• Deutschland will in Mali und im Niger "Krisen verhindern, Konflikte bewältigen und den Frieden fördern". Das sagen zumindest die Leitlinien der Bundesregierung. Entspricht das deutsche Engagement diesen friedenspolitischen Zielen?
  • Eine neue Studie sagt: Nein. Den neun Ministerien, die vor Ort aktiv seien, mangele es an einer gemeinsamen Strategie und an ausreichendem Verständnis der lokalen Gegebenheiten.
  • Studienautorin Simone Schnabel erklärt im Interview, was sich ändern muss.
Ein Interview

Frau Schnabel, Sie sind eine der Autorinnen der Studie "Friedenspolitische Kohärenz im deutschen Regierungshandeln: Lehren aus Mali und Niger". Das deutsche Engagement erhält darin kein gutes Zeugnis. Noch einmal zur Erinnerung: In welchen Formen engagiert sich Deutschland in Mali und Niger?

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Simone Schnabel: Die Bundesregierung engagiert sich in vielfacher Hinsicht in Mali und im Niger. Sie ist mit neun Ressorts aktiv, dazu zählen das Auswärtige Amt, das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Ministerium der Verteidigung, aber auch das Innenministerium und das Ministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz. Hauptziel der Bundesregierung ist die Stabilisierung. In diesem Sinne beteiligt sich Deutschland etwa an der UN-Mission "MINUSMA", investiert in die Ertüchtigung der Streitkräfte, in polizeiliche Zusammenarbeit und leistet humanitäre Hilfe.

Kommt das hierzulande auch so an?

Nein, die deutsche Debatte dreht sich sehr stark um die militärische Zusammenarbeit. Es geht darin viel zu wenig um den Inhalt und das Mandat des Einsatzes. Die Bundeswehr macht zum Beispiel in Mali etwas anderes als in Afghanistan. Das Bundeswehrkontingent innerhalb von MINUSMA spielt eine wichtige Rolle in der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen in den Konfliktgebieten. Für die Menschenrechtssituation vor Ort wäre es fatal, wenn die Bundeswehr in Mali einfach abgezogen werden würde.

Beschränkung auf punktuelle militärische Operationen

Trotzdem gibt es aus Ihrer Sicht Probleme mit dem Engagement im Niger und in Mali?

Ja, das Ziel der Stabilisierung ist als Konfliktlösungsstrategie zu kurz gedacht. Das internationale Engagement baut zu wenig auf den historisch gewachsenen, strukturellen Ursachen der politischen Krisen in den Ländern auf. Man versucht in Mali einen Staat zu stabilisieren, der in seiner Beschaffenheit Teil des Problems ist. Die staatliche Präsenz in den Konfliktzonen beschränkt sich vor allem auf punktuelle militärische Operationen. Das reicht nicht, um die vermeintliche Sicherheit zu halten. Schlimmer noch, die Streitkräfte selbst sind immer wieder in Menschenrechtsverbrechen gegen die eigene Bevölkerung verwickelt. Darüber hinaus müsste es ein ehrliches Angebot vonseiten dieses Staates und eine Perspektive für die Menschen geben. Die Gewalt breitet sich auch deshalb aus, weil in den von jihadistischen Gruppierungen besetzten Gebieten den Menschen mitunter mehr geboten wird, als der Staat jemals fähig war. Hier greifen die militärischen Maßnahmen zur Stabilisierung zu kurz – es müsste noch viel mehr auf die landesspezifischen Ursachen der Krisen eingegangen werden.

Woran liegt es, dass das nicht passiert? Ist das eine Art kulturelle Blindheit, ist es Absicht?

