• Ralph Brinkhaus hat Kritik an den jüngsten Corona-Maßnahmen der Kanzlerin und der Ministerpräsidentenrunde geübt.
  • Als Union-Fraktionschef geht Brinkhaus seine Parteikollegin Merkel überraschend deutlich an.
  • Die Spitze der Unionsfraktion entpuppt sich immer mehr als aktuelles Machtzentrum der CDU.

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Kritik aus den Reihen der AfD, der FDP, der Linken und der Grünen ist Angela Merkel gewohnt. Nur selten schaffen es die Oppositionsparteien im Bundestag, die Regierungschefin verbal in die Ecke zu drängen.

Kein Wunder, schließlich führt Merkel eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD an und weiß damit mehr als die Hälfte aller 709 Bundestagsabgeordneten theoretisch hinter sich.

Dass aber ausgerechnet ihr eigener Fraktionsvorsitzender und Parteifreund Ralph Brinkhaus deutliche Kritik an ihr und ihrem Regierungshandeln übt, hat nicht nur die Kanzlerin, sondern auch viele andere Politiker und Beobachter überrascht.

Brinkhaus bemängelt Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern

Nachdem Merkel am Donnerstagmorgen in ihrer Regierungserklärung die neuen beziehungsweise verlängerten Corona-Maßnahmen erläutert hatte, die tags zuvor in der Runde mit den 16 Chefs aus den Bundesländern ausgehandelt worden waren, äußerten zunächst AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel und anschließend FDP-Chef Christian Lindner ihre weitgehend erwartbare Kritik

Dann schritt Ralph Brinkhaus ans Rednerpult – und einiger seiner "fünf Anmerkungen zum gestrigen Gipfel" hatten es in sich. Zwar stimme er insgesamt dem Maßnahmenpaket zu. Nicht in Ordnung finde er allerdings, "wie die Lastenteilung im Bereich Finanzen zwischen Bund und Ländern ist", so der Vorsitzende der Fraktion der 246 Abgeordneten aus CDU und CSU.

"Die Länder kriegen über die Hälfte der Steuereinnahmen mit den Kommunen, und ich erwarte von den Ländern, dass sie sich jetzt auch mal endlich finanziell in diese Sache einbringen und nicht immer nur Beschlüsse fassen und die Rechnung dann dem Bund präsentieren."

Brinkhaus kritisiert Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn

Brinkhaus ging Kanzlerin Merkel sogar ganz direkt an. "Es gibt einen Bereich, Frau Bundeskanzlerin (…), der nicht in Ordnung ist: dass dort finanzielle Beschlüsse getroffen werden, ohne den Bundestag zu konsultieren. Das Haushalts- und Budgetrecht hat der Deutsche Bundestag. Ich frage mich, auf welcher Rechtsgrundlage dort entschieden wird, dass Hilfen verlängert werden."

Zudem sei es zwar richtig gewesen, weitere Einschränkungen der persönlichen Kontakte zu beschließen und die Maskenpflicht auszuweiten, sagte Brinkhaus. Eine einheitlichere Strategie für Hotspots mit hohen Infektionszahlen wäre aber besser gewesen.

Auch im Bereich der Schulen gebe es "noch Potenzial". Es fehlten darüber hinaus flächendeckende, überzeugende Strategien für Pflegeheime und Corona-Schnelltests - eine deutliche Spitze gegenüber Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, bekanntlich ebenfalls aus der CDU.

Lockerungen auch an Silvester als "doppeltes Risiko"

Er habe sich konsequentere Maßnahmen gewünscht. "Dieses scheibchenweise Immer-einen-draufsetzen, das zermürbt uns doch alle", sagte Brinkhaus. "Führen in der Krise heißt eben auch, den Menschen was zuzumuten."

Bezogen auf die derzeit gültigen Einschränkungen, fügte Brinkhaus tags darauf im SWR an: "Ich hoffe wirklich, dass es reicht. Aber ich habe die Befürchtung, dass es nicht reichen wird." Dass es für die Hotspots, also die Orte mit besonders hohen Infektionszahlen, keine bundeseinheitliche Strategie gebe, sei betrüblich. "Das auf die lokalen Gesundheitsämter zu delegieren, führt zu Überforderung."

