• Vom neuen US-Präsidenten erhoffen sich Deutsche und Europäer bessere Beziehungen als unter Donald Trump.
  • Der Politikwissenschaftler Michael Kolkmann gibt zu bedenken: Joe Biden wird man Wünsche schlechter abschlagen können.
  • Beim Umgang mit China und Russland wird es weiter Konfliktpotenzial geben.

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Europa atmete auf, als Joe Biden nach der langen Übergangszeit endlich als 46. Präsident der USA im Amt war. Sein Vorgänger Donald Trump hatte die Partner diesseits des Atlantiks allzu häufig vor den Kopf gestoßen, die NATO als obsolet bezeichnet, Strafzölle verhängt. Mit Biden dagegen habe Europa wieder einen Freund im Weißen Haus, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Vieles deutet darauf hin, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Europa in den kommenden Jahren verbessern werden. Biden kennt den Kontinent aus seiner Zeit als Außenpolitiker im Senat und Vizeprädient gut und hat mit Antony Blinken einen Transatlantiker zum Außenminister gemacht.

Doch Freundschaften bringen immer auch Erwartungen mit sich. "Trump konnte man gerade wegen seines sehr spezifischen Politikstils noch Wünsche abschlagen", sagt Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle-Wittenberg, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bei einem Präsidenten Biden, der seine Forderungen freundlicher verpackt und auf Multilateralismus setzt, wird das sehr viel schwieriger sein."

Der Ton werde sich ändern zwischen den USA und den europäischen Partnern, so Kolkmann. "Die wichtigen Themen werden aber nicht von der Tagesordnung verschwinden. Trumps Motto war America first, unter Biden wird es vielleicht heißen: Problems first." Und an Problemen mangelt es derzeit nicht.

Unter Joe Biden: Sichtbarer in der Außenpolitik

Die amerikanische Gesellschaft ist gespalten, zudem hat die Corona-Pandemie auch Amerika fest im Griff. Mit mehr als 26 Millionen Infizierten und rund 440.000 Toten nimmt das Land traurige Spitzenplätze ein. "Biden wird sich stark auf die amerikanische Innenpolitik konzentrieren", glaubt Michael Kolkmann.

Trotzdem werde es zum Beispiel auch für Außenminister Antony Blinken und den Klimabeauftragten John Kerry Spielraum geben. "Unter Trump waren wichtige Posten gar nicht besetzt. In der Biden-Administration wird das Regierungshandeln breiter aufgestellt und verlässlicher sein – für die europäischen Partner aber auch fordernder", sagt Kolkmann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte Biden in der vergangenen Woche, dass Deutschland bei der Bewältigung internationaler Krisen gemeinsam mit den europäischen Partnern und den USA Verantwortung übernehmen werde. Die Debatte um die Verteidigungsausgaben der NATO-Mitglieder wird aber auch unter dem neuen US-Präsidenten andauern.

Die Staaten des Bündnisses haben sich verpflichtet, zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung auszugeben. Beschlossen wurde das Ziel 2014 bei einem NATO-Gipfel in Wales – Vizepräsident der USA war damals Joe Biden. Und Deutschland ist von diesem Wert noch immer weit entfernt.

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Joe Biden ändert den Kurs der USA: "Es gibt keine Zeit zu verlieren"

Als Nachfolger Donald Trumps im Amt des US-Präsidenten verliert Joe Biden keine Zeit, Beschlüsse der Vorgänger-Regierung rückgängig zu machen. Diese betreffen die Klima-, Migrations- und Coronapolitik der USA. (Teaserbild: Chip Somodevilla/Getty Images)

Konfliktpotenzial beim Umgang mit China und Russland

Vor allem im Umgang mit großen Mächten lauern Konflikte. Deutschland und die USA streiten seit Längerem über die Pipeline Nord Stream 2, die russisches Gas nach Mecklenburg-Vorpommern befördern soll.

Die Amerikaner befürchten, dass Deutschland sich damit in Abhängigkeit von Russland begibt – und wollen zudem ihr eigenes Gas in Europa verkaufen. Die amerikanische Politik lehnt das Projekt Nord Stream 2 daher parteiübergreifend ab.

Auch Joe Biden sei der Meinung, "dass Nord Stream 2 ein schlechter Deal für Europa ist", sagte seine Sprecherin Jen Psaki vor kurzem, wie der "Spiegel" berichtet. Möglich ist allerdings, dass seine Regierung in diesem Streit einen anderen Ton anschlagen wird als Donald Trump.

