Der Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sorgte mit seinen Äußerungen über die rechten Hetzjagden in Chemnitz mindestens für Irritationen. Nun diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen über die Vorkommnisse in Chemnitz und Köthen, den Verfassungsschutzpräsident und seine Aussagen - und deren Folgen für Demokratie und Rechtsstaat. Eine Diskussion mit klaren Worten, aber auch Tiefgang. Eine Kritik.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Die Regierungskrise ist wieder da: Während die SPD-Spitze die Ablösung von Hans-Georg Maaßen fordert, spricht Innenminister Horst Seehofer dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sein Vertrauen aus. Die Regierungskoalition hat nun die Entscheidung darüber auf kommenden Dienstag vertagt.

Das war das Thema bei Maybrit Illner

Muss Maaßen dann gehen? Und wieso äußerte sich der Verfassungsschutzpräsident zu Chemnitz so, wie er es tat? Wie sind seine Aussagen einzuschätzen? Was sagt seine Reaktion sowie die Vorkommnisse in Chemnitz und Köthen über unseren Rechtsstaat und die Demokratie aus?

Darüber diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagabend unter dem Thema: "Innere Unsicherheit – schützt unser Staat die Demokratie?"

Wer sind die Gäste?

Irene Mihalic: Die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion zeigte sich über Maaßens Äußerungen sehr verwundert. Umso weniger, weil sie weiß, "dass Maaßen seine Worte immer mit Bedacht wählt."

Thomas Oppermann: Der Bundestagsvizepräsident (SPD) wählte klare Worte zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. "Es gibt kein Vertrauen mehr in die Amtsführung von Hans-Georg Maaßen." Zu Horst Seehofer sagte er: "Als Innenminister halt ich ihn für eine Fehlbesetzung und als Verfassungsminister für eine Zumutung."

Philipp Amthor: Das Mitglied des Ausschusses für Inneres und Heimat im Bundestag (CDU) nahm Maaßen in Schutz und mahnte eine Versachlichung der Debatte an. Er sagte, dass nun "viele versuchen, politische Rechnungen zu begleichen". Die Treffen Maaßens mit AfD-Politikern nannte er "legitim".

Elmar Theveßen: Der stellvertretende ZDF-Chefredakteur kritisierte, Maaßen hätte seine Zweifel an in Chemnitz aufgenommenen Videos von Menschenjagden intern äußern sollen. Integration, bezahlbarer Wohnraum, Rente: Um diese Fragen müsste sich die Politik viel mehr kümmern, als um die Frage, ob die Geschehnisse in Chemnitz begrifflich als "Hetzjagden" einzuordnen sind oder nicht.

Antonie Rietzschel: Die Journalistin, die aus Sachsen für die Süddeutsche Zeitung berichtet, wird bei ihrer Arbeit fast täglich mit Rechtsextremisten konfrontiert.

Olaf Sundermeyer: Der Autor beklagte, rechte Gruppen würden sich "im Recht fühlen" durch Aussagen wie von Maaßen. Die Gefahr, dass die Demokratie von innen ausgehöhlt werden könnte, ist für ihn nicht theoretischer Natur.

Darüber wurde diskutiert

Hans-Georg Maaßen

"Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist." Mit dieser und anderen Aussagen brachte sich Maaßen via "Bild" in die Kritik, musste sich in einer Anhörung erklären. Zudem soll er mit der AfD Informationen aus dem bis dahin noch nicht veröffentlichten Verfassungsschutzbericht geteilt haben.

Für Philipp Amthor hat sich Maaßen u.a. im Innenausschuss ausreichend zu den Vorwürfen geäußert und klargemacht, dass er missverstanden worden sei. Für den CDU-Politiker verstrickte sich Maaßen bei der Anhörung "nicht in offensichtliche Widersprüche", habe aber festgestellt, dass "das in der Kommunikation sicher keine Meisterleistung war". Viele würden nun aber eine politische Rechnung mit Maaßen begleichen.

Thomas Oppermann sieht das grundlegend anders, fordert wie zuvor seine Partei Maaßens Rücktritt: "Es gibt kein Vertrauen mehr in die Amtsführung von Hans-Georg Maaßen. Deshalb kann er nicht mehr im Amt bleiben.“ Maaßen sei nicht nur nicht richtig informiert gewesen, er habe zudem noch den Rechten und Verschwörungstheoretikern "Futter gegeben". "Ich sehe darin einen Akt der Illoyalität gegenüber all denjenigen, die unsere Demokratie verteidigen", so Oppermann.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Olaf Sundermeyer. Der Journalist erklärt, dass es nach solchen Demonstrationen immer einen anschließenden Kampf um die Deutungshoheit gebe. "Aber unbestritten ist, dass es dort Gewalt gegen Migranten und Linke gab. Der rechte Mob hatte zeitweise dort nicht nur eine Deutungshoheit, sondern auch ein örtlich begrenztes Gewaltmonopol." Wenn Herr Maaßen sich so äußert, preise er damit ein, dass diejenigen, die grundsätzlich alles infrage stellen, Oberwasser bekämen, erklärt Sundermeyer.

