Internationale Zusammenarbeit nützt auch der Sicherheit in Deutschland, findet Svenja Schulze. Im Interview mit unserer Redaktion sagt die Bundesentwicklungsministerin: "Uns geht es darum, Konflikte und Krisen möglichst zu vermeiden. Das lohnt sich."

Ein Interview

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist praktisch für die ganze Welt zuständig – und muss ihre Arbeit doch immer wieder rechtfertigen. In Zeiten knapper Kassen und großer Herausforderungen im Inland werden Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit auch in Deutschland immer wieder hinterfragt.

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Ministerin Svenja Schulze (SPD) erklärt im Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz, warum sie die Zusammenarbeit mit Partnerländern für unverzichtbar hält – ob es sich dabei um die Ukraine handelt oder um Staaten in Afrika.

Frau Schulze, bei der Münchner Sicherheitskonferenz sollte nach Gründen für Optimismus inmitten von Krisen und Kriegen gesucht werden. Ist der Wiederaufbau in der Ukraine so ein Silberstreifen am Horizont?

Svenja Schulze: Ich finde es jedenfalls sehr beeindruckend, wie die Menschen in der Ukraine ihr Land jetzt schon wieder aufbauen. Mitten in einem Krieg reparieren sie Häuser, stellen Strom- und Wasserversorgung wieder her. Wir sind gut beraten, die Männer und Frauen mit aller Kraft dabei zu unterstützen. Ein Großteil der Bevölkerung will ja in der Ukraine bleiben. Das geht aber nur, wenn Kriegsschäden so schnell wie möglich beseitigt werden.

Trotzdem fragen sich hierzulande einige Menschen: Wie sinnvoll ist der Wiederaufbau, wenn der Krieg noch tobt und Russland jeden Tag neue Zerstörungen anrichtet?

Natürlich ist das für uns nur schwer vorstellbar, aber die Ukrainerinnen und Ukrainer schöpfen daraus auch Zuversicht. Und sie brauchen ein Dach über dem Kopf, Strom- und Wasserversorgung, alles, was für das tägliche Überleben wichtig ist. Genauso wie sichere Schulen, damit die Kinder weiter lernen können und eine funktionierende Wirtschaft, um auch in Kriegszeiten ein Einkommen zu haben. Dabei unterstützen wir mit unserer Entwicklungszusammenarbeit.

Nach aktuellen Schätzungen könnte der Wiederaufbau der Ukraine 450 Milliarden Euro kosten. Die Bundesregierung bemüht sich auch um private Investitionen. Offenbar gibt es bei vielen Unternehmen aber Vorbehalte.

Während eines Krieges ist es für Unternehmen natürlich schwierig, neu in ein Land hineinzugehen und etwas aufzubauen. Doch in der Ukraine wird weiter produziert. Dort wird nach dem Krieg ein großer und interessanter Markt entstehen, die Ukraine wird in die Europäische Union integriert werden. Es lohnt sich also zu investieren. Gerade deutsche Unternehmen sind schon sehr aktiv, aber da muss noch mehr passieren. Banken geben wegen des Risikos bisher nur sehr teure Kredite aus. Deswegen unterstützen wir kleine und mittlere Unternehmen auf deutscher und europäischer Ebene, damit sie investieren können.

Aus der Ukraine gibt es Forderungen, auch in Europa eingefrorene Vermögen von Russen für den Wiederaufbau zu verwenden. Wie stehen Sie dazu?

Russland muss mitzahlen für die Schäden, die es anrichtet. Wir müssen aber einen Weg finden, der das juristisch möglich macht. Das ist nicht ganz einfach. Wir sind eine Demokratie und ein Rechtsstaat, deshalb muss es einen rechtsstaatlichen Weg geben. Ich bin aber optimistisch, dass wir europäische Lösungen finden.

Svenja Schulze: "Sicherheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg"

Sie waren am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Was hat Entwicklungszusammenarbeit mit Sicherheit eigentlich zu tun?

Entwicklungspolitik ist nachhaltige Sicherheitspolitik. Uns geht es darum, Konflikte und Krisen möglichst zu vermeiden. Das lohnt sich. Sicherheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Dazu gehören auch Ernährungssicherheit oder eine soziale Absicherung. Ich bin gerade Präsidentin der Sahel-Allianz. In diesem Geberbündnis koordinieren wir die Entwicklungszusammenarbeit, etwa um die Wurzeln von Konflikten und Terror anzugehen oder Jobperspektiven für die vielen jungen Leute in der Region zu schaffen.

Mit den Staaten der Sahel-Region hat Deutschland nicht nur in der Entwicklungspolitik, sondern auch militärisch zusammengearbeitet. Trotzdem kam es in den vergangenen vier Jahren dort zu sieben Militärputschen, zuletzt in Niger. Die Region leidet unter Terrorismus, Konflikten, hartnäckiger Armut. Ist die internationale Zusammenarbeit dort nicht krachend gescheitert?

Man könnte auch andersherum fragen: Was wäre passiert, wenn wir die letzten Jahre nicht dort gewesen wären? Das wissen wir nicht. Entwicklungspolitik kann vor Ort unterstützen, die Situation für die Menschen zu verbessern. Also zum Beispiel eine lokale Verwaltung mit aufzubauen, Transparenz zu fördern, Korruption zurückzudrängen. Das ist auch im deutschen Interesse. Wenn diese Region so instabil und anfällig für Terrorismus bleibt, dann gefährdet das auch unsere Sicherheit in Europa.

Europa ist in Afrika aber nicht ohne Konkurrenz. Auch China und Russland bauen ihren Einfluss aus. Aus Sicht mancher afrikanischen Staaten hat diese Zusammenarbeit einen Vorteil: Russland und China stellen keine Bedingungen bezüglich Demokratie oder Menschenrechten.

Souveräne Staaten suchen sich ihre Kooperationspartner aus. Das darf man nicht moralisch bewerten. In Gesprächen mit unseren Partnerländern wird aber immer stärker deutlich, dass die Zusammenarbeit mit China eben nicht ohne Bedingungen ist. Die afrikanischen Staaten legen sich langfristig fest, ihre Rohstoffe an China abzugeben, anstatt sie selbst zu veredeln und weitere Produktionsstufen aufzubauen. Das ist mit uns anders. Mir wird immer wieder gesagt: Ja, mit den Deutschen ist es anstrengender – aber dafür ist die Kooperation langfristig erfolgreicher.

"Der Entwicklungsetat ist eine Investition, die auch den Menschen in Deutschland nutzt."

Svenja Schulze

Wie kann das in der Praxis aussehen?

Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Welternährungsprogramm in Niger zusammen. Dort versuchen wir, die Wasserversorgung so zu verändern, dass die Landwirtschaft mit Dürre und Trockenheit besser klarkommt. Die Mehrheit der Dörfer, die auf dieses System umgestellt haben, brauchten danach keine humanitäre Hilfe mehr. Das ist wieder ein Beleg dafür: Jeder Euro, der in vorbeugende Maßnahmen fließt, spart am Ende vier bis fünf Euro bei der Beseitigung von Krisen.

Ihr Ministerium muss in diesem Jahr allerdings mit rund einer Milliarde Euro weniger auskommen als im Vorjahr. Wird die Entwicklungszusammenarbeit zur Streichmasse?

Wir mussten in der Koalition abwägen, wie wir das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler möglichst zielführend einsetzen. Vor diesem Hintergrund habe auch ich Kürzungen im Entwicklungsetat zugestimmt. Insgesamt umfasst er für dieses Jahr nun elf Milliarden Euro. Damit trägt mein Ressort besonders umfangreich zur Haushaltskonsolidierung bei. Das ist schmerzhaft, denn der Entwicklungsetat ist eine Investition, die auch den Menschen in Deutschland nutzt – sei es beim Klimaschutz, bei Gesundheit, Migration oder Armutsbekämpfung.

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Über die Gesprächspartnerin

  • Svenja Schulze wurde in Düsseldorf geboren und hat Germanistik und Politikwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum studiert. 2010 bis 2017 war die SPD-Politikerin Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. 2018 bis 2021 führte sie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. In der aktuellen Ampel-Koalition übernahm die Münsteranerin das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).
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