Dessen Administration hatte kurz vor der Amtsübergabe noch Sanktionen gegen ein russisches Unternehmen in Kraft gesetzt. Psaki dagegen kündigte dagegen an, die Regierung werde sich mit den europäischen Partnern über diese Frage beraten.

Beratungsbedarf gibt es auch im Umgang mit China. Amerika-Experte Kolkmann zufolge ist das Thema die große strategische Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Donald Trump hat mit Peking stets die Konfrontation gesucht.

Biden wird auch da womöglich einen anderen Ton anschlagen, doch in der Sache steht er China ebenfalls misstrauisch gegenüber. Während Trump weitgehend allein agierte, will sein Nachfolger auch in dieser Angelegenheit Europa auf seine Seite ziehen und eine Anti-China-Allianz schmieden.

Europäische Politiker sehen in Peking allerdings nicht nur einen Wettbewerber, sondern auch einen strategischen Partner. Der nüchternen Angela Merkel wird gar eine Faszination für den technologischen Fortschritt im Reich der Mitte nachgesagt.

"Es wird zwischen den USA und Europa Diskussionen über Menschen- und Arbeitnehmerrechte und über Umweltstandards geben", sagt Michael Kolkmann. "Das ist ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotenzial."

"Buy American" in der Wirtschaft

Im wirtschaftlichen Bereich stehen die Zeichen einerseits auf Entspannung: Joe Biden hat angekündigt, die von Donald Trump verhängten Strafzölle zum Teil zu überprüfen. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass die Verhandlungen über das amerikanisch-europäische Freihandelsabkommen TTIP schnell wieder aufgenommen werden.

Bidens Wahlkampfslogan "Buy American", kauft amerikanisch, unterscheidet sich nur wenig von Trumps "America first". "Wirtschaftlich wird Biden zunächst die heimischen Betriebe stärken wollen, statt vor allem auf Freihandel zu setzen", sagt Michael Kolkmann. "Das wäre allerdings unter keinem Präsidenten anders gewesen."

Abzuwarten bleibt, wie sich Biden beim Thema Big Tech verhält: Europa fordert schon länger, dass große Digitalkonzerne wie Google, Amazon und Facebook stärker besteuert werden. Frankreich hat das bereits gemacht und damit den Zorn der Amerikaner auf sich gezogen.

Die neue US-Finanzministerin Janet Yellen hat bei ihrer Anhörung im Senat gesagt, dass die Regierung auch hier auf Multilateralismus setze. Möglicherweise wird sie über ein internationales Abkommen auf dem Gebiet zumindest reden wollen.

USA und Klimaschutz: Vom Bremser zum Vorreiter?

Eine der wichtigsten Kehrtwenden hat Biden beim Thema Klimaschutz vollzogen: Die USA haben sich unter ihm wieder dem Pariser Klimaabkommen anschlossen. Zudem hat der Präsident seinem Land das ehrgeizige Ziel verordnet, bis zum Jahr 2050 CO2-neutral zu sein.

Die USA können also ein Verbündeter werden, wenn es um den Klimaschutz geht. Möglicherweise setzen sie Europa sogar unter Zugzwang, sagte Lutz Weischer von der Organisation Germanwatch dem Online-Magazin "Euractiv": "Jetzt werden auch in Washington wieder Maßstäbe gesetzt, mit denen man sich vergleichen lassen muss."

Joe Bidens langjährige Erfahrung im US-Senat wird ihm zugutekommen – auch bei so großen Herausforderungen wie dem Klimaschutz. Allerdings sind seine Aufgaben gewaltig, die Stimmung im Land ist aufgeheizt, die Mehrheiten der Demokraten in den beiden Kongresskammern knapp.

Viele Hoffnungen seien durchaus berechtigt, sagt Michael Kolkmann. "Doch wie bei vielen anderen neuen Präsidenten gilt auch bei ihm: Die Erwartungen sind sehr, sehr hoch – und in gewisser Hinsicht werden sie auch enttäuscht werden."

Über den Experten:
Dr. Michael Kolkmann ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle-Wittenberg. Seine Schwerpunkte sind die politischen Systeme Deutschlands und der USA. 2005 veröffentlichte er ein Buch zur Handelspolitik im US-Kongress.

Verwendete Quellen:

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