Man kann es vielleicht so zusammenfassen, dass beide Seiten, sowohl die malische als auch die internationalen Partner zur jetzigen Situation beigetragen haben. Als Anfang 2013 Frankreich auf Bitten der malischen Regierung militärisch interveniert hat, konnte sozusagen das Schlimmste verhindert werden, der weitere Vormarsch bewaffneter Rebellen aus dem Norden auf die Hauptstadt Bamako. Daraufhin wurde das militärische Engagement immer weiter ausgebaut, und es floss auch immer mehr Geld in zivile Projekte. Was man nicht oder viel zu wenig gemacht hat, war, versprochene Reformen des Staatsapparats nachzuhalten, insbesondere auch innerhalb der malischen Streitkräfte, etwa um die massive Korruption zu bekämpfen, aber auch die Armee zu öffnen für andere Bevölkerungsgruppen. Es gab eine Dynamik des 'immer mehr' der militärischen, aber auch der zivilen Zusammenarbeit, ohne kritisch zu fragen, ob dieses Engagement wirklich zur Befriedung der Konflikte beiträgt.

Was könnte Deutschland anders machen?

Unsere Studie zeigt, dass sich das deutsche Engagement viel zu wenig am friedenspolitischen Leitbild der Bundesregierung orientiert. Darin steht, dass das Primat der Politik und der Vorrang der Prävention handlungsleitend für das Engagement in Krisen- und Konfliktkontexten sein sollte. Übersetzt heißt das in etwa: Der politische Dialog und die dauerhafte Arbeit an einer langfristigen Befriedung müssen an erster Stelle stehen. Bisher wird das Primat der Politik aus Sicht der Bundesregierung vor allem dadurch umgesetzt, dass man sich, anders als die Franzosen, nicht kämpfend beteiligt. Sondern auch die Bundeswehr vor Ort lediglich 'zivile' Aufgaben wahrnimmt, wie beispielsweise die Ausbildung von Soldaten, und das militärische Engagement mit zahlreichen Entwicklungsprogrammen flankiert wird. Das ist aber zu kurz gedacht. Würde die Bundesregierung ihrem selbst gesetzten Anspruch folgen, dann müsste sie eine zivile Konfliktlösung als oberstes strategisches Ziel verfolgen. Das hieße nicht unbedingt, alles andere, was sie dort tut, sein zu lassen, es würde jedoch dazu beitragen, das eigene Engagement regelmäßig zu überprüfen, inwieweit es überhaupt zu einem nachhaltigen Frieden beiträgt und es gegebenenfalls anzupassen.

Welche Empfehlungen geben Sie konkret für Mali und für Niger?

Um langfristig Frieden zu fördern, müsste Deutschland, aber auch die internationalen Partner, viel stärker nationale und lokale Strukturen zur Konfliktlösung fördern. Das schließt lokale Dialogprozesse auch mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren in den Regionen mit ein. Der Schutz der Menschenrechte müsste noch viel stärker in den Fokus des Engagements rücken, beispielsweise durch die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und einer landesweiten Justiz, um die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen zu gewähren. Im Niger ist der regelmäßige Austausch mit der Zivilgesellschaft über die Hauptstadt hinaus und unter Einbezug auch traditioneller und religiöser Autoritäten wichtig, um auch die sogenannten 'Nebenwirkungen' der vermeintlichen Stabilität im Land – die staatliche Repression gegen Oppositionelle und Demonstranten – mehr auf dem Radar zu haben.

Wie bewertet die lokale Zivilgesellschaft das deutsche Engagement?

Deutschland genießt in Mali und im Niger einen guten Ruf – anders als Frankreich, als ehemalige Kolonialmacht. Die positive Wahrnehmung konzentriert sich aber vor allem auf die bevölkerungsnahen Aktivitäten, etwa in der Landwirtschaft. Vertreterinnen und Vertreter der lokalen Zivilgesellschaft, mit der unsere Forscherkollegen – Baba Dakono und Dr. Abdoul Karim Saidou – vor Ort gesprochen haben, sehen diesen langfristigen und an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Beitrag als wichtigsten für nachhaltigen Frieden. Das sicherheitspolitische Engagement etwa im Rahmen der EU und UN – das, worüber in Deutschland am meisten diskutiert wird – wird gar nicht als deutscher Beitrag gesehen oder teilweise im Widerspruch zum Leitbild der Bundesregierung. Aus lokaler Perspektive müsste Deutschland mehr für den Schutz der Menschenrechte und die Bekämpfung der Straflosigkeit tun, um das friedenspolitische Leitbild von 2017 umzusetzen.

"Bundesregierung sollte viel stärker in zivile Konfliktlösungsansätze investieren"

Wie kann man dabei in die Prävention von Konflikten investieren?

Konfliktprävention heißt nicht nur, Gewalt dort zu verhindern, wo sie noch nicht ausgebrochen ist. So wird es aber aktuell im deutschen Engagement vor allem gelebt. Prävention ist vielmehr eine strukturelle Daueraufgabe, die verlangt, jedwedes Handeln in Krisenkontexten an den lokalen und historisch bedingten Ursachen des Konflikts anzusetzen. Eine der zentralen Krisenursachen in Mali ist die Straflosigkeit der politischen Eliten und die mangelnde, zivile Aufarbeitung von Konflikten durch den Staat und seine Justiz. Die Bundesregierung sollte viel stärker in zivile Konfliktlösungsansätze investieren, wie lokale und nationale Strukturen der Konfliktregulierung. Das schließt auch die Möglichkeit ein, mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren in den Dialog zu treten. Bislang war das in Mali kaum möglich – die französische Regierung hatte vorgegeben, dass zum Beispiel nicht mit den Dschihadisten verhandelt werden darf, daran musste sich im Gegenzug auch die malische Regierung halten. Die nigrische Regierung ist da viel aktiver.

Welche Relevanz hat die Studie mit Blick auf das gescheiterte militärische Engagement in Afghanistan?

Es war der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr und der Interventionskontext war ein anderer. Allerdings fehlte es auch in Afghanistan an einer politischen Strategie, die die länderspezifischen Bedingungen und Ursachen des Konflikts berücksichtigt. Das Engagement orientierte sich stark an den Logiken der durchführenden Akteure. Auch hier müsste die Bundesregierung mehr investieren, um die lokalen Konfliktkontexte besser zu verstehen, beispielsweise durch den politischen Dialog, auch über die Hauptstädte hinweg. Würde man das tun, würde sich auch die Wirkung des deutschen Engagements besser bewerten lassen und negative Wechselwirkungen innerhalb des deutschen und internationalen Engagements kämen schneller ans Licht.

Negative Wechselwirkungen zwischen Instrumenten – was bedeutet das?

Beispielsweise hat das EU-Engagement zum Aufbau eines polizeilichen Grenzschutzes auch dazu geführt, dass Menschen an der Grenze zwischen Niger und Nigeria nun weniger handlungsfähig sind, um auf die lokalen Folgen des Klimawandels zu reagieren.

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Kann man sagen: Deutschland macht überall die gleichen Fehler?

Das wäre zu pauschal, denn es hat sich seit Afghanistan auch viel getan, vor allem was die Koordination und Abstimmung zwischen den Ministerien und die Einigung auf gemeinsame Ziele angeht. Was aber stimmt: Auch in Mali und Niger baut das Engagement nicht auf den länderspezifischen und historisch bedingten Ursachen der Konflikte auf. So werden in den aktuellen Diskussionen auf EU-Ebene um eine mögliche Ausweitung des militärischen Engagements in Niger viel zu wenig die lokalen Konsequenzen dieses Handelns auf die Förderung nachhaltigen Friedens reflektiert. In Niger formiert sich bereits jetzt, wie auch schon in der Vergangenheit, lokaler Protest gegen den Ausbau einer militärischen Zusammenarbeit mit Frankreich, der von Regierungsseite mit Repression und Gewalt unterdrückt wird. Genau solche Konsequenzen vorausschauend zu berücksichtigen, verlangen die 2017 verabschiedeten Leitlinien.

Über die Expertin: Simone Schnabel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Zuvor war sie Beraterin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) für Mali. Schnabel studierte Politikwissenschaft und Lateinamerikanistik.

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Verwendete Quelle:

  • Schnabel, Simone; Witt, Antonia (2022): Friedenspolitische Kohärenz im deutschen Regierungshandeln: Lehren aus Mali und Niger. Herausgegeben vom Beirat der Bundesregierung Zivile Krisenprävention und Friedensförderung. Studie 5. Berlin.
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