Die Diskussion, wie die Folgen der Coronakrise bezahlt werden können, verläuft bei Anne Will eher müde. Für mehr Aufsehen sorgt eine neue Wortwahl der Moderatorin.

Eine Kritik
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Wenn es um das große Geld geht, ist der Streit meist nicht fern. Um große Summen geht es derzeit auch bei der Bewältigung der Coronakrise: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen einen 500 Milliarden Euro schweren europäischen Wiederaufbau-Fonds schaffen, um kriselnden Staaten mit Zuschüssen unter die Arme zu greifen.

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Als sich Anne Will mit ihren Gästen das Thema am Sonntagabend vornimmt, bleibt der große Streit allerdings aus. Eher müde tragen Politiker und Experten ihre Argumente vor.

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Wer sind die Gäste bei "Anne Will"?

Olaf Scholz: Der Bundesfinanzminister stellt sich hinter den Merkel-Macron-Plan. Die Wirtschaft in Gang zu bringen, funktioniere nur, wenn es anderen Staaten nicht schlecht gehe. Das Geld fließe in "konkrete Projekte, die etwas mit dem Wiederaufbau zu tun haben", verspricht der SPD-Politiker.

Annalena Baerbock: "Komplett richtig" findet auch die Grünen-Vorsitzende den Vorstoß. Falsch findet sie es dagegen, davon zu sprechen, Deutschland müsse nun Souveränität an Europa abgeben. "Dieses Europa, das sind wir", betont sie. Es sei im "ureigensten deutschen Interesse, dass Europa stark ist".

Carsten Linnemann: Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion will nicht so recht mit seiner Meinung rausrücken. Er äußert grundsätzliches Verständnis für Österreichs Kanzler Kurz, der den Südeuropäern statt mit Zuschüssen mit Krediten helfen will, die zurückgezahlt werden müssten. "Wenn wir Geld geben, muss es einen Mehrwert für Europa haben und nicht irgendwo versickern."

Monika Schnitzer: Die Wirtschaftsprofessorin ist seit kurzem Mitglied im Rat der Wirtschaftsweisen und plädiert dafür, der Europäischen Union neue Projekte zuzuschreiben: etwa die Förderung der Digitalisierung und des Gesundheitswesens. "Da ist dieser Plan ein Weg in die richtige Richtung", meint sie zum Vorschlag von Merkel und Macron.

Reiner Holznagel: Er habe ein "schwieriges Verhältnis zur Solidarität" mit den südeuropäischen Staaten, gibt dagegen der Präsident des Bundes der Steuerzahler zu. "Wir müssen darauf achten, dass wir die Steuerzahler in Europa nicht überfordern." Steuern runter – das sei eine Maßnahme, von der alle profitieren würden.

Was ist der Moment des Abends?

Die Moderatorin sorgt schon zu Beginn für Aufsehen, als sie Reiner Holznagel als Präsident des Bundes der "SteuerzahlerInnen" vorstellt. "Da wundern Sie sich?", fragt sie ihn sichtlich stolz über ihre eigene Wortwahl. Schließlich würden Frauen ja auch Steuern zahlen.

Das Anliegen, in der öffentlichen Sprache beide Geschlechter besser abzubilden, ist zweifellos wichtig. Allerdings wirkt Wills Statement etwas willkürlich, weil sie diese neue Entscheidung für gendergerechte Sprache nicht weiter erläutert.

Die Frage, ob in Talkshows von BürgerInnen, SchülerInnen, GastronomInnen und so weiter gesprochen werden soll, würde Stoff für eine eigene Sendung bieten. Auf Twitter bricht am Sonntagabend jedenfalls gleich eine Diskussion über Sinn und Unsinn des Genderns aus.

Einen kleinen Erfolg kann Anne Will immerhin verbuchen: Reiner Holznagel spricht im weiteren Verlauf der Sendung tatsächlich auch einmal von "Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern". Zwar nur einmal – aber ein Anfang ist gemacht.

Was ist das Rededuell des Abends?

Gestritten wird in dieser Sendung wenig. Doch ausgerechnet der als dröge geltende Finanzminister Scholz verteilt ein paar kleine Spitzen. Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler hat zuvor ein paar Vorschläge gemacht, wo der Staat sparen könnte.

Das Bundeskanzleramt zum Beispiel gebe zehn Millionen Euro aus, um für mehr Klimaschutz zu werben. Das sind Ausgaben, die Holznagel gar nicht nötig findet: "Die zehn Millionen brauchen wir jetzt nicht, denn Klimaschutz ist in aller Munde."

Er wolle sich eine "etwa flapsige Bemerkung erlauben", sagt ein süffisant grinsender Olaf Scholz daraufhin: "In solchen Debatten fängt's immer groß an" – und dann kämen Sparvorschläge von gerade mal zehn Millionen Euro: "Da ist so ein bisschen Unernsthaftigkeit drin, und da bitte ich, das besser zu machen."

Was ist das Ergebnis bei "Anne Will"?

So richtig will die Sendung keine Fahrt aufnehmen. Vor allem die erste Hälfte gestaltet sich zäh. Über die Zukunft der Europäischen Union und den Weg aus der sich anbahnenden Wirtschaftskrise zu sprechen, ist ohne Zweifel wichtig.

Doch wenn Begriffe wie Bundesstaat und Staatenbund, Haftungsunion und Fiskalunion aufgezählt werden, dürften viele Zuschauer irgendwann den Überblick verlieren. Die Diskussion hat stellenweise eher etwas von einem politikwissenschaftlichen Seminar zur Europapolitik.

Auch Anne Will unternimmt an dieser Stelle wenig, um ihre Gäste zu alltagstauglicherer Sprache zu verdonnern. Dabei scheint ihr die Bedeutung von Sprache in dieser Sendung ja besonders am Herzen zu liegen.

Am Ende ließe sich ein gemeinsamer Nenner der Runde so formulieren: Es kommt nicht so sehr darauf an, wieviel Geld jetzt eingesetzt wird. Wichtig ist, wofür genau der Staat es ausgibt.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer und Grünen-Politikerin Baerbock sind sich einig: Für die Bildung, vor allem die digitale, müsse jetzt viel Geld fließen. "Das sind Investitionen, die sich am Ende selbst finanzieren", sagt Schnitzer.

Diese Forderung ist allerdings alles andere als neu. Interessant wäre daher die Frage, warum schon seit Jahren überall und von jedem mehr Investitionen in die Bildung gefordert werden – und in dem Bereich offenbar wenig passiert ist.

Doch an dieser Stelle ist die Sendung schon wieder zu Ende. Wohl auch, weil man am Ende zu viel Zeit verplempert hat.

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