Jewgeni Prigoschin soll bei einem Flugzeugabsturz in Russland gestorben sein. Schon kurz nach der Meldung brodelt es: Könnte Russlands Präsident Putin etwas mit dem Vorfall zu tun haben?

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Zufall oder nicht? Zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei gegen die russische Staatsmacht ist der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin nach einem Flugzeugabsturz in Russland für tot erklärt worden. Der Telegram-Kanal Grey Zone, den Prigoschin zur Verbreitung seiner Videos nutzte, meldete am Mittwochabend den Tod des Chefs der Privatarmee Wagner.

Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija veröffentlichte eine Passagierliste, auf der unter anderen Prigoschin und der offizielle Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin standen. Alle zehn Insassen seien ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit. Eine amtliche Bestätigung oder eindeutige Belege für den Tod des langjährigen Vertrauten von Kremlchef Wladimir Putin gab es bis zum Donnerstagmorgen nicht.

Absturzstelle
Ein vom russischen Ermittlungskomitee am 23. August 2023 veröffentlichtes Foto zeigt die Absturzstelle eines Privatflugzeugs in der Region Twer, Russland. © picture alliance / Xinhua News Agency/Investigative Committee of Russia

Russischer Militärblogger spricht von Mord

Der Embraer-Privatjet, auf dessen Passagierliste Prigoschin stand, war am Mittwoch nordwestlich von Moskau im Gebiet Twer abgestürzt. Zur Ursache gab es keine offiziellen Angaben, die Ermittlungen der Behörden begannen erst. Allerdings verbreiteten Grey Zone und einige Militärblogger die These, dass der Absturz kein Unfall gewesen sei. Grey Zone sprach von einem Abschuss durch die russische Flugabwehr. Überprüfen ließ sich diese Behauptung nicht. "Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands", hieß es in einem Post.

"Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben", schrieb der Militärjournalist Roman Saponkow auf Telegram. "Die Leute, die den Befehl gegeben haben, verstehen nichts von der Stimmung in der Armee und ihrer Moral." Prigoschin war wegen seiner Kritik an der regulären Armeeführung und einigen Erfolgen seiner Söldner auf dem Schlachtfeld beliebt bei Soldaten.

"Der Mord an Prigoschin wird katastrophale Folgen haben."

Roman Saponkow, Militärjournalist

Der kremltreue russische Fernsehsender Zargrad stellte ebenfalls den Verdacht eines Mordkomplotts gegen Prigoschin in den Raum. Er gab aber dem ukrainischen Militärgeheimdienst die Schuld am Absturz des Flugzeugs.

Verortung Absturzstelle © dpa-infografik GmbH

Biden: Putin steckt hinter vielen Dingen in Russland

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in Kiew, es sei offensichtlich, dass Putin niemandem für jene Angst vergeben werde, die ihm die Meuterei eingeflößt habe. Prigoschins Schicksal sei ein Signal an die russische Elite, dass jede Illoyalität mit dem Tod bestraft werde. "Prigoschin hat in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben", sagte Podoljak der "Bild"-Zeitung am Mittwochabend. Der Aufstand habe Putin "erschreckt". "Putin verzeiht niemandem seine eigene Angst", fügte er hinzu.

"Prigoschin hat in dem Moment, als er 200 Kilometer vor Moskau stehen blieb, sein eigenes Todesurteil unterschrieben."

Mychajlo Podoljak, ukrainischer Präsidentenberater

US-Präsident Joe Biden schien sich nicht über Prigoschins Flugzeugabsturz zu wundern. Er wisse nicht genau, was passiert sei, sei aber nicht überrascht, sagte Biden am Rande eines Urlaubs im US-Bundesstaat Kalifornien. Auf die Frage von Reportern, ob der Absturz seiner Ansicht nach auf das Konto Putins gehe, sagte Biden: "Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt." Er wisse aber nicht genug, um die Frage beantworten zu können.

Auch deutsche Politiker wenig überrascht

Auch mehrere deutsche Politiker zeigen sich wenig überrascht. "Dass Prigoschin seinen Angriff auf Putin mit dem Leben bezahlen wird, davon war auszugehen: Ein Teufel, der sich mit dem Teufel einlässt", sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Es zeigt aber auch, dass offensichtlich große Nervosität bei Putin und seinen Schergen im Kreml herrscht."

