Die CSU-Politikerin Ilse Aigner ist Präsidentin des Bayerischen Landtags – und damit die Schiedsrichterin im Parlament. Sie beobachtet, dass sich die Debattenkultur verändert hat. Ein Gespräch über Populismus von links und rechts, überzogene Attacken auf die Grünen und die Frage, ob es sie wieder nach Berlin zieht.
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Seit 2018 ist sie Präsidentin des Landtags. Ein Job, der ihr Freude bereitet. Und bei dem sie aus nächster Nähe mitbekommt, wie es um die demokratischen Gepflogenheiten im Parlament steht.
Frau Aigner, die AfD ist bei der letzten Landtagswahl stärkste Oppositionsfraktion in Bayern geworden. Wie hat sich das Klima im Parlament dadurch verändert?
Ilse Aigner: Der Ton ist schon vorher schärfer geworden. Wir merken das, seit die AfD 2018 in den Landtag eingezogen ist. Aber auch bei den anderen Parteien sind die Reaktionen heftