Eigentlich wollte Louis Klamroth am Montagabend bei "Hart aber fair" über die Bedeutung des Ukraine-Kriegs für die Bundestagswahl sprechen. Doch die Diskussion kippte relativ schnell zur Frage, wie die richtige Außen- und Sicherheitspolitik für Deutschland aussehen sollte. Für die Zuschauer kein Verlust, schließlich bekam man so einen Überblick über die verschiedenen Positionen – und auch schon ein kleines bisschen Wahlkampf.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Am Sonntagabend war Wirtschaftsminister Robert Habeck bei Caren Miosga zu Gast und kritisierte Olaf Scholz für dessen Zögerlichkeit bei den Hilfen für die Ukraine. Scholz’ Bedenkzeit habe "permanent zu Entscheidungen geführt, die wir später revidiert haben. Und Entscheidungen, die man revidiert, hätte man natürlich auch vorher schon treffen können", erklärte Habeck. Da trifft es sich gut, dass Louis Klamroth nur einen Tag später genau diese Entscheidungen zum Thema bei "Hart aber fair" macht.

Mehr aktuelle News

Das war das Thema bei "Hart aber fair"

"Angst vor der Eskalation: Entscheidet der Ukraine-Krieg die Wahl?", fragt Louis Klamroth am Montagabend zu Beginn der Diskussion und tatsächlich sollten seine Gäste auch darüber sprechen – zumindest anfangs. Dann aber kippt die Gesprächsrunde von der Bundestagswahl weg hin zur Frage nach der richtigen Unterstützung der Ukraine. Das scheint auch den Verantwortlichen bei der ARD im Nachhinein aufgefallen zu sein, denn in der ARD-Mediathek findet man die Sendung nun unter dem neuen Titel "Angst vor der Eskalation: Neue Waffen für die Ukraine?"