"Ein Teufel, der sich mit dem Teufel einlässt."

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FPD

CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter vermutet, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Tod des Wagner-Chefs beauftragt hat. "Es war eine Frage der Zeit", sagte er in der Sendung "RTL Direkt" am Mittwochabend. "Dass es jetzt so rasch ging (...) und auch noch zehn weitere Tote in Kauf genommen wurden, zeigt die Brutalität des Systems Putin", erklärte er.

Der CDU-Außenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen sieht Präsident Putin auch nach dem Tod Prigoschins geschwächt. "Entweder Putin oder Prigoschin - das blieb die Lage auch nach dem abgesagten Putsch", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Ob die von Putin enthauptete Wagner-Gruppe sich nun erst recht zur Rebellion formiert oder sich führungslos fügt, ist eine offene Frage. Das Machtsystem Putins aber hat Risse bekommen, und das kann er nicht mehr stoppen."

Baerbock warnt vor Spekulationen über Absturz von Prigoschin-Jet

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hingegen hat vor Spekulationen gewarnt. Der Flugzeugabsturz sei erst einige Stunden her, deswegen könne man "keine schnellen Schlüsse ziehen", sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag im Deutschlandfunk. Der Vorfall unterstreiche aber, "dass ein System, dass eine Macht, dass eine Diktatur, die auf Gewalt gebaut ist, dass sie eben auch intern nur Gewalt kennt". Das habe man "auf traurige, dramatische Art und Weise in den Vorjahren schon gesehen, wo Oppositionelle, wo Journalisten, wo einfache Menschen aus dem Fenster gefallen sind oder vergiftet worden sind".

Zur Zukunft der Söldnertruppe befragt, sagte Baerbock, es sei zu befürchten, "dass Russland mit oder ohne Wagner mit seinem zynischen Spiel, nicht nur in der Ukraine, sondern vor allen Dingen in Afrika weitermacht". Prigoschin und Wagner seien für schreckliche Taten verantwortlich "gegen das ukrainische Volk und in einem Land nach dem anderen in Afrika", so die Außenministerin. "Wo immer Wagner hingeht, folgen Tod und Zerstörung und Ausbeutung."

Prigoschin hatte wichtige Rolle in Russlands Angriffskrieg

Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hatten Prigoschin und die Kämpfer seiner Privatarmee Wagner eine große Rolle gespielt, insbesondere bei der verlustreichen Eroberung der Stadt Bachmut.

Auf den Tag genau zwei Monate vor seinem Tod meuterten die Wagner-Truppen und marschierten auf Prigoschins Geheiß auf Moskau zu, wobei die Hintergründe dieser Ereignisse bis heute unklar sind. Für Russlands Präsidenten Putin, der keine öffentliche Infragestellung seiner Autorität duldet, war es eine beispiellose Erschütterung seiner Machtposition. Er nannte Prigoschin daraufhin einen Verräter. Und selbst wenn sich beide Männer später noch einmal trafen, gingen viele Experten davon aus, dass Putin seinem einstigen Intimus den Ungehorsam nicht verzeihen werde.

Als der heutige Präsident noch in der St. Petersburger Stadtverwaltung arbeitete, soll er in Prigoschins Restaurant eingekehrt sein. Später machte Prigoschin, der mehrere Jahre wegen Raubs in Haft saß, als Essenslieferant für den Kreml Karriere, daher rührt sein Beiname "Putins Koch".

Die von ihm aufgebaute Söldnertruppe Wagner erfüllte für Russlands Staatsmacht erst inoffizielle Spezialaufträge in Syrien, später auch in mehreren Staaten Afrikas und kämpfte schließlich in der Ukraine. Zuletzt meldete sich der Söldnerführer am Montag mit einem Video aus Afrika zu Wort. Unklar ist, was aus den mehreren Tausend Wagner-Kämpfern wird, die nach der Meuterei nach Belarus gegangen sind und nun ihren Anführer verloren haben. (dpa/AFP/sbi/tas)

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