Ein Bericht des ARD-Magazins "Kontraste" erhöht den Druck auf Hans-Georg Maaßen. Demnach hat der Verfassungsschutzchef der AfD-Bundestagsfraktion Informationen aus dem Verfassungsschutzbericht bereits Wochen vor dessen Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. FDP, Grüne und Linke fordern Konsequenzen.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, soll der AfD bei einem Treffen Informationen aus dem Verfassungsschutzbericht 2017 bereits Wochen vor Veröffentlichung zur Verfügung gestellt haben.

Das hat das ARD-Magazin "Kontraste" recherchiert. Stephan Brandner von der AfD sagte in dem Bericht, dass Maaßen ihm bei einem persönlichen Treffen am 13. Juni dieses Jahres "Zahlen aus dem Verfassungsschutzbericht" genannt habe.

Es sei um die Zahl islamistischer Gefährder und den Haushalt des Verfassungsschutzes gegangen. Der Verfassungsschutzbericht 2017 wurde aber erst Ende Juli 2018 veröffentlicht.

Ein Sprecher des BfV hat den Bericht von "Kontraste" inzwischen zurückgewiesen. "Das ist selbstverständlich nicht der Fall", teilte er mit. Inhalt der auf ausdrücklichen Wunsch des Innenministeriums geführten Gespräche mit Abgeordneten aller Bundestagsparteien sei regelmäßig die Information über die aktuelle Sicherheitslage etwa im Bereich des islamistischen Terrorismus.

"Mit dem Bericht wird der Eindruck erweckt, dass Informationen oder Unterlagen ohne rechtliche Grundlage weitergegeben worden seien." Der Sprecher betonte: "Ich weise diese Vorwürfe entschieden zurück."

Weitergabe nicht üblich, aber unter Umständen gestattet

Maaßen wird vorgeworfen, dass lediglich eine Partei, die AfD, diese Informationen bekommen habe. Staatsrechtler Professor Joachim Wieland erklärt dazu im Gespräch mit unserem Portal, dass "eine Vorab-Weitergabe von Inhalten aus einem noch nicht veröffentlichten Bericht eines Verfassungsschutzamtes an einzelne Parteien, Fraktionen oder Abgeordnete" nicht üblich sei.

Es sei sogar ein Verstoß "gegen das verfassungsrechtliche Neutralitätsgebot. Danach müssen der Staat und seine Beamten alle Parteien, Fraktionen und Abgeordnete gleich behandeln."

Dennoch kann eine Weitergabe gestattet sein, erklärt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Gusy unserem Portal. Dafür müssen drei Bedingungen erfüllt sein:

1. Die Informationen dürfen zum Zeitpunkt der Weitergabe nicht mehr vertraulich sein.

2. Die Weitergabe darf die Arbeit des Verfassungsschutzes nicht beeinträchtigen, also etwa laufende Ermittlungen behindern.

3. Der BfV-Präsident darf bei solchen Weitergaben eben nicht einzelne Parteien bevorzugen und andere benachteiligen.

Maaßen wegen möglicher AfD-Kontakte in der Kritik

Maaßen stand zuletzt immer wieder wegen möglicher Kontakte zur AfD in der Kritik. So hatte zuletzt AfD-Chef Alexander Gauland von drei Treffen mit dem BfV-Präsidenten berichtet.

Dabei habe Maaßen unter anderem angeboten, dass man sich an ihn wenden könne, falls es Probleme geben sollte. Auf dieses Angebot sei Gauland später eingegangen, als der Verdacht aufgekommen war, in der AfD-Bundestagsfraktion könne es einen "Einflussagenten der Russen" geben.

Auch das ehemalige AfD-Mitglied Franziska Schreiber berichtet in dem Buch "Inside AfD: Der Bericht einer Aussteigerin" darüber, dass sich Maaßen mit der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry getroffen habe.

Dabei soll er ihr Tipps gegeben haben, wie man am besten einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz entgehen könne. Maaßen hatte Schreibers Darstellung widersprochen.

Maaßen weist Nähe zur AfD zurück

In einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags am Mittwoch hatte Maaßen nach Teilnehmerangaben Spekulationen über eine mögliche politische Nähe zur AfD mit Nachdruck zurückgewiesen.

Dies gelte auch für die Behauptung, er habe die AfD beraten oder ihr Ratschläge erteilt, wie sie sich zu verhalten habe, um einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen.

