Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Amira Mohamed Ali vom Bündnis Sahra Wagenknecht lieferten sich bei Sandra Maischberger ein intensives Rededuell in hoher Lautstärke über den Ukraine-Krieg. Ein Journalist und eine russische Kulturwissenschaftlerin fällten derweil ein vernichtendes Urteil über Putins Russland.

Eine Kritik
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Das war das Thema

Der Angriff Russlands auf die Ukraine jährte sich am 24. Februar zum zweiten Mal. Und rund um dieses Datum ist die Lage der ukrainischen Armee auf dem Schlachtfeld so schlecht wie seit den ersten Kriegswochen nicht mehr, nachdem die Stadt Awdijiwka aufgegeben werden musste. Vor allem der Mangel an Soldaten und die fehlende Munition machen Kiew schwer zu schaffen. Sandra Maischberger diskutierte mit ihren Gästen über den blutigen Krieg und die weitere deutsche Unterstützung für das angegriffene Land. Weiteres Thema war der Tod des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny.

Das waren die Gäste

  • Irina Scherbakowa: Die im Exil lebende russische Kulturwissenschaftlerin beschrieb die schrecklichen Haftbedingungen, unter denen Alexej Nawalny seit Jahren leben musste. Sie sprach von "schlimmsten stalinistischen Methoden" und "Folter mit Hunger". Trotzdem hatte sie bis zum Schluss das Gefühl: "Der kann doch nicht sterben", da Nawalny immer noch viel Ironie zeigte und sich über seine Haftbedingungen lustig gemacht hat.
  • Thomas Roth: Für den ehemaligen Leiter des ARD-Studios in Moskau war Nawalnys Tod "natürlich keine Überraschung". Es sei aufgrund der Haftbedingungen ein "Mord auf Raten" gewesen. Der Tod des wichtigsten Oppositionellen ist in seinen Augen ein Zeichen von Schwäche und ein Zeichen der "moralischen und ethischen Verkommenheit" des Putin-Regimes. Roth warb dafür, die nächsten Präsidentschaftswahlen in Russland nicht als solche zu bezeichnen und anzuerkennen. "Das sind keine Wahlen, das ist ein Theater." Er warb zudem dafür, das Sanktionsregime zu verstärken und Putin in der Ukraine militärisch mit Stärke entgegenzutreten, "sonst steht er vor der nächsten Haustür".
  • Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Die Verteidigungspolitikerin der FDP erklärte, warum sie dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zu Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmen will. "Ich möchte, dass das Kind beim Namen genannt wird, und das ist der Taurus-Marschflugkörper. Im Antrag der Regierung wird das von der Ukraine geforderte Waffensystem dagegen nicht genannt. Bedenken, dass die Kiewer Regierung mit Taurus, das eine Reichweite bis etwa Moskau hat, auch zivile Ziele weit in Russland bombardieren könnte, wischte Strack-Zimmermann weg. "Es ist ein tiefes Misstrauen, wenn man ihr unterstellt, dass sie Moskau bombardieren will". Aber es müsse möglich sein, dass die Ukraine russische Nachschubwege effektiver treffen kann.
  • Amira Mohamed Ali: Für die Parteivorsitzende des BSW ist klar, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Moralisch könne sie diesen Wunsch nachvollziehen, aber militärisch verliere Kiew gerade. Sie hat Angst, dass der Konflikt weiter eskaliert und die Nato weiter eingreift. "Dann haben wir den dritten Weltkrieg." Sie plädierte daher für einen Waffenstillstand, Friedensverhandlungen sowie eine Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands. Einen Angriff Russlands auf ein Nato-Land hält sie für möglich, "wenn die Situation so weitergeht".
  • Christian Rach: Der Starkoch fand die Rede von Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja auf der Münchener Sicherheitskonferenz "unglaublich bewegend": Konkret: Dass sie in München gesprochen hat und nicht gleich zu den Kindern gefahren ist, wie sie in ihrer Ansprache erklärte, weil ihr Mann das auch so gemacht hätte. Rach sprach sich für größere Militärausgaben und eine Aufrüstung Deutschlands aus.
  • Paul Ronzheimer: Der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur und Kriegsreporter erklärte, dass viele Geheimdienstler davon ausgegangen seien, dass Nawalny in der Haft etwas passiert. Er berichtete von seinem letzten Besuch von der Front in der Ostukraine. Die Soldaten seien zunehmend verzweifelt, weil es keine neue Mobilisierung gibt und Waffen fehlen. Trotzdem habe die Mehrheit gesagt, dass sie weiterkämpfen müssen. Ronzheimer kritisierte, dass sich Deutschland und Europa in der Rüstungsproduktion auf den Krieg immer noch "nicht eingestellt" hätten, während Russland längst auf Kriegswirtschaft umgestellt hat.
  • Iris Sayram: Die Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio wollte die Gefahr, dass Deutschland durch die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zur Kriegspartei werden könnte, nicht als "Quatsch" abtun. Sie vermisste neben der Hardpower, also Waffenlieferungen an Kiew, die Softpower: Versuche, den Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Sayram verglich den Fall Nawalny mit der Inhaftierung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange, dem bei einer Auslieferung in die USA eine jahrzehntelange Haft drohen würde. Es sei eine Frage der Glaubwürdigkeit beim Eintreten für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pressefreiheit. Im Fall Assange "ist die Politik sehr leise aktuell", kritisierte sie.

