Schon die Gästeauswahl verspricht eine polarisierende Debatte bei Anne Will. In dieser sparen die Politiker nicht mit Konfrontation. Der österreichische Außenminister wettert gegen die Deutschen. Die Deutschen wettern zurück. Ein slowakischer Talk-Show-Stammgast schießt völlig über das Ziel hinaus.

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Was ist das Thema?

Vor dem Gipfel in Brüssel am Montag ist die Situation an der Grenze von Griechenland zu Mazedonien dramatisch. Polizeieliteeinheiten marschieren auf und halten Flüchtlinge teils mit Tränengas von den Durchgängen fern.

Die Grenzen auf der Balkanroute seien weitgehend geschlossen, weil die österreichische Regierung Kontingente beschlossen habe, heißt es im Einspieler zur Talkshow "Anne Will".

Es ist nur einer von mehreren Seitenhieben in Richtung der österreichischen Bundesregierung, die prominent vertreten ist. ARD-Journalistin Anne Will fragt: "Ist Europa noch zu retten?"

Wer sind die Gäste?

Sebastian Kurz, ÖVP, österreichischer Außenminister. 29 Jahre jung, von drahtiger Statur, adrett zurück gekämmte Haare. Er ist der Polit-Star aus Österreich. Und er ist gewappnet für die Diskussion mit den älteren und erfahreneren Politikern der Runde.

"Man sollte vorsichtig sein, uns Österreichern einen Vorwurf zu machen", sagt Kurz und mit Blick auf die Bilder in Mazedonien: "Wir sollten nicht glauben, dass es ohne diese Bilder geht."

Die Europäische Union dürfe sich "nicht voll und ganz der Türkei ausliefern". Zu einer Umverteilung der Flüchtlinge urteilt Kurz: "Es ist unmöglich, wenn ein Flüchtling mal nach Deutschland oder Österreich gekommen ist und dort eine Wohnung bekommen hat, den wieder nach Polen oder in die Slowakei zu bekommen."

Heiko Maas, SPD, Bundesjustizminister. Die Zuschauer sehen einen nachdenklichen und in sich gekehrten Minister, der sachlich, aber bestimmt argumentiert. "Einzelne Staaten können das Migrationsproblem nicht lösen", sagt er zu Kurz.

"Wir wollen eine Lösung mit der Türkei, die die Außengrenze sichert. Und wir müssen den Griechen helfen. Wir können sie nicht alleine lassen."

Der 49-Jährige geht wiederholt seinen österreichischen Kollegen an, warnt vor nationalstaatlichen Lösungen, die "der Anfang vom Ende der EU" seien.

Katrin Göring-Eckardt, B‘90/Die Grünen, Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Sie spricht sich für eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage aus und wettert nach Kräften gegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei.

Im Falle von Einzellösungen, wie in Österreich geschehen, sei "Europa verloren. Europa muss bereit sein für eine gemeinsame Lösung." Sie hält es für vermessen, zu glauben, "dass uns die Türkei vor Flüchtlingen bewahrt".

Richard Sulik, SaS, slowakischer Europa-Abgeordneter. Der 48-Jährige polarisiert mit seiner gewohnt aggressiven und drastischen Wortwahl. Will möchte von ihm wissen, ob er es korrekt findet, dass Polizisten mit Tränengas gegen Flüchtlinge vorgehen.

Sulik: "Die Polizisten müssen handeln. Wenn sie (die Flüchtlinge, d. Red.) es nicht akzeptieren, muss man schießen und Gewalt anwenden."

Europa müsse geschützt werden, meint er. Göring-Eckardt will wissen, wovor. Sulik: "Vielleicht feiern Sie das nächste Mal Silvester in Köln, dann wissen Sie wovor." Der Slowake ruft viel Kopfschütteln hervor.

Wiederholt verweist Sulik auf das Beispiel Spanien. "Spanien hat die Grenze abgeschottet", sagt er. "Letztes Jahr gab es elf Tote an der Grenze zu Marokko." 2.900 Tote habe es indes an der europäischen Außengrenze gegeben. Es ist ein geschmackloser Vergleich.

Katja Kipping, Die Linke, Parteivorsitzende. Sie redet oft dazwischen und warnt, wer will es ihr verdenken, vor Rechtspopulisten. Ihr Vorschlag: Mit Anleihen fair verteilt die Lösungen zur Flüchtlingskrise finanzieren.

Wie diese Lösungen aussehen sollen, lässt sie aber unbeantwortet. Es ist typisch für die Flüchtlingspolitik der Linken, die in diesem Feld seit Monaten keine sonderlich gute Figur abgibt.

Kipping argumentiert widersprüchlich. Zwar prangert sie, sicher zurecht, Menschenrechtsverletzungen durch die Türkei an, sagt dann aber: "Die Türkei rettet vor den Küsten Menschen vor dem Ertrinken."

Was war das Rede-Duell des Abends?

Maas gegen Kurz. Ihre krass unterschiedliche Auffassung ist alarmierend, bedenkt man, dass deutsche und österreichische Bundesregierung in dieser Frage in den kommenden Jahren eng zusammenarbeiten müssen.

"Eine Obergrenze ist keine Lösung" sagt Maas. Kurz echauffiert sich, geht in den Monolog: "Ich habe mit dem türkischen Außenminister telefoniert. Für ihn ändert unsere Obergrenze nichts. Österreich hat 90.000 Asylsuchende aufgenommen, pro Kopf mehr als Deutschland. Ich verstehe nicht, wofür wir kritisiert werden. Jüngst wurde in einer deutschen Talk-Show über die Ösis gescherzt." Harmonie sieht wahrlich anders aus.

Was war der Moment des Abends?

Als sich Sulik über die EU auslässt. Achtung, der Mann ist Europapolitiker. "Die Europäische Kommission hat geschlafen", sagt er. "Man sollte Griechenland ausschließen und zwar auch gleich aus der Eurozone."

Griechenland habe Verpflichtungen nicht eingehalten, wettert er und verteidigt die Slowakei, die null, richtig: null, Flüchtlinge aufnehmen möchte. Eine Milliarde Euro zahle diese in die EU ein, bekomme umgekehrt drei Milliarden Euro.

Sulik meint: "Dieses Geld hat Korruption in unser Land gebracht. Schaffen Sie dieses Geld ab, aber bitte drohen Sie nicht damit." Er irritiert. Auch Bundesjustizminister Maas: "Wissen Sie, was ich heuchlerisch finde? Alle Vorteile der EU zu kassieren und wenn es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, sich weg zu ducken."

Bemerkenswert ist, wie wenig manche Mitglieder offenbar noch auf die EU halten.

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Durchwachsen. In der Debatte ist nicht wirklich ein roter Faden zu erkennen. Jeder darf mal Dampf ablassen, so wirkt es. Entsprechend sind auch die Gäste ausgewählt. Zumindest hält sie diese einigermaßen im Zaum.

Was ist das Ergebnis?

Österreicher und Deutsche liegen mit Start des Gipfels zu weit auseinander, um auch nur annäherungsweise auf einen Nenner zu kommen.

Die gegenseitigen Anschuldigungen hoher Regierungsvertreter erinnern vielmehr an die scharfe Konfrontation während des Herbstes. Beide Bundesregierungen sollten sich schleunigst aufeinander zu bewegen.

Doch dazu müsste jemand einlenken. Und danach sieht es im Moment gar nicht aus.

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