Er sei seit 1991 Bundesbeamter und immer bestrebt gewesen, politisch neutral und persönlich unabhängig sein Amt auszuüben. Er habe für Minister von CDU, CSU und SPD gearbeitet und ein besonders gutes Verhältnis zu seinem früheren Chef, dem ehemaligen SPD-Innenminister Otto Schily gehabt.

Über seine Gespräche mit Politikern sagte Maaßen nach diesen Informationen, solche Unterredungen würden auch von Leitern anderer Behörden geführt.

Seine Gespräche dienten der Vorstellung des BfV und seiner Aufgaben sowie der Erörterung von Verfassungsschutzthemen. Dabei gehe es etwa um die Sicherheitslage, Haushaltsfragen, die Gefährdung von Politikern oder Übergriffe auf Einrichtungen von Parteien.

Von den politischen Gesprächspartnern gebe es auch Wünsche zu bestimmten Themen. Zudem gehe es um eine allgemeine Sensibilisierung gegen mögliche Spionageangriffe.

FDP, Grüne und Linke fordern Konsequenzen

Der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser erklärt angesichts des "Kontraste"-Berichts im Gespräch mit unserem Portal dennoch: "Was wir heute erfahren haben, wäre ein weiterer Höhepunkt der Politikberatung für eine rechtsradikale Partei."

Zudem fordert er Aufklärung: "Leider zeigen weder er selbst [Hans-Georg Maaßen; Anm.d.Red.] noch das verantwortliche Innenministerium sich bemüht, die Masse an Vorwürfen aufzuklären. Der Vertrauensverlust in die Institution Verfassungsschutz ist deshalb enorm. Ich halte es deshalb für fatal, dass Innenminister Seehofer bis heute an Herrn Maaßen festhält."

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen und Mitglied im Innenausschuss, teilt unserer Redaktion auf Anfrage mit: "Ein solches Vorgehen ist alles andere als üblich. Anderen Fraktionen und der Öffentlichkeit standen die Zahlen erst Wochen später zur Verfügung. Hier steht der Verdacht im Raum, dass der AfD ein Informationsvorsprung gegenüber politischen Mitbewerbern verschafft werden sollte."

Zudem erklärt er: "Man fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, bis auch Horst Seehofer versteht, dass es dem BfV-Präsidenten ganz offensichtlich an der für die Ausübung des Amts notwendigen Objektivität fehlt und mit diesem BfV-Chef kein glaubwürdiger Neuanfang möglich ist. Wenn Horst Seehofer jetzt nicht endlich die notwendigen politischen Konsequenzen zieht, ist er für einen weiteren, massiven Verlust von Vertrauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden direkt verantwortlich."

Linken-Vorsitzende Katja Kipping teilte mit: "Maaßen muss gehen. Sollte sich bestätigen, dass er sich in weit größerem Umfang als AfD-Informant betätigt hat, ist das ein politischer Skandal, den Horst Seehofer persönlich zu verantworten hat."

SPD fordert Ablösung von Maaßen

Auch wegen seiner umstrittenen Aussagen zu den ausländerfeindlichen Vorfällen in Chemnitz stand Maaßen zuletzt massiv in der Kritik. Die SPD fordert daher seine Ablösung.

"Für die SPD-Parteiführung ist völlig klar, dass Maaßen gehen muss. Merkel muss jetzt handeln", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag.

Maaßen hatte in einem Interview gesagt, es lägen keine Belege dafür vor, dass ein im Internet kursierendes Video mit Angriffen auf Ausländer authentisch sei. Damit widersprach er auch Kanzlerin Angela Merkel. Später relativierte Maaßen seine Aussage.

Nach der Sitzung des Innenausschusses des Bundestags hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dennoch sein Vertrauen ausgesprochen.

GroKo-Treffen im Kanzleramt zu Maaßen

Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD haben sich am Nachmittag getroffen, um über die Personalie Maaßen zu beraten. Angela Merkel, Horst Seehofer und Andrea Nahles sind demnach um 15:30 Uhr im Kanzleramt zusammengekommen.

Eine Entscheidung ist aber nicht gefallen, die Gespräche wurden auf kommenden Dienstag vertagt. Es sei ein gutes, ernsthaftes Gespräch mit dem Ziel gewesen, als Koalition weiterzuarbeiten, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstagabend aus Regierungskreisen.

Verwendete Quellen:

  • Statement von Staatsrechtler Professor Joachim Wieland
  • Statement von Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Christoph Gusy
  • Statement von Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen
  • Statement von Benjamin Strasser, FDP
  • Statement von Katja Kipping aus Pressemitteilung der Linken
  • Tagesschau.de: "Geheime Infos an AfD weitergegeben?"
  • dpa
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.