Wie taumelnde Boxer in der zwölften Runde beharken sich die sechs Fraktionschef bei "Hart aber fair". FDP-Chef Christian Lindner schafft es nicht rechtzeitig ins Studio und muss mit dem Spott des Gastgebers leben, das potenzielle "Linksbündnis" zofft sich wegen Afghanistan.
Die einen nennen es Endspurt, die anderen die längste zwölfte Runde aller Zeiten: Wie müde Schwergewichtsboxer kurz vor dem Schlussgong verkeilen sich bei "Hart aber Fair" am Montagabend die Fraktionschefs der Bundestags-Parteien ineinander, ohne sich wirklich weh zu tun.
"Endspurt im Wahlkampf: Wer macht die letzten Punkte?", will
FDP-Chef
Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"
Den Anfang macht Corona: Kommt nach der Wahl eine Impfpflicht? AfD-Fraktionschefin
Wer diese Entscheidung trifft, müsse die Konsequenzen tragen, antwortet
"Ich habe Verständnis, wenn die Leute Sorgen haben", sagt
Rolf Mützenich, Fraktionschef der SPD, drückt sich um eine klare Aussage zur Impfpflicht herum: Man müsse schauen, was vom Grundgesetz gedeckt sei. Klar sei: "Wir können noch mehr impfen."
Ein klares Nein kommt von der Linkspartei in Person von Fraktionschefin
Fast deckungsgleich argumentiert Christian Lindner für die 3G-Regelung: "Es muss möglich sein, auch mit negativem Test am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen." Der FDP-Fraktionsvorsitzende kann sich aber vorstellen, die Tests ab Ende des Jahres kostenpflichtig zu machen.
Das ist der Moment des Abends
Wer an Omen glaubt, kann um 21:30 Uhr im Studio von "Hart aber Fair" ein Zeichen für Rot-Rot-Grün entdecken: Der Platz rechts neben Amira Mohamed Ali bleibt leer, also sitzt die Frau von der Linkspartei plötzlich quasi direkt neben Katrin Göring-Eckardt, die wiederum Rolf Mützenich von der SPD als Nachbar hat. Ein Linksbündnis, eingerahmt von CDU-Mann Ralph Brinkhaus und Alice Weidel.
"Herr Lindners Navi sagte eben 21:29 Uhr, aber er braucht wohl ein neues", frotzelt der Gastgeber. Lange währt die Sitzprobe für die Koalitionsverhandlungen aber nicht, nur Augenblicke nach Sendungsbeginn stürmt Christian Lindner an seinen Platz, begleitet vom Spott des Frank Plasberg: "Wer zu spät kommt, den bestraft der Wähler – den Spruch kennen Sie?"
Gut jedenfalls, dass Lindner es trotz Vollsperrung der Autobahn in die Sendung geschafft hat, so kann er den Spruch des Abends zum Besten geben. Gefragt, welchem Kandidaten er vertrauen würde, lobt er Armin Laschet, rügt aber eine "Unschärfe" im Programm der CDU: Die Partei sei jahrelang "sperrangelweit nach links offen" gewesen und habe Ideen der Grünen übernommen. Gespürt habe er das besonders bei den Koalitionsgesprächen über ein Jamaika-Bündnis 2017 – damals hatte Lindner die Verhandlungen mit dem legendären Spruch "Besser nicht regieren, als falsch regieren" gesprengt.
Schuld daran, so stellt Lindner es dar, sei die Union gewesen: "Ich könnte hier als Vizekanzler und Finanzminister sitzen, wenn die Union nicht den Grünen alle Wünsche von den Lippen hätte ablesen wollen." Ungläubiges Prusten bei Brinkhaus und Göring-Eckardt ("Das ist jetzt aber lustig."), aber Lindner meint es ernst: "Seien Sie froh, Herr Brinkhaus, wir haben vor vier Jahren einen Linksruck verhindert, das machen wir wieder."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Keine Witze mit Namen, aber dieser hier liegt einfach zu nahe: Hätte Amira Mohamed Ali die Schlagkraft und -freude ihres schon verstorbenen Fast-Namensvetters, Lindners Stuhl hätte sehr schnell wieder leer gestanden. Keinen Satz lässt der FDP-Mann seine Kollegin von der Linkspartei beenden, als es um die Steuerpolitik geht. "Machen Sie ihre Position mal klar", ruft er, bis Mohamed Ali nur noch genervt die Augen verdreht.