Mit diesen Gästen diskutierte Louis Klamroth

  • Norbert Röttgen (CDU): Röttgen ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und wirbt für weitere und weitreichendere Unterstützung der Ukraine. Sollte Trump tatsächlich die Hilfe für die Ukraine einstellen, "dann wird zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg europäische Sicherheit von den Europäern organisiert werden müssen", prophezeit Röttgen. Zu Scholz’ Aussage, die Bürger hätten einen Anspruch auf Besonnenheit, sagt Röttgen: "Erstens haben die Bürgerinnen und Bürger Anspruch auf Besonnenheit. Meine Beobachtung ist nur, dass es in Deutschland nicht nur eine Person gibt, die besonnen ist." Scholz Worte seien daher "eine Art von Manipulationsversuch in der öffentlichen Debatte", so Röttgen.
  • Ralf Stegner (SPD): Stegner ist ebenfalls Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und unterstützt Bundeskanzler Scholz in dessen Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. "Zu glauben, wir müssen nur genug Waffen liefern und dann wird das schon, ist ein Irrtum", glaubt Stegner. Über die Diskussion über den richtigen SPD-Kanzlerkandidaten sagt Stegner: "Man hätte das professioneller machen können und müssen."
  • Felix Banaszak (B‘90/Grüne): Der neue Co-Bundesvorsitzende der Grünen sagt über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern: "Was ist denn das tatsächliche Eskalationsrisiko und ist nicht diese vermeintliche Besonnenheit eigentlich das Risiko? Nämlich dass sich dieser Krieg immer weiter in unsere Richtung ausweitet." Zur Möglichkeit, dass die Ukraine mit Taurus auch Moskau erreichen könne, fragt Banaszak: "Warum sollte man ausgerechnet nach diesen 1.000 Tagen, wo sich die Ukraine an jede Verabredung gehalten hat, wo Herr Selenskyi auch weiß, in dem Moment, in dem er nur einmal irgendeine Verabredung bricht, er nicht eine weitere Waffe von irgendwem geliefert bekommen wird, warum sollte man ihm dann mehr misstrauen als Wladimir Putin?"
  • Ines Schwerdtner (DIE LINKE): Schwerdtner ist Co-Parteivorsitzende ihrer Partei und sagt zum Vorwurf, Scholz würde Ängste bei den Menschen schüren: "Die Mehrheit der Bevölkerung hat doch nicht Angst, weil der Kanzler ihnen das sagt oder nicht. Sie halten doch nicht die Leute für so dumm. Sondern die verstehen doch, dass es eine Eskalation gibt, wenn es weitreichende Raketen gibt, dass es dann Reaktionen gibt und dass es dann auch die Möglichkeit von einer nuklearen Bedrohung gibt. Die Menschen verstehen das doch. Wir müssen sie doch nicht für dumm verkaufen."
  • Nicole Deitelhoff: Die Professorin für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforscherin schätzt den Krieg Russlands als nicht wahlentscheidend ein. Über die Weigerung, Taurus-Marschflugkörper zu liefern, sagt Deitelhoff: "Die Entscheidung, den Taurus nicht zu liefern, […] ist sicherlich nicht dadurch begründet, dass hier Nato-Personal involviert ist in diesen Krieg. Das ist es nämlich längst, weil Nato-Strukturen längst für beispielsweise Aufklärungsarbeit genutzt werden. Das alles passiert längst. Am Ende sei die Weigerung eine politische Entscheidung, aber keine die in signifikanter Weise mit den Risiken dieses Waffensystems zu tun hat."
  • Alev Doğan: Die stellvertretende Chefredakteurin von "The Pioneer" stellt fest, dass die SPD bei der Wahl zwischen Scholz und Pistorius nicht an einem Narrativ gearbeitet habe, warum Scholz geeigneter sei als Pistorius, "sondern der andere hat zurückgezogen". "Das finde ich wahnsinnig schlecht gemacht", urteilt Doğan. Zum jetzigen Zeitpunkt ergebe eine Diskussion über Taurus keinen Sinn, denn "dieser Mann hat jetzt schon zig mal gesagt, er wird das nicht liefern und er wird es nicht liefern und ich gehe davon aus, er wird es nicht liefern", sagt Doğan über Kanzler Scholz.
  • Vassili Golod: Golod ist Ukraine-Korrespondent der ARD und aus Kiew zugeschaltet. "Es sind Drohnen unterwegs", berichtet Golod und auch, dass deshalb gerade Luftalarm in Kiew und anderen Teilen des Landes herrsche. "Das führt zu einer großen Verzweiflung in der ukrainischen Gesellschaft", so Golod. Die Marschflugkörper würden der Ukraine sehr bei ihrer Verteidigung helfen, daher könne man hier die Weigerung Scholz’ nicht verstehen, erklärt Golod und sagt: "Es wäre ja aus Sicht eines angegriffenen Staates, der abhängig ist von Unterstützung, nahezu idiotisch, etwas zu tun, was die Gefahr birgt, keine Unterstützung mehr zu bekommen."

Das Rededuell des Abends

Louis Klamroth fragt Friedensforscherin Deitelhoff, ob der BSW und AfD den Friedensbegriff für sich besetzt hätten. Deitelhoff bejaht und sagt: "Das liegt daran, dass nicht nur die SPD, sondern auch die anderen großen Parteien, also auch die FDP, auch die CDU und ehrlich gesagt auch die Grünen haben den Friedensbegriff liegen gelassen." Diese Parteien hätten kaum Konzepte entwickelt, wie das aussehen könnte.

Dass weder AfD noch BSW einen solches Friedenskonzept haben, erwähnt Deitelhoff allerdings nicht, aber es ist Felix Banaszak, der sich als erster gegen Deitelhoffs Behauptung wehrt. Ziel der Grünen sei der Frieden in der Ukraine, "aber der Frieden entsteht nicht, indem man sich vor einem imperialen Aggressor in den Staub wirft und so tut, als wäre Besonnenheit, sich möglichst nicht zu positionieren, sich möglichst zurückzuziehen."

Norbert Röttgen will die Aussage Deitelhoffs, AfD und BSW hätten den Friedensbegriff für sich besetzt, ebenfalls nicht stehen lassen: "Die beiden Parteien, die die Lobbyisten dieses Kriegstreibers sind, sind die Parteien AfD und BSW. Und dass hier irgendeiner in Deutschland den Eindruck hat, jedenfalls eine Mehrheit dieses Landes, dass diese beiden Parteien Friedensparteien sind, ist eine wirkliche Ungeheuerlichkeit, von der ich glaube, dass sie mit der Realität in diesem Land, nichts zu tun hat."

Das Zitat des Abends

Ralph Stegner hält Olaf Scholzs Ausrichtung im Wahlkampf auf Friedenspolitik für einen Vorteil und verknüpft die Begründung geschickt mit einem Seitenhieb gegen die fehlende Regierungserfahrung von Friedrich Merz: "Die Leute werden sagen: Wollen wir lieber einen Bundeskanzler haben, der gezeigt hat, dass er auch in so einer schwierigen Situation besonnen und zurückhaltend ist oder wollen wir jemanden haben, der noch nicht einmal eine Kreisverwaltung im Sauerland geleitet hat, aber sagt: die Waffe muss noch her und die Waffe muss noch her?"

So schlug sich Louis Klamroth

Für die Rahmenbedingungen gut. Mit sechs Gästen im Studio und dem zugeschalteten Vassili Golod hatte Louis Klamroth gut zu tun, jedem Gast ausreichend das Wort zu geben. Das funktionierte allerdings nur zum Teil, einige Male zu oft unterbrach Klamroth seine Gäste, weil die Zeit drängte oder er zum nächsten Thema kommen wollte. Theoretisch hätte jeder Teilnehmer knapp neun Minuten Sprechzeit gehabt, aber eben nur theoretisch. In der Praxis gab es dann doch eine zeitliche Unwucht, Leidtragende war vor allem Ines Schwerdtner, die vergleichsweise wenig zu Wort kam.

Klamroth war also unter Spannung, das Ganze irgendwie zu managen, und die nachträgliche Änderung des Themas gibt Aufschluss darüber, dass es Klamroth dabei offenbar nicht immer gelungen ist, seinen roten Faden beizubehalten. Ist das schlimm? Nein, denn es ist immer besser, flexibel zu sein und sein Konzept der Diskussion anzupassen, als umgekehrt. Außerdem blieb Klamroth dabei trotzdem aufmerksam, was etwa Ralph Stegner zu spüren bekam.

Stegner behauptet nämlich, es mache erstens zeitlich keinen Sinn mehr, der Ukraine vor Amtsantritt Trumps noch so viel Hilfe wie möglich zukommen zu lassen und zweitens sei die Strategie der Waffenlieferungen nicht erfolgreich gewesen. Da grätscht zuerst Nicole Deitelhoff dazwischen: "Das liegt aber auch daran, dass wir immer zu wenig zu spät gegeben haben."

"Wir liefern deutlich mehr als Italien oder Großbritannien", versucht Stegner, sich zu rechtfertigen, doch hier legt Louis Klamroth sofort den Finger in die Wunde: "Die Frage ist ja nicht, ob’s zu wenig ist, sondern ob’s genug ist."

Das war das Ergebnis des Abends

Wenn man sich von der Diskussion eine Antwort auf die Frage des Abends "Entscheidet der Ukraine-Krieg die Wahl?" erwartet hatte, hätte man nach einer knappen Viertelstunde einen Haken dran machen können. Da sagt nämlich Nicole Deitelhoff: "Wenn wir uns nur die letzten drei Wahlen in den ostdeutschen Landtagen anschauen, dann sieht man, dass Außen- und Sicherheitspolitik nicht wahlentscheidend waren, ganz im Gegenteil." Stattdessen sieht Deitelhoff damals wie auch für die Bundestagswahl folgende "Hauptschlachtfelder": "Migration, innere Sicherheit und soziale Sicherheit."

Sollte man sich von der Debatte hingegen eine Art Konsens erwartet haben, dürfte man enttäuscht sein. So eine Erwartung wäre aber auch arg gutgläubig, denn für einen Konsens sind Polit-Talkshows nicht gemacht. Zumindest gab es noch keine Show, in der einer der Gäste am Ende seine Meinung geändert hat. Stattdessen geht es den Gästen darum, ihre Meinung, Botschaft oder auch nur ihre Einschätzung abzuliefern. Das wiederum funktionierte am Montagabend wunderbar, so dass der Zuschauer vor der Bundestagswahl die verschiedenen Positionen zum Ukraine-Krieg kennenlernen konnte – falls das nach 1.000 Tagen Krieg noch nicht passiert sein sollte.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.