Eine richtige Erklärung für das Verhalten Maaßens konnte die Runde nicht liefern. Thomas Oppermann sieht hier nun Innenminister Seehofer in Zugzwang. Doch auch er würde aus Oppermanns Sicht wohl am besten seinen Hut nehmen: "Als Innenminister halte ich ihn für eine glatte Fehlbesetzung und als Verfassungsminister halte ich ihn für eine Zumutung."

Köthen

Hier schilderte vor allem Journalistin Rietzschel, die bei dem vermeintlichen "Trauermarsch" in Köthen vor Ort war, ihre Eindrücke: "Man war besser vorbereitet, aber ich habe mich nicht immer sicher gefühlt."

Chemnitz sei die Blaupause für die Strategie der Polizei in Köthen gewesen.

Die Gründe für die Wut mancher Menschen

Ob das Potenzial der Wutbürger angewachsen sei und woher der Frust käme, will Illner wissen. Auch hier schildert Rietzschel ihre Wahrnehmung: "Ich glaube, dass durch die Geflüchteten, die 2015 gekommen sind, etwas aufgebrochen ist, das sehr lange gebrodelt hat. Ein gewisses Ungleichheitsgefühl. Man spricht davon, dass sich Ostdeutsche wie Bürger zweiter Klasse gefühlt haben. Und dann kommen Menschen, die bekommen gefühlt etwas. Ich glaube, diese Menschen, die bei Pegida dabei waren, haben sich in den vergangenen drei Jahren noch einmal radikalisiert."

Diese Erkenntnisse lieferte der Abend

Wie kann man rechte Gewalt, rechtes Gedankengut bekämpfen? Vorschläge aus der Runde waren zum einen, den Verfolgungsdruck auf Rechtsradikale zu erhöhen. Thomas Oppermann plädierte zugleich für mehr Demokratieerziehung. Elmar Theveßen wünschte sich außerdem einen Migrations- und Integrationspakt nach Vorbild des Bildungspaktes.

Spannend war dann die Frage Illners zu der Aussage Seehofers, als Privatmann wäre er in Chemnitz gerne mit auf der Straße gewesen: "Was uns Herr Seehofer nicht verraten hat, ist, wie er verhindert hätte, dass er demonstriert hätte, aber sich von denen ferngehalten hätte, die den Hitlergruß gezeigt haben."

Mit anderen Worten: Gab es in Chemnitz oder auch Köthen überhaupt die Chance seine Meinung auf der Straße kund zu tun ohne mit Nazis mitzulaufen?

Während Amthor hier eine Undifferenziertheit im Umgang mit den Menschen feststellt, sieht das Olaf Sundermeyer anders: "Wenn dort (in Köthen, Anm. d. Red.) so eine zutiefst extremistische Hetzrede gehalten wird, an dem Ort, wo kurz zuvor ein Mensch zu Tode kam, dann stehen diese besorgten Bürger darunter und jubeln und applaudieren. Das sind Menschen, die stimmen Neonazis und Rechtsextremisten zu. Das sind keine besorgten Bürger, die sich auf die Straße begeben, weil sie mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel nicht einverstanden sind. Das ist keine Regierungskritik, die dort auf der Straße geäußert wird."

Das Rededuell des Abends

Gab es in dieser Form zum Glück nicht, man hatte den Eindruck, dass vor allem Mihalic, Rietzschel, Sundermeyer und Theveßen hauptsächlich an der Sache interessiert waren.

Lediglich Oppermann und Amthor konnten nicht ganz ihre Finger vom Parteiengeplänkel lassen, der eine forderte mindestens einen Rücktritt, der andere verteidigte die Unionslinie vehement.

So schlug sich Maybrit Illner

Vor allem zurückhaltend. Illner überließ die Diskussion weitgehendihren Gästen - und das funktionierte erstaunlich gut.

Nur hin und wieder sorgte sie für eine zeitliche Ausgewogenheit der Redebeiträge und wiederholte eine Frage, wenn sich keine Antwort fand. Eine gute Leistung der Moderatorin.

Das Fazit

Es war eine starke Runde - mit Klartext, aber eben auch der notwenigen Tiefe in der Auseinandersetzung.

Ein Vergleich von Elmar Theveßen beschreibt das Fazit des Abends dann wohl am besten:

"Max Weber hat das mal beschrieben: Man fühlt sich wie in einem Hochgeschwindigkeitszug und weiß nicht, wie die Weichen gestellt sind. Das ist das Gefühl, das viele im Land haben. Das, was einem Hoffnung und Halt gibt, sind die Gleise. Diese Gleise sind der Verfassungs- und der Rechtsstaat. Wenn ein Ministerpräsident verharmlost, was da war, dann nimmt er ein Stück Schotter unter dem Gleis weg. Wer Rechts- oder Linksextremisten Rückhalt gibt, wer sie versteckt, wer ihnen das Gefühl gibt, es wäre in Ordnung, was sie dort machen, der macht sich zum Teil dieser Gruppe."

An die Politik hat Theveßen deshalb folgenden Auftrag: "Es wird höchste Eisenbahn, sich um die Weichen zu kümmern."

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.