Mit seiner Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, hat der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine alte Debatte wiederbelebt. Denn dass diese Debatte noch lange nicht tot ist, zeigt die Sendung "Hart aber fair", bei der leidenschaftlich darüber gestritten wurde.
"Mag sein, dass die Debatte nervt, aber sie trifft auch einen Nerv", leitet Moderator
Besonders bemerkenswert: Vier der fünf Gäste bei "Hart aber fair" haben einen Migrationshintergrund - ganz im Gegensatz zur aktuellen Bundesregierung. Hier hat lediglich
Von Quoten-Migranten im Kabinett hält
In der neu entfachten Debatte verteidigt Joachim Herrmann seinen CSU-Parteikollegen: "
Der sich in der Vergangenheit bei diesem Thema nicht immer glücklich ausdrückende Herrmann (Stichwort:
Trotzdem dürfe man die Gewalt, die im Namen des Islam verübt werde, nicht verleugnen, auch wenn dies nicht die Mehrheit der Muslime repräsentiert.
"Ich bin stolz darauf, Deutsche zu sein"
Zu den knapp vier Millionen Muslimen in Deutschland gehört Du’A Zeitun. Die Streetworkerin trägt Kopftuch, arbeitet für die katholische Kirche und engagiert sich für den Dialog unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen.
Sie ist Ansprechpartnerin für die Sorgen und Probleme junger Muslime. Dabei trifft sie auch Jugendliche, die sich fragen, ob sie Deutsche sein können, wenn sie ein Kopftuch trügen.
Zeitun ermuntert sie, Deutschland als Heimat anzunehmen, wenn sie dies so empfänden: "Du bist in Deutschland, du hast hier die Freiheit, dich für oder gegen das Kopftuch zu entscheiden."
Die in Deutschland geborene Pädagogin nervt die Frage "Wo kommst du her?" selbst, die ihr immer wieder gestellt werde. "Ich bin stolz darauf, Deutsche zu sein", sagt Zeitun. Für sie hat Integration zwei Seiten. Beide müssten sich weiterentwickeln, nur so lasse sich "gemeinsam ein buntes Deutschland gestalten".
"Im Ausland bin ich das 'German Girl'", erzählt Stand-up-Comedian
Sie verweist darauf, dass es beispielsweise in den USA auch radikale christliche Gruppen als "negative Beispiele für das Christentum" gebe. Daher sollten beim Thema Islam auch nicht nur Saudi-Arabien oder der Iran betrachtet werden.
Welchen Anteil trägt die Religion an der Gewalt?
Amani gibt den Medien die Schuld daran, dass der Islam in Deutschland zu einem "Feindbild" gemacht werde. So sei beim Vorfall am Sonntag in Münster in der Berichterstattung ausdrücklich betont worden, dass der Täter scheinbar "psychisch gestört" sei.
"Für mich ist jeder Selbstmordattentäter ein psychisch gestörter Mensch!", ruft Enissa Amani aufgebracht. Der norwegische Attentäter Anders Breivik habe sich auf die Bibel bezogen. "Aber kein Mensch hat gesagt, dass er Christ ist!", redet sich Amani in Rage.
Ihr Einwand schneidet eine schwierige Frage an: Wann ist eine Tat politisch oder religiös motiviert, wann spielen persönliche oder gesellschaftliche Gründe eine Rolle, wann ist die Grenze für eine psychische Störung überschritten? Bei Gerichtsprozessen sind sich die psychologischen Gutachter wie im Fall Anders Breivik nicht immer einig.
Plasberg erweitert die Frage um noch eine weitere Kategorie: Handelt es sich bei sogenannten "Ehrenmorden", die sich auf die Scharia berufen, um islamisch motivierten Taten oder um Familientragödien?
Im Gegensatz zu Amani will der Buchautor Hamed Abdel-Samed, der für seine kritische Haltung zum Islam bekannt ist, nicht ausschließen, dass der Islam bei solchen Taten eine Rolle spielt.
Er zitiert eine Studie, wonach türkische Mädchen doppelt so häufig Selbstmord begehen wie gleichaltrige deutsche Mädchen. "Reden wir über solche Probleme anstatt über symbolische Debatten", fordert er.
Für Abdel-Samed ist eine komplette Integration in Deutschland und eine strikte Auslegung des Islam nicht vereinbar: "Man kann nicht in diesem Land ankommen, wenn man das Wertesystem des Islam 1:1 umsetzt."
Für Grünen-Politiker Cem Özdemir ist religiöser Fanatismus nicht auf den Islam beschränkt. Doch er führt ihn vor allem auf die Frage zurück, wie Texte, die vor Jahrhunderten geschrieben worden sind, ausgelegt werden: im Kontext der damaligen Zeit oder wortwörtlich?
"Wenn beides zusammen kommt, eine rückständige Interpretation der Religion und mangelnder Bildungszugang, dann haben wir ein Problem", sagt Özdemir. Von der Bundesregierung fordert er eine härtere Politik gegen islamistische oder sich in diese Tendenz entwickelnde Staaten. Vor allem den Waffen-Deal mit Saudi-Arabien prangert er an.
Wie steht es um die Integration in Deutschland?
Nach einer in der Sendung vorgestellten Umfrage unter Deutschtürken der Universität Münster fühlen sich 90 Prozent der Befragten in Deutschland wohl. Dennoch glaubt jeder Zweite, dass er von der deutschen Gesellschaft nicht anerkannt wird.
Bei Plasberg vertreten zwei Gäste dazu ganz unterschiedliche Meinungen: Die Optimistin Amani glaubt an ein "tolles, neues Deutschland", für das Multikulti ganz normal ist. Als Beispiel nennt sie die deutsche Entertainment- und Musikszene, die von vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund geprägt wird.
Für Amani ist das deutsche Grundgesetz das Maß aller Dinge für das Zusammenleben: "Gottseidank haben wir diese wunderbare Verfassung."
Der Pessimist Abdel-Samed hält Amani für naiv und wirft ihr Jammern auf hohem Niveau vor: "Ihr klagender Ton ist unerträglich." Moderator Plasberg muss immer wieder zwischen beiden schlichten.
Nach Meinung des Autors mit dem aktuellen Buchtitel "Integration: Protokoll des Scheiterns" (Amani: "Ich lese Ihr Buch bestimmt nicht!") werden die Parallelgesellschaften in Deutschland größer.
Abdel-Samed verweist auf die höhere Arbeitslosigkeit unter Migranten und Defizite in der Bildung. Insbesondere türkische und arabische Gruppen würden, auch im Vergleich zu anderen Einwanderungsgruppen wie etwa Vietnamesen, schlechter abschneiden.
Der Autor behauptet jedoch, dass dies nicht nur am sozialen Hintergrund läge, sondern auch am mangelnden Willen. "Es reicht nicht zu sagen, ich fühle mich in Deutschland wohl. Die Mafiafamilien fühlen sich auch in Deutschland wohl", meint Abdel-Samed.
Der Staat müsse in den Migrantenvierteln das Gewaltmonopol zurückholen, auch die Schulen müssten mehr Integrationsarbeit leisten.
Trotz allem sieht der Politologe aber auch Fortschritte in der Integration, vor allem, weil die deutsche Gesellschaft offener werde. Als er Student in Bayern war, habe es beispielsweise nur Roberto Blanco in den Medien gegeben.
Zudem solle man sich nicht nur auf den Islam konzentrieren: "Wir glauben immer, dass Muslime nur über den Islam integrierbar sind", sagt Abdel-Samed. "Aber Muslime sind auch Menschen mit vielen Facetten."
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