Das war der Moment des Abends

Paul Ronzheimer kann das Jammern einiger Menschen in Deutschland über den mittlerweile zwei Jahre andauernden Krieg in der Ukraine nicht mehr hören. "Die einzigen, die das Recht haben, kriegsmüde zu sein, sind die Ukrainer", stellte er in einem feurigen Monolog klar.

Das war das Rededuell des Abends

Genervtes Kopfschütteln, einander ins Wort fallen, die Stimme erheben: Im Grunde könnte man hier das Ganze fünfundzwanzigminütige Gespräch zwischen Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Amira Mohamed Ali zitieren. Besonders Strack-Zimmermann wurde immer wieder laut, wenn sie Mohamed Ali klarmachen wollte, wie unsinnig sie ihre Forderung nach dem Ende von Waffenlieferungen an die Ukraine fand.

"Butter bei die Fische. Was wollen Sie? Dass die Ukraine ihren Ostteil abgibt? Dass die Krim bei Russland bleibt?" Mohamed Ali rechtfertigte sich: "Ich möchte, dass es damit aufhört, dass jeden Tag in der Ukraine Menschen sterben!" Strack-Zimmermann reagierte, wie bei jedem Satz, den die BSW-Politikerin sagte, mit maximalem Unverständnis: "Dann rufen Sie in Moskau an und nicht in Kiew. Da passiert es doch!", rief sie empört. Mohamed Ali erwiderte genervt: "Das sind immer so markige Sprüche, meine Güte. Aber das ist doch nicht die Realität."

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Bei der Diskussion, ob die Ukraine mit Waffensystem wie dem Taurus-Marschflugkörper auch nicht-militärische Ziele außerhalb des Kriegsgebiets angreifen könnte, war Maischberger nicht ganz auf der Höhe. Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte behauptet, dass das – etwa ein Angriff auf Moskau – völlig abwegig sei. Es gehe nur um Nachschubwege und die Ukraine habe mit den westlichen Waffensystemen bisher nur im direkten Kriegsgebiet agiert. Hier hätte Maischberger noch einmal einhaken können. Denn die Ukraine beschießt jetzt schon nicht-militärische Ziele in Russland, auch Moskau wurde mit Drohnen schon attackiert.

Die russische Stadt Belgorod, die nur 30 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt, wird regelmäßig angegriffen – dabei gab es schon zahlreiche Tote. Die Sorge, dass Deutschland durch die Taurus-Lieferung in den Augen Russlands zur Kriegspartei werden könnte, ist daher nicht ganz abwegig.

Weiterer schwacher Moment der Gastgeberin: Nachdem Iris Sayram den Fall Assange erwähnt hatte, versprach Maischberger das Thema "später" zu vertiefen. Tat sie dann aber nicht.

Das ist das Fazit

Wie geht es weiter in Russland nach dem Tod von Alexej Nawalny? Für die Exilantin Irina Scherbakowa sind die stillen Gedenken und Blumenniederlegungen für Nawalny in dutzenden russischen Städten ein ermutigendes Signal. Scherbakowa sprach von den "größten Massenreaktionen seit Beginn des Krieges". Blumen seien überall in Moskau und St. Petersburg ausverkauft gewesen. "Zorn, Verzweiflung, Trauer haben die Angst in dieser Situation besiegt."

Was den Krieg gegen die Ukraine betrifft, machte die Runde allerdings wenig Hoffnung. Die Lage für Kiew ist derzeit extrem schwierig. Und sie könnte in den kommenden Monaten dramatisch werden, sollte es kein neues Personal und zu wenig neue Munition geben. Paul Ronzheimers ernüchterndes Fazit seines letzten Front-Besuchs: "Die Lage war noch nie so dramatisch wie seit Beginn des Krieges."

Gab es irgendeinen Lichtblick bei Maischberger? Einen kleinen. Die Streithähne Mohamed Ali und Strack-Zimmermann konnten sich nach fast halbstündigem Dauergekeife doch noch auf eine Gemeinsamkeit verständigen: Beide lehnen die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland ab.

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Teaserbild: © /© WDR/Oliver Ziebe