Social-Media-Plattformen dürften im Bundestagswahlkampf eine größere Rolle für die Parteien spielen – immer wieder werden über Tiktok, X und ähnliches aber auch Falschnachrichten gestreut. Ist Deutschland anfällig für Desinformationskampagnen?
Einwanderer essen Katzen und Hunde und die Wahlzettel wurden bereits vor der Wahl ausgefüllt. Falschnachrichten und Desinformationskampagnen wurden im US-Wahlkampf massenweise verbreitet. Hilfreich dabei: Social Media. Auch Deutschland ist anfällig für solche Kampagnen.
"Einmischungen von außen – insbesondere von Russland-nahen Akteuren – gibt es immer wieder. Solche gestreuten Falschinformationen werden auch weiter eine Rolle spielen", sagt Christoph Bieber dazu. Bieber forscht am CAIS, einem Institut für Digitalisierungsforschung. Besonders problematisch könnten diese Kampagnen aus seiner Sicht werden, wenn beispielsweise mittels Künstlicher Intelligenz Deepfakes hergestellt und Stimmen geklont würden.
Russische Falschinformationen finden immer wieder ihren Weg in die Debatte
Bereits in der Vergangenheit haben von Russland gestreute Narrative ihren Weg in WhatsApp-Gruppen und X-Timelines gefunden. Etwa Erzählungen über Boni, die ukrainische Geflüchtete vom Jobcenter erhalten sollen oder das deutsche Bürgerinnen und Bürger einen Solidaritätszuschlag an die Ukraine von ihrem Gehalt abgeben sollen.
Faktenchecks machten deutlich: Die Meldungen waren falsch. Bekannt wurde kürzlich durch eine gemeinsame Recherche von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" zudem: Die Kreml-nahe Nachrichtenagentur SDA hat einen konkreten Plan, wie mittels solcher Desinformationskampagnen Angst und Unruhe gestreut werden soll.
Social-Media-Plattformen fungieren als Brandbeschleuniger
Nicht selten verbreiten sich solche Falschnachrichten über Social Media. Tiktok und X gelten außerdem als rechte Echokammern. Unter Elon Musk ist X zum selbsternannten Vorreiter der Meinungsfreiheit geworden. Kritischere Stimmen würden in dem Zusammenhang eher von Hass und Falschinformationen sprechen.
Elon Musik sieht sich aus Sicht von Jan-Hinrik Schmidt als Meinungsführer, der X dafür nutzt, Stimmungen aufzugreifen und Debatten in die Welt zu setzen. Schmidt ist Soziologe und forscht am Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt zum Thema Social Media. Unter
Der Soziologe sieht ebenfalls die Gefahr, dass sich Akteure von außerhalb in den deutschen Wahlkampf einmischen könnten. Gerade von russischer Seite nimmt der Experte "konzertiertes Befeuern von Desinformationen" durch "ständiges Einspeisen von Falschinformationen" wahr. Durch die schiere Masse könne ein demokratisches Gegenhalten und Aufklären erschwert werden.
"Wenn die Menschen irgendwann sagen, sie wissen nicht mehr, was sie glauben sollen, dann ist das Ziel erreicht", sagt Schmidt dazu. Hinzukomme, dass es mittlerweile punktuell Belege für eine Einflussnahme auf Parteien gebe – im Vorfeld der Europawahl stand etwa der AfD-Politiker Petr Bystron in der Kritik, Geld von Russland angenommen zu haben.
Mobilisierungspotenzial von Social-Media-Plattformen ist hoch
Auch Tiktok spielt eine Rolle im Wahlkampf. Demokratische Parteien haben lange gewartet, ehe sie die Plattform bespielt haben: "Parteien fremdeln nach wie vor mit digitalen Plattformen, insbesondere mit Tiktok. Was wir gerade sehen, ist ein Erwachen mit Schrecken, gerade bei einer vorgezogenen Wahl", sagt Bieber dazu.
Ausnahme bilde hier die AfD: Bei Social Media gehe es um Graswurzel-Arbeit – also darum, dass viele einzelne Accounts Beiträge teilen und so noch mehr Reichweite generieren.
Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung "Gegen Hass im Netz" kommt zwar zu dem Schluss, dass die digitale Performanz der Partei oftmals überschätzt würde – einen "Boost" erhalte die AfD aber durch die Weiterverbreitung rechter und extrem rechter Akteure.
Auf dem Kurznachrichten-Dienst Telegram werden für ebendiese Verbreitung durch Einzelaccounts bereits zugeschnittene Videos von Alice Weidel oder Björn Höcke verbreitet, die sich User für die jeweiligen Plattformen vorbereitet herunterladen können. Diese Form der Darstellung hat aus Sicht der Präsidentin des bayrischen Landtags, Ilse Aigner (CSU), auch die Arbeit im Parlament verändert. Im Interview mit unserer Redaktion erklärte die Politikerin jüngst, das Parlament werde als Social-Media-Bühne genutzt.
Politische Inhalte lassen sich über Social Media besonders schnell verbreiten
Neben X und Tiktok werden aus Sicht von Schmidt auch Facebook und Instagram wichtig für die Wahlkampfstrategien der Parteien bleiben. Das Mobilisierungspotenzial sei auf den Plattformen hoch, welchen Einfluss die Plattformen tatsächlich auf den Wahlkampf haben werden, bleibe aber abzuwarten. Klar sei aber: "Wenn ich möchte, dass Botschaften von mir weitergetragen werden, dass Leute mit meinen Positionen in Kontakt kommen, sind sozialen Medien ein ganz wichtiger Teil", sagt Schmidt. Sprich: Parteien brauchen keine Interviews oder ähnlichen Beiträge mehr, um mit ihren potenziellen Wählern in Kontakt zu treten.
Bieber sagt dazu: "Die Verbreitung ist schneller, günstiger und weniger aufwändig als über die traditionellen Wege mit Flyern und Werbespots." Je mehr kundige Menschen eine Partei in ihren Reihen vorfinde, desto schneller käme sie mit ihrem Programm auch an die Wählerinnen und Wähler.
Ein weiterer Vorteil aus Sicht von Bieber: Die Parteien erreichen über die digitalen Medien ein Publikum, das ansonsten möglicherweise überhaupt nicht wählen würde. "Die AfD ist nicht auf Tiktok, um Grünen-Wähler zu überzeugen – es geht darum, Menschen, die der AfD entweder gewogen oder bislang nicht politisiert sind, mit der eigenen Politik in Berührung zu bringen und in die eigene Kampagne einzubinden", sagt Bieber.
Experten sehen demokratische Parteien und herkömmliche Medien in der Pflicht
Was lässt sich dagegen tun? Bieber fordert aber die Parteien auf, "eine Art Gentlemen's oder Gentlewomen's Agreement" zu treffen. Damit meint er: Die Parteien sollten sich darauf einigen, die Finger von Deepfakes und digitalen Falschmeldungen über die politischen Gegner zu lassen.
Schmidt plädiert zudem dafür, dass der Regulierungsdruck auf die Plattformen weiter hochgehalten werden müsse – auch wenn das auf den kurzen Wahlkampf wohl keine Auswirkungen mehr haben dürfte. "Im Wahlkampf wird es nun auf Fact-Checking-Organisationen ankommen, die besonders weit zirkulierende Falschnachrichten einordnen", sagt Schmidt.
Wichtig sei außerdem, dass die herkömmlichen Medien nicht auf die Desinformationen und Provokationen anspringen. "Das hört sich abstrakt an, aber Falschinformationen entfalten ihre Macht dann, wenn sie verfangen und Teil des breiten gesellschaftlichen Diskurses werden."
Schmidt nennt in diesem Zusammenhang die Erzählung von Donald Trump über die angeblich Haustier-essenden Einwanderer. Ein Narrativ, das verfing. Gut möglich also, dass auch im deutschen Wahlkampf falsche Erzählungen weiterhin eine Rolle spielen werden. Um diese Fakenews und Desinformationen zu enttarnen, sollten sich Bürgerinnen und Bürger, wie Politikerinnen, Politiker und Medienschaffende kritisch mit Informationen auf Social Media auseinandersetzen.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Jan-Hinrik Schmidt
- Gespräch mit Christoph Bieber
- Correctiv.de: "Nein, die Deutschen müssen nicht fünf Prozent ihres Gehalts an die Ukraine abgeben"
- Correctiv.de: "Nein, ukrainische Geflüchtete erhalten keinen 250-Euro-Bonus vom Jobcenter"
- tagesschau.de: "Tiefe Einblicke in Putins Lügenmaschine"
- wdr.de: "Alternative für Russland? Die AfD und der Kreml"
- otto-brenner-stiftung.de: "Social-Media-Partei AfD? Analyse ihrer digitalen Landtagswahlkämpfe 2024"
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