurz nach dem Hamas-Angriff, offiziell zu dem Thema geäußert. Einstimmig nahmen die Parlamentarier aller Fraktionen damals eine Resolution an, in der Israel "volle Solidarität und jedwede Unterstützung" zugesagt wurde. Seitdem hat das gesetzgebende Haus keine von der Regierung unabhängige Position zum Krieg in Gaza mehr formuliert.

"Die Hamas muss sofort die Waffen niederlegen und alle Geiseln freilassen."

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas

Wer nun aber glaubte, Bärbel Bas würde ihrem israelischen Gast deutliche Kritik mit nach Jerusalem auf den Weg geben, musste sich enttäuscht sehen. Beim Pressestatement im Anschluss an das Gespräch war keine Spur von der neuen Strenge der deutschen Außenministerin zu spüren. Stattdessen zunächst glasklare Wort an Israels Kriegsgegner: "Die Hamas muss sofort die Waffen niederlegen und alle Geiseln freilassen", sagte Bas.

Die formal zweithöchste Politikerin des Landes sprach ausführlich die deutsche Verantwortung für Israels Sicherheit an, beklagte wachsenden Antisemitismus in Deutschland und beschrieb ihr Grauen angesichts des Massakers der Hamas am 7. Oktober. Israel, sagte Bas, verfolge das legitime Ziel, etwas Vergleichbares auf Dauer zu verhindern.

"Gleichzeitig blicken wir mit größter Sorge auf die humanitäre Situation der Menschen in Gaza." Bas hoffe, dass künftig beide Kriegsparteien mehr Hilfslieferungen in das Gebiet ermöglichten. Da war sie wieder, die zögerliche Kritik. Den Kern der Botschaft, den Bas an ihren israelischen Kollegen senden wollte, bildete aber ein anderer Satz: "Israel kann sich auf Deutschland als Partner verlassen."

"Wir müssen die Hamas vernichten, um jede einzelne Geisel zurückzubringen.“

Amir Ohana, israelischer Parlamentspräsident

Das nahm Amir Ohana dankend an. Er lobte die Bundesrepublik dafür, dass sie an der Seite Israel stehe und sich für die Freilassung der Geiseln einsetze. "Die ganze freie Welt muss sich dieser Aufgabe verpflichten", sagte Ohana, der sein Statement auf Hebräisch hielt.

Gegen die Hamas, betonte er, könne es nur einen absoluten Sieg geben. Andernfalls würde die Terrororganisation immer weiter versuchen, Israelis und Juden zu töten. Er wiederholte: "Wir müssen die Hamas vernichten, um jede einzelne Geisel zurückzubringen.“

Sollte Bas Zweifel an diesem Maximalziel der Israelis haben, sie behielt sie an diesem Tag für sich. Zumindest öffentlich.

Verwendete Quellen

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