Als "ambitioniert" hatte es Brinkhaus bereits in seiner Rede im Bundestag bezeichnet, schon jetzt Lockerungen für Weihnachten und Silvester zu versprechen, obwohl noch unklar sei, wie sich die Infektionszahlen im Dezember entwickeln werden.

"Ob man Weihnachten und Silvester zusammen mit Lockerungen belegen muss, weiß ich nicht. Das ist ein doppeltes Risiko", fügte Brinkhaus hinzu.

Ohne Brinkhaus geht derzeit nichts bei der CDU

Auffällig ist, wie Brinkhaus in den letzten Wochen das in der CDU vorhandene Machtvakuum zunehmend ausfüllt. "An ihm führt derzeit kein Weg vorbei", sagt jemand aus Brinkhaus' engstem Umfeld, der nicht genannt werden will.

Bei seiner Wahl zum Fraktionsvorsitzenden hatte sich Brinkhaus im September 2018 überraschend gegen den langjährigen Fraktionschef und Merkel-Vertrauten Volker Kauder durchsetzen können.

Die scheidende Annegret-Kramp-Karrenbauer kann oder will die CDU nicht mehr so führen, wie es einer Parteichefin angemessen wäre. Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen bewerben sich zwar um ihre Nachfolge, haben aber - bis auf NRW-Ministerpräsident Laschet - (noch) keine Entscheidungsbefugnisse.

Brinkhaus als entscheidendes Puzzleteil im Berliner Machtzirkel

In der Corona-Pandemie werden die entscheidenden politischen Maßnahmen in einem relativ kleinen Berliner Zirkel getroffen, wie unsere Redaktion aus dem Umfeld der Unionsfraktion erfuhr. Kanzlerin Merkel, Finanzminister Olaf Scholz, Kanzleramtsminister Helge Braun, Union-Fraktionschef Brinkhaus und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, so ist zu hören, bilden den Zirkel, an dem vorbei keine wesentliche Corona-Maßnahmen zu treffen ist.

Brinkhaus ist in der CDU sehr gut verzahnt und hat nicht nur als Vorsitzender des Bezirksverbands Ostwestfalen-Lippe (OWL) einen direkten Draht zur Parteibasis. Kein Wunder, dass sich so mancher Brinkhaus auch gut auf dem Chefsessel der Partei vorstellen könnte.

Öffentlich äußerte das zuletzt Christian Hirte. Der thüringische CDU-Landeschef sagte Anfang November dem Spiegel, in der CDU gebe es viele tolle Persönlichkeiten, die für "höchste Spitzenämter geeignet" seien. "Ganz sicher gehört auch der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus dazu", so Hirte.

An Spekulationen wolle er sich nicht beteiligen, wehrte Brinkhaus damals Nachfragen zu einer möglichen Kandidatur um den Parteivorsitz ab. Er sei derzeit "24 Stunden am Tag" mit der Coronakrise beschäftigt. "Insofern stellt sich die Frage jetzt nicht, Punkt." Er ließ damit allerdings offen, ob sich die Frage einer Kandidatur für ihn in Zukunft stellen könnte.

Verwendete Quellen:

  • www.bundestag.de: Plenarprotokoll von Donnerstag, den 26. November 2020
  • Agenturmaterial von dpa und afp
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Angela Merkel und Michael Müller

Schärfere Corona-Regeln beschlossen - Lockerung an Weihnachten

Die erhoffte Trendwende im Kampf gegen die Corona-Pandemie ist im November ausgeblieben - deswegen müssen sich die Menschen auf noch strengere Auflagen einstellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder einigten sich am Mittwoch auf einen Katalog von Maßnahmen für die Wintermonate. Auch wenn für menschliche Begegnungen an Weihnachten die Auflagen gelockert werden sollen - eine Rückkehr zur Normalität ist nicht in Sicht. Fotocredit: picture alliance/Odd Andersen/AFP/POOL/dpa
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