Verloren und doch gewonnen: Die Volksparteien CDU und SPD schnaufen in der Wahl-Runde von Anne Will einmal tief durch. Grünen-Chef Robert Habeck gibt den "Ossi-Versteher", Alexander Gauland von der AfD versucht wieder einmal, die Opferkarte zu bedienen. Und ein Journalist gibt eine gewagte Prognose ab.

Eine Kritik

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Dank eines erfolgreichen Schlussspurts sind die Volksparteien bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland zumindest mit einem blauen Auge davon gekommen.

In Brandenburg kann Ministerpräsident Dietmar Woidke von der SPD trotz Verlusten für seine Partei für weitere fünf Jahre regieren, in Sachsen setzte sich Amtsinhaber Michael Kretschmer von der CDU durch.

Dennoch bedeuten 26,2 Prozent für die Brandenburger SPD und 32,1 Prozent für die Sächsische CDU den schlechtesten Wert seit 1990.

Was ist das Thema bei "Anne Will" nach den Wahlen?

In beiden Ländern holte die AfD mit neuen Rekordergebnissen bei den Landtagswahlen (Sachsen: 27,5 Prozent, Brandenburg: 23,5 Prozent) jeweils den zweiten Platz – was die Regierungsbildung erheblich erschwert, da alle Parteien Bündnisse mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen haben.

In Sachsen wäre eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen die einzig realistische Option, in Brandenburg dürfte es zu einer rot-rot-grünen Regierung kommen.

Anne Will diskutierte mit ihren Gästen über die Landtagwahlen in den beiden Ostländern und die Folgen.

Wer sind die Gäste?

  • Manuela Schwesig (SPD): Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und kommissarische Parteivorsitzende forderte mehr Engagement für den Osten, weil "es jetzt ernst ist". Sie bemängelte insbesondere, dass es noch keine Einigung bei der Grundrente gab. Aus ihrer Sicht ein wichtiges Instrument, um für von Armut bedrohte Menschen ein Signal zu setzen. Schwesig betonte zudem die Bedeutung des direkten Bürgerkontakts, d.h. sich in den Dörfern auch mal "in die Turnhalle zu stellen".
  • Reiner Haseloff (CDU): Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt wehrte sich dagegen, die Erfolge der AfD als rein ostdeutsches Problem zu betrachten. Auch im Westen habe es schon gute Wahlergebnisse gegeben, außerdem stammten viele führende AfD-Politiker aus Westdeutschland. Eine "Fokussierung und Verengung auf Ostdeutschland möchte ich nicht zulassen", sagte Haseloff. Trotzdem treibt ihn die Frage um: "Warum tickt der so anders? Warum tickt der so komisch?" Gemeint war der ostdeutsche Wähler. Haseloff sah in den gebrochenen Versprechen von gleichen Löhnen und Renten eine Ursache des Problems.
  • Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne): Der Grünen-Chef sieht die großen Parteien in Sachsen und Brandenburg nun in der Pflicht, eine Koalition zu bilden, die nicht von der AfD toleriert wird. Die Partei wird in seinen Augen nicht für Lösungen gewählt. "Sie braucht die Krise." Auch Habeck bemängelte den fehlenden Respekt vor den Lebensleistungen der Ostdeutschen, was bei vielen zu Frust geführt habe. Eine Grafik zeigte wenig später, dass sich 66 Prozent der Ostdeutschen immer noch als Bürger zweiter Klasse fühlen.
  • Alexander Gauland (AfD): Der Fraktions- und Parteivorsitzende der AfD sieht seine Partei auf dem besten Weg, die CDU im Osten als bürgerliche Volkpartei abzulösen. "Wir sind keinesfalls am Zenit" sagte er. Gauland rechnet in Sachsen mit einer Revolte an der CDU-Basis, sollte es in Koalitionsverhandlungen mit den Grünen zu harten Kompromissen kommen. Auf Wills Frage, warum auch ein großer Teil der AfD-Wähler sagt, die Partei distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen, reagierte Gauland gereizt. Das habe nichts mit tatsächlichen rechtsextremen Positionen in seiner Partei zu tun, sondern damit, dass die Medien der AfD ständig solche Positionen unterstellen würden. Einige der Studio-Zuschauer reagierten auf diese Opferhaltung mit Kopfschütteln.
  • Melanie Amann (Journalistin): Die Leiterin des Hauptstadt-Büros des "Spiegel" beobachtet in der Ost-AfD eine zunehmende Radikalisierung. Leute wie der brandenburgische Spitzenkandidat Andreas Kalbitz, der zum völkischen Flügel der AfD gehört, hätten im Westen nicht so viel Anklang gefunden.
  • Martin Machowecz (Journalist): Viele Menschen im Westen hätten keine Ahnung davon, wie verloren manche Ostdeutsche für die Politik seien, stellte der Leiter des "Zeit"-Büros in Leipzig fest. Machowecz behauptete, es sei in letzten 28 Jahren "zu wenig über den Osten debattiert worden". Und er prophezeite, dass die Ost-Wahlergebnisse als eine Art Seismograph für den Rest des Landes funktionieren könnten. "Der Westen sollte sich nicht so sicher fühlen". Soll heißen: Wahlergebnisse wie in Sachsen oder Brandenburg seien auch dort in Zukunft nicht ausgeschlossen.

Was war das Rededuell des Abends?

Der meistbenutzte Begriff der Sendung war vermutlich "bürgerlich". Die AfD würde mit der CDU in Sachsen gern eine "bürgerliche Koalition" schmieden, sagte Gauland. "Sie sind nicht bürgerlich, Herr Gauland", erwiderte Schwesig – und meinte vermutlich, dass die AfD in Wahrheit rechtspopulistisch oder rechtsextrem sei. "Doch, ich bin mein ganzes Leben bürgerlich gewesen, entfuhr es Gauland, langjähriges Mitglied der CDU.

Schwesig ließ nicht locker: "Ihre Partei tut so, als ob sie bürgerlich wäre. Ihr Spitzenkandidat in Brandenburg ist mit Rechtsextremisten marschiert" Gauland ließ das nicht gelten: "Andreas Kalbitz ist kein Rechtsradikaler."

Nun mischte sich "Spiegel"-Frau Amann ein: "Er ist kein Rechtsradikaler, er ist ein Rechtsextremer". Gauland widersprach erneut: "Er ist auch kein Rechtsextremer."

Was war der Moment des Abends?

Klare Worte von CDU-Ministerpräsident Haseloff an den eigenen Rechtsaußen-Flügel. Dass die "WerteUnion" am Wahlabend die Grünen als "linksradikal" bezeichnet hatte, kommentierte er so: "Ich empfinde das im Prinzip als widerlich."

Wie hat sich Anne Will geschlagen?

Ein etwas fahriger Abend der Gastgeberin. "Weil sie seit 100 Jahren dort arbeiten", sagte sie zu Beginn der Sendung zu Haseloff. Es war nicht ersichtlich, auf welche 100 Jahre Will genau anspielte. "Gut gehalten!", war Haseloffs lockere Antwort.

Bei Gauland hätte Will an anderer Stelle mehr nachhaken können, als er rechtextreme Positionen der AfD leugnete. Dabei gibt es aus den letzten Jahren unzählige Beispiele für Entgleisungen, die den demokratischen Konsens verlassen haben. Aber womöglich wollte sie durch eine nicht zu harte Haltung auch der Opferhaltung Gaulands keine weitere Nahrung geben.

Was ist das Ergebnis?

Für Haseloff ist klar, dass die Große Koalition jetzt liefern muss. Denn sie hat am Wahlabend auch viele geliehene Stimmen von Wählern auf sich vereint, die die AfD als stärkste Kraft unbedingt verhindern wollten. Andernfalls würden diejenigen, die Kretschmer und Woidke nun geholfen haben, "uns wieder von der Fahne gehen. Dann fangen wir wieder von vorne an", so Haseloff.

Zudem erteilte er der Zusammenarbeit mit der AfD eine klare Absage, obwohl sich fast die Hälfte der Ostdeutschen eine schwarz-blaue Koalition durchaus vorstellen kann.

Grünen-Chef Habeck zieht aus dem Wahlergebnis folgenden Schluss: "Die Zeit, wo Großparteien sich einen kleinen Partner suchen, ist vorbei."

Und "Zeit"-Journalist Machowecz warnte vor zu breiten Parteien-Bündnissen gegen die AfD. Wenn die Bürger das Gefühl hätten, es gebe einen Block gegen die AfD und die AfD sei der andere Block, "dann macht das der AfD den Wahlkampf sehr einfach".

Doch er kann der Wahl – gerade in Sachsen – auch etwas Positives abgewinnen. "Wenn man sieht, wie aufgewühlt dieses Land vor fünf Jahren war, dann ist dieses Ergebnis, das wir heute kriegen, fast ein kleines Wunder", sagte er.

Habeck bejahte das vehement. Machoweczs Fazit: Diese "erste und letzte Chance" müsse die Politik nun ergreifen. Und damit schloss auch Will ihre Wahl-Runde, in der ganz große Kontroversen – dieses Mal zumindest – ausblieben.

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