Dabei steht die Fraktionschefin ohnehin offen zum Wahlprogramm ihrer Partei: Ja, die Linkspartei will für Einkommen über eine Million Euro einen Steuersatz von 75 Prozent ansetzen. "Wir wollen vor allem die Kleinen entlasten. Die geben das Geld auch wieder aus und legen es nicht auf die hohe Kante."
Nur zur Einordnung: Ein solcher Steuersatz würde in Deutschland rund 25.000 Menschen betreffen. Oder eben viel weniger, weil sie dann ihre sieben Sachen packen würden, unkt Lindner: "Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass die Leistungsträger dann in Deutschland bleiben würden?“ Ob er da auf seinen Premium-Spender Frank Thelen anspielt? Der Start-Up-Unternehmer hatte letztens im Podcast "Steingarts Morning Briefing" laut überlegt, ob er im Falle von Rot-Rot-Grün nicht auswandern sollte: "Das wäre dann gefühlt nicht mehr mein Land."
So hat sich Frank Plasberg geschlagen
"Schauen Sie sich diese Runde an", so stolz begrüßt der Gastgeber seine Zuschauer und die Gäste, es ist als Lob gemeint. Sechs Fraktionschefinnen und -chefs, viel mehr politisches Gewicht kriegt man selten in ein TV-Studio.
Nur: Wenn man sich diese Runde wirklich genau anschaut, kann der Wahlsonntag nicht schnell genug kommen. Eine bleierne Müdigkeit liegt über der Sendung, hier tausendmal abgespulte Stehsätze, dort routinierte Empörung, überall sichtbare Verschleißerscheinungen. Vor allem Christian Lindner wirkt, bei allem Respekt, als würde er jeden Augenblick vor Erschöpfung vom Stuhl kippen. Die gute Nachricht: In sechs Tagen ist alles vorbei!
Das ist das Ergebnis
Wobei, nicht ganz: Nach hoffentlich mindestens einer guten Portion Schlaf gehen die Parteien dann in die Sondierungsphase. Eine Groko wird’s eher nicht, also wirft SPD-Mann Rolf Mützenich seinem Ex-Partner schonmal vor, die Union würde die Leute "betrügen", wenn sie gleichzeitig Steuerentlastungen für alle und Investitionen verspreche. Plasberg hat allerdings keine Lust auf Post-Groko-Streit und erstickt den Rosenkrieg im Keim: "Ich will die Trennungsgespräche nicht in Paartherapie ausarten lassen."
Einen Mediator sollten am besten SPD, Grüne und Linkspartei einschalten, wollen sie sich wirklich zu Gesprächen über ein Bündnis zusammensetzen. Auch wenn Amira Mohamed Ali die Forderung nach dem Austritt aus der Nato passend zur erneuerten Parteilinie leicht aufweicht, bezeichnet SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ihre Position als "blauäugig und widersprüchlich": "Da kommen wir nicht zusammen."
Dass Mohamed Ali den Einsatz in Afghanistan als "Nato-Krieg" bezeichnet, entspannt die Atmosphäre auch nicht wesentlich. Katrin Göring-Eckardt erinnert mit Sauertopf-Miene an das Abstammungsverhältnis der Linken beim Mandat für den Rettungseinsatz in Kabul: "Da haben Sie sich ins Abseits gestellt."
"Eine Unverschämtheit", entgegnet Mohamed Ali, das Mandat habe nicht die vollständige Evakuierung der Ortskräfte umfasst, also habe die Partei nicht zustimmen könne, kämpfe aber weiter dafür. "Uns vorzuwerfen, wir würden die Menschen im Stich lassen, das geht nicht."
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