Russlands Angriffskrieg läuft alles andere als nach Plan. Das setzt Putin unter Druck und der Kriegstreiber reagiert mit erzwungenen Referenden, einer Mobilmachung und neuen Atomwaffendrohungen. Daher diskutiert Frank Plasberg am Montag bei "Hart, aber fair" die Frage, wie weit Putin noch gehen wird. Ein Abend mit vielen Antworten und einem Kommunikationsproblem.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Putin blufft nicht". Das sagt der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, über die jüngsten Atomwaffendrohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dementsprechend fragt Frank Plasberg am Montagabend bei "Hart, aber fair": "Alles auf eine Karte: Wie hoch pokert Putin noch?"

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Mit diesen Gästen diskutiert Frank Plasberg bei "Hart aber fair"

  • Kevin Kühnert (SPD): Der SPD-Generalsekretär sieht die Mobilmachung als einen "Akt des Eingeständnisses von militärischen Teilniederlagen." Dennoch sei die Einschätzung, wann aus einer Teilniederlage eine Niederlage werde, schwierig, genauso wie die Einschätzung, wann Putin wie eskaliert: "Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten."
  • Serap Güler (CDU): Güler ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und erinnert an die Reihe von Putins Drohungen mit Atomwaffen: "Ich will nichts banalisieren, aber diese ständige Drohung mit der Atomwaffe ist eigentlich seine größte Waffe. Das Spiel mit der Angst."
  • Wolfgang Ischinger: Ischinger war von 2008 bis 2022 Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Er glaubt, dass Putin mit der Mobilmachung sein eigenes Risiko erhöht hat, denn jetzt plötzlich werde es für immer mehr Russen ernst: "Er verknüpft im Prinzip seine Karriere, seine Mission als Präsident Russlands mit diesem Kriegsverlauf."
  • Claudia Major: Die Militärexpertin geht davon aus, dass die Mobilmachung kurzfristig nichts bewirken werde. Man dürfe sich aber nichts schönreden, denn sie sende zwei Signale. Zum einen, dass Putin weiter eskaliert und zum anderen, dass er bereit ist, den Krieg noch lange zu führen. "Er bereitet sich mit diesen Truppen auf die Frühjahrsoffensive 2023 vor." Aus beiden Signalen müsse man nun die richtigen Schlüsse ziehen.
  • Udo Lielischkies: Der Journalist leitete von 2014 bis 2018 das ARD-Hauptstadtstudio in Moskau. Über die Reaktionen der Russen auf die Mobilmachung sagt er: "Die Mehrheit der Russen war bisher eine schweigende, eine unpolitische und eine eher opportunistische." Man habe Putin in Ruhe gelassen und umgekehrt. Die Mobilmachung sei nun ein Weckruf: "Da ist wirklich in fast jeder Familie große Panik."
  • Erdal Yalçin: Yalçin ist Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und schätzt die Wirkungen der Sanktionen für Russlands Wirtschaft ein, der ein Wachstumsrückgang von neun Prozent droht. "Das ist viel, auch für ein Schwellenland", erklärt Yalçin und ergänzt: "Ich und viele Forscher gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Situation in Russland stetig schlimmer werden wird."

Das waren die Themen des Abends

Wie soll man Putins jüngste Atomwaffendrohung einschätzen? Serap Güler geht eher von einem Bluff aus: "Er will diesen Krieg in die Länge ziehen. Und wenn er diesen Krieg in die Länge ziehen will, dann will er erstmal keine Atomwaffen scharf stellen." Es gebe auch keinerlei Hinweise auf russische Aktionen in diese Richtung.

Ähnlich sieht es Wolfgang Ischinger. Er verweist auf die Angriffe der Ukraine im Sommer auf die Krim. Diese sei bereits seit 2014 von Russland annektiert und nach den Angriffen sei auch nichts passiert: "Mir ist nicht bekannt geworden, dass Russland diesen Vorgang zum Anlass genommen hätte, zu sagen: 'Jetzt reicht’s uns endgültig. Jetzt habt ihr russisches Staatsgebiet angegriffen und jetzt ist aus.'"

"Man muss es auch weiter denken", mahnt Udo Lielischkies in Bezug auf mögliche Angriffe Russlands auf andere Länder. Putin behaupte, ein Angriff auf die annektierten Gebiete sei ein Angriff auf Russland. "Das ist ein Prinzip, das kann er beliebig immer weiter fortsetzen", so Lielischkies, wenn man sich ihm nicht entgegenstelle. Man dürfe deshalb nicht sein Spiel mit der Angst vor Atomwaffen mitspielen: "Es ist in der Tat äußerst unwahrscheinlich, dass er das ernsthaft erwägt."

"Ich würde bei jemandem, der als autokratischer Herrscher hochgradig irrational seit Monaten handelt, nicht allzu viel Planhaftigkeit und Regelhaftigkeit im Handeln unterstellen", entgegnet Kevin Kühnert. Eine Regierung müsse die Bedrohung mitdenken. Das alleinige Hinweisen auf die Gefahr einer Eskalation sei kein Einknicken vor Putins Drohung.

Claudia Major hat eine Chronologie von Putins nuklearen Drohungen erstellt und erkennt daraus zwei Ziele: "Das eine ist, die westlichen Staaten von einer Intervention abzuhalten – das hat funktioniert, die sind nicht direkt interveniert. Und das andere ist: Diese Drohung mit der Waffe ist schon die Waffe, also Angst und Unruhe in unseren Gesellschaften zu kreieren."

Wenn US-Präsident Biden nun mit Konsequenzen bei einem Einsatz nuklearer Waffen droht, dann sende dies das Signal an Putin: "Wenn dein Ziel ist, dass sich die westlichen Staaten raushalten, würdest du mit dem Einsatz einer taktischen Atomwaffe genau das Gegenteil bewirken." Zudem würden auch Staaten wie Indien oder China dies missbilligen. Würde man nun sagen, man liefere bestimmte Waffen nicht, sei das für Russland ein Zeichen von Schwäche. Man müsse sehr klar dieser nuklearen Erpressung widerstehen und die Unterstützung sogar noch verstärken.

Der Schlagabtausch des Abends

Es beginnt mit der Frage Lielischkies an Kevin Kühnert nach der Logik in der Weigerung der Bundesregierung, etwa Leopard-I-Panzer zu liefern. Die greift Frank Plasberg auf und fragt nach dem Unterscheid zwischen der bisher gelieferten Panzerhaubitze 2000 und dem nicht gelieferten Leopard-I-Panzer.

Die Frage nutzt Kühnert erst einmal, um die Arbeit seines Parteivorstandes in solche Fragen zu erklären: "Wir diskutieren bei uns im Parteivorstand nicht über militärstrategische Fragen; wir verfügen auch überhaupt gar nicht über die Expertise." Es gelte lediglich die Maßgabe, den Schritt immer mit anderen zu gehen.

Was folgt, ist eine wilde Diskussion, in der aus Kühnerts Aussagen immer noch nicht klar wird, was denn die Kriterien dafür sind, das eine zu liefern und das andere nicht und wer das Ganze überhaupt entscheidet. "Ich kapituliere", knickt Plasberg am Ende ein auch Udo Lielischkies sagt irgendwann: "Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass ich das Nageln eines Puddings an die Wand als vergleichsweise leichte Übung empfinde würde."

Die Erklärung des Abends

Claudia Major versucht auf Bitte Plasbergs erst einmal die Frage nach dem Unterschied zwischen den Waffen aufzuklären. Die Panzerhaubitze erlaube, aus einer gewissen Entfernung, eine gegnerische Stellung sturmreif zu schießen. Wolle man dann diese Stellung erobern, brauche es eine Mischung aus Schutz und Feuerkraft. "Das kann ein Panzer sein, begleitet von einem Schützenpanzer", so Major. Am besten sei daher das Zusammenspiel zwischen Panzern und Panzerhaubitze.

Man habe bisher die Haubitze geliefert, die Einnahme der Stellungen verliefe für die Ukraine aber unter hohen Verlusten: "Die sind teilweise mit VW-Transportern an die Front gefahren." Wolle man die Ukraine in die Lage versetzen, ihre besetzten Gebiete zu befreien, müsste man sie anders ausrüsten, erklärt Major und schlägt eine Lösung vor, wenn man keine Alleingänge wolle. Man könne nämlich zusammen mit anderen "Leopard-Nationen" die Panzer gemeinsam liefern, erklärt Major und fragt Kevin Kühnert dann ganz direkt: "Wenn jetzt die Mehrheit der Militär-Experten sagt: 'Wenn die Ukrainer Gebiete befreien soll […], dann brauchen sie Panzer und Schützenpanzer' – sollen wir sie ihnen dann nicht geben?"

Außerdem komme, so erklärt es Major später, die Frage sowieso irgendwann wieder auf den Westen und die Bundesregierung zu. Denn irgendwann seien die Waffen sowjetischer Bauart von der Ukraine abgenutzt, so dass sie neue Waffen aus dem Westen brauche und sich diese Frage erneut stelle. "Dann wäre es klug, wenn wir sie jetzt konstruktiv besprechen, statt in drei Monaten die gleiche Debatte wie jetzt nochmal zu führen."

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So schlug sich Frank Plasberg

Durchwachsen. Wie es so seine Art ist, unterbricht Plasberg seine Gäste immer wieder mit vorbereiteten Bildern, Einspielern und Fragen. Das unterbricht nicht nur den Redefluss und erschwert es dem Zuschauer, den Gedankengängen der Gäste zu folgen, es erweckt auch den Eindruck, dass Plasberg seinen Gästen nicht zutraut, ihre Argumente ohne seine vorbereiteten Filmchen und Bilder vorzutragen.

In den meisten Fällen sind diese Filme noch dazu völlig unnötig, wie etwa beim Vergleich zwischen Panzerhaubitze 2000 und Leopard I. Da heißt es im Einspieler: "Zwei richtig schwere Waffen. Beide haben Panzerketten. Beide haben eine Kanone, die nach vorne schießen kann." Da hätte Plasberg ruhig mehr Vertrauen in die Erklär-Fähigkeiten seiner Gäste und in den Intellekt seiner Zuschauer haben können.

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Das Fazit

"Wie hoch pokert Putin noch?", war die eigentliche Frage des Abends und die Erwartung, darauf eine valide Antwort zu bekommen, war natürlich zum Scheitern verurteilt. Wer sollte diese Frage angesichts Putins bisherigem Verhalten seriös beantworten? Daher konnte dieser Abend nur ein Austausch von Einschätzungen der aktuellen und künftigen Situation werden und das wurde er auch.

So konnte man eine ganz gute Einordnung bekommen, wie die Mobilmachung Russlands einzuschätzen ist, wie nah man einem inneren Umsturz in Russland ist und ob Putin mit seiner Drohung, Nuklearwaffen einzusetzen, blufft. Was man außerdem noch einmal vor Augen geführt bekam, ist der Eindruck, dass die Bundesregierung und hier vor allem die SPD ein großes Problem hat, ihre Haltung bei bestimmten Fragen, egal, ob man sie teilt oder nicht, einfach und klar zu kommunizieren.

Das mag in der Tat auch eine schwierige Aufgabe sein, gerade in Kriegszeiten, in denen nicht alle Details und Hintergründe genannt werden können. Und vielleicht wird man nach der Ukraine-Krise manche Hintergründe besser verstehen können, aber auch das kann man offener kommunizieren. Dann würde man sich in der SPD vielleicht auch nicht mehr beschweren, dass die eigenen Leistungen und Hilfen für die Ukraine zu wenig gesehen werden.

So, wie Kevin Kühnert die Sache an diesem Montagabend angegangen ist, ist es kommunikationspolitisch gesehen jedenfalls wieder ein Schlag ins Wasser gewesen. Denn wenn Udo Lielischkies erklärt, er könne Kühnerts Ausführungen nicht verstehen, dann ist es ein kommunikatives Desaster, wenn Kühnert antwortet: "Herr Lielischkies, ich hab meine Argumente vorgetragen, Sie sind erwartungsgemäß damit nicht zufrieden – damit müssen wir beide leben."

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