Was tun gegen die vierte Welle? Bei "Hart aber Fair" lobt sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn selbst und lehnt eine Impfpflicht ab. Ein Arzt rechnet mit Tausenden schweren Verläufen bei Kindern.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es gibt Neuauflagen, die braucht kein Mensch. Die Groko zum Beispiel, da sind sich wohl alle einig, sollte ab 26. September für einige Jahre von der Bildfläche verschwinden. Die vierte Corona-Welle , mindestens genauso verzichtbar, lässt sich wohl leider nicht mehr verhindern. Bei "Hart aber Fair" sucht Frank Plasberg nach Wegen aus der Dauerkrise: "Coronapolitik im Bürgercheck: Was muss jetzt passieren?"

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Doch statt an Lösungen sind die anwesenden Politiker eher an Schuldzuweisungen interessiert, was den Gastgeber auf die Palme bringt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spendiert eine Runde Eigenlob, ein Arzt warnt vor den Folgen der fehlenden Strategie für Kinder und Jugendliche.

Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"

  • Eine explosive Stimmung wittert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften. "Wir müssen aufpassen, dass aus den Spannungen nicht Spaltung wird." Deswegen sei er gegen eine Impflicht.
  • "Ich bin gespannt, ob der nächste Minister dieses Versprechen halten kann", orakelt "Spiegel"-Journalistin Melanie Amann. Zumindest für bestimmte Berufsfelder rechnet sie mit einer Impfpflicht.
  • FDP-Generalsekretär Volker Wissing empfindet den Vorschlag, die Corona-Tests für Ungeimpfte kostenpflichtig zu machen, als gebrochenes Versprechen der Bundesregierung: "Sie hat gesagt, es darf keine Impfpflicht geben, also auch keine mittelbare Impfpflicht."
  • Linkspartei-Chefin Janine Wissler kritisiert den fehlenden Schutz für die Schulen: "Das ist der zweite Sommer hintereinander, in dem es kein Konzept gibt. Lüften ist kein Konzept."
  • "Mir ist nicht klar, was die Strategie ist", sagt Cihan Çelik, Oberarzt auf der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt. Wenn an Berliner Schulen schon keine Kontaktketten mehr nachverfolgt würden, laufe es wohl auf Durchseuchung hinaus – bei zehn Millionen Kindern wären das tausende Fälle, auch wenn nur unter zwei Prozent langfristige Symptome aufweisen.

Das ist der Moment des Abends

So ein bisschen könnte man den Eindruck gewinnen, die Behörden haben mit den Gratis-Bratwürsten zur Impfung so langsam alle guten Ideen verschossen, wie man Impfmuffel an die Spritze bringt. Der richtige Zeitpunkt also, von Motivation auf den guten alten Druck umzusteigen?

Per Video-Einspieler legt Bernhard Schneider von der Evangelischen Heimstiftung einen flammenden Appell für eine Impfpflicht im medizinischen Bereich hin. "Wer sich in den letzten Monaten nicht hat impfen lassen, wird es auch jetzt nicht tun", sagt Schneider. Ein "Hilferuf", meint Plasberg. Will der Bundesgesundheitsminister ihn nicht hören?

Spahn räumt ein, dass gerade im Pflegebereich die ganz persönliche Entscheidung für oder gegen die Impfung schwerwiegende Auswirkungen auf viele Patienten haben kann und deshalb "die ethische Kategorie eine andere ist". An seiner Entscheidung gegen eine Impfpflicht ändert das nichts: "Ich habe Sorge, dass wir sonst viele auf dem Weg verlieren."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Es wäre natürlich politischer Selbstmord, etwas anderes zu sagen, also betont Jens Spahn, wie wichtig ihm die Kinder seien. "Es soll nicht nach dem Motto laufen: Die Erwachsenen sind geimpft, bei den Kindern lassen wir es einfach mal durchrauschen."

"Aber das machen wir doch gerade", rufen Melanie Amann und Janine Wissler im Chor, auch Plasberg hakt nach: Wäre es nicht ehrlicher zu sagen, die Durchseuchung beginnt gerade? Die Zahlen aus NRW legen es nahe: In Wuppertal liegt die Inzidenz bei Jüngeren schon bei 770.

Spahns Antwort, zusammengefasst: Nicht meine Schuld. Er sei "viel kritisiert" worden für die Beschaffung von Masken und Tests, "ich mag unkonventionell und pragmatisch gehandelt haben, in der Not war es vielleicht auch teuer, aber es war da". Eine gute 2 also, die sich der Bundesgesundheitsminister ins eigene Zeugnis schreibt. Für die Länder hat er nur ein "ungenügend" parat: "Wenn ich so Masken beschafft hätte wie Lüftungsgeräte beschafft werden ..."

"Spiegel"-Journalistin Melanie Amann mag Spahn nicht so einfach aus der Verantwortung entlassen: "Erst waren Sie zu langsam beim Schutz der Alten, jetzt beim Schutz der Kinder." Ihr Argument: Spahn traue sich nicht, den Ungeimpften "was zuzumuten", deswegen auch die Scheu vor einer Impfpflicht. "Den Preis zahlen die Kinder (…), die sind die Verfügungsmasse der Politik."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

In Schutz nimmt den Bundesgesundheitsminister ausgerechnet Frank Plasberg – gar nicht so sehr aus inhaltlichen Gründen, sondern weil der Gastgeber nicht zu viel Zeit mit der Frage verlieren will, wer an den Fehlern von einst die Schuld trägt.

Als Spahn sich selbst gegen die Vorwürfe von FDP-Mann Volker Wissing wehren will, fährt Plasberg auch ihm in die Parade: "Herr Spahn, provozieren Sie es nicht, dann dauert es noch länger. (…) Herr Spahn, lassen Sie es doch mal stecken!" An dieser Stelle eine Anregung: Wer keinen politischen Streit in seiner Sendung will, sollte vielleicht keine Politiker einladen.

Das ist das Ergebnis

Andererseits wollen die Zuschauer vielleicht auch wissen, was sie von den Parteien erwarten können, denen sie am 26. September ihre Stimme geben. Die FDP zum Beispiel regt eine Party an, einen "Tag der Freiheit" am 3. Oktober, um das Ende der Pandemie zu feiern. Generalsekretär Volker Wissing versteht das als Erinnerung daran, dass die Regierung in die Normalität zurückkehren wollte, wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht wurde. Vielleicht hätte sie dazu sagen müssen, dass auch genug Menschen dieses Angebot annehmen müssen.

Rund zehn Prozentpunkte fehlen noch, schätzt der Bundesgesundheitsminister. Ansonsten drohe eine "Pandemie der Ungeimpften" und eine Belastung, wenn nicht eine Überlastung für das Gesundheitssystem.

Das klingt nach der nächsten Neuauflage, die niemand braucht: "Ich weiß, was Du letzten Sommer nicht gegen Corona getan hast."

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