Der Freitag hatte weltweite Klimademonstrationen und ein nationales Klimapaket gebracht. Die Demonstranten hatten viel Applaus bekommen und die Politik überwiegend vernichtende Kritiken. Kein Wunder, dass es in Anne Wills Talkshow am Sonntagabend genauso weiterging.

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Was war das Thema?

"Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung – großer Wurf oder große Enttäuschung?", so formulierte Anne Will ihr Thema, doch Medien und Opposition hatten längst die Antwort gegeben: Von großem Wurf keine Rede, von großer Enttäuschung um so mehr. Eigentlich lautete die spannendste Frage des Abends: Wie würde sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) gegen all die Kritik zur Wehr setzen?

Wer hat bei "Anne Will" gefehlt?

Olaf Scholz (SPD) hätte eigentlich dabei sein müssen. Es wäre nur gerecht gewesen, wenn auch der Vizekanzler und Finanzminister seinen Kopf hingehalten hätte, um die Rundum-Schelte mitzutragen, die Peter Altmaier 60 Minuten lang allein aushalten musste. Soviel Koalitionsdisziplin wäre angemessen gewesen!

Das waren die Gäste bei "Anne Will":

Ottmar Edenhofer (58), Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgen, hat die Bundesregierung im Vorfeld der Entstehung des Klimapakets intensiv beraten und ist nun intensiv enttäuscht: Ob Deutschland mit dem am Freitag verabschiedeten Paket seine Ziele erreichen könne, lautete Anne Wills Eingangsfrage – Edenhofer beantwortete sie mit einem klaren Nein. Der niedrige Preis für CO2-Erzeugung werde zu keinen Verhaltensänderungen bei den Bürgern führen, die übrigen von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen seien nicht aufeinander abgestimmt, würden sich sogar gegenseitig neutralisieren.

Angela Merkels Vorbemerkung bei der Vorstellung des Klimapaketes, Politik sei "das, was möglich ist", setzte er entgegen, die Regierung habe es nicht verstanden, das Notwendige möglich zu machen.

Auch Claudia Kemfert (50), Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, findet das Klimapaket "enttäuschend", stellte aber fest, es sei "zumindest mal ein Anfang gemacht". Die getroffenen Beschlüsse müssten dringend "nachgeschärft" werden, gut sei es also, dass das geplante "Monitoring" ohnehin vorsehe, dass jedes Jahr nachjustiert werde.

Der stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit", Bernd Ulrich (geb. 1960), vermag den von Angela Merkel verkündeten "Paradigmenwechsel" nicht zu sehen: "Nein, das verdient keine Anerkennung", lautete sein barsches Urteil, dem er seine eigene Definition eines Paradigmenwechsels anfügte: Um das Pariser Klimaabkommen vom Dezember 2015 zu erfüllen, sei eine technologische, infrastrukturelle und kulturelle Wende in Deutschland nötig.

Annalena Baerbock (38), Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, polemisierte, beim Klima­paket sei es den Beteiligten mehr ums Koalitions- als ums Weltklima gegangen. Erwartungsgemäß vermisst sie im Klimapaket den entschiedenen Systemwechsel weg von der fossilen Energie hin zu erneuerbaren Energien ebenso wie ordnungspolitische Maßnahmen und Vorgaben – etwa eine Abschaffung des Verbrennungsmotors in den nächsten zehn Jahren.

Die Frage, wie ihre Partei im Bundesrat mit den Gesetzesinitiativen für das Klimapaket im Einzelnen umgehen werde, lässt sie unbeantwortet.

Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmeier (61), CDU konnte einem in dieser Runde bisweilen fast leidtun – aber er wehrte sich tapfer, sein souverän-gelassener Umgang mit viel und harscher Kritik war geradezu bewundernswert.

Inhaltlich allerdings hatte er den Kritikern wenig mehr entgegenzusetzen als das immer wieder vorgebrachte Argument, härtere als die angekündigten Maßnahmen würden gerade die "kleinen Leute" auch am härtesten träfen.

Was war das Rededuell des Abends?

Ein Volltreffer war Bernd Ulrichs Antwort hierauf: Der Journalist zeigte sich verwundert, dass gerade die Unionsparteien, die sonst stets die Kräfte der freien Marktwirtschaft als Problemlöser darstellten, nun ausgerechnet beim Klimaschutz regelmäßig den Schutz der "kleinen Leute" in den Vordergrund stellten. "Seit Jahren" versuche die Politik im Namen der "Armen" Benzin, Flüge und Fleisch billig zu halten.

Doch billig gegessen, geflogen und Autogefahren werde auch von den Wohlhabenden. Ebenso bitter war das Resümee von Ottmar Edenhofer: Die Vorschläge seines Institutes hätten gerade den sozialen Ausgleich ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt – doch die Berücksichtigung auch dieses Aspekts lasse im Klimapaket "sehr zu wünschen übrig".

Wie war Anne Will?

Die Moderatorin schwamm spürbar mit auf den Wellen der Enttäuschung und Empörung über das Klimapaket. Das ist ihr nicht zu verübeln – mehr kritische Fragen in Richtung Annalena Baerbock hätten trotzdem nicht geschadet, konkretere Antworten zur Strategie der Grünen bei den bevorstehenden Klima-Verhandlungen im Bundesrat wären interessant und aufschlussreich gewesen, auch wenn sie wieder hineingeführt hätten ins vielgeschmähte "Klein-Klein" der Realpolitik.

Was war das Ergebnis?

Altmaier kämpfte allein gegen vier starke Kritiker. Sein einziger Rettungsring an diesem Abend war das vielgepriesene "Monitoring": Zum verabschiedeten Klimapaket gehört die Überprüfung der Auswirkungen durch unabhängige Experten.

So sollen alle Maßnahmen regelmäßig geschärft, nachjustiert, angepasst werden können, das Klimapaket soll dadurch besser und wirkungsvoller werden. Es dürfte wohl zur Strategie der Regierung gehören, Kritikern gegenüber auf diese flexible Veränderbarkeit der Maßnahmen hin­zu­weisen.

Gewinner des Abends waren trotzdem die Kritiker – und die "Fridays for Future"-Bewegung, die viel Applaus bekommt. Die Regierung dürfte sich in den kommenden Tagen eher vorkommen wie Peter Altmaier bei Anne Will: in anhaltender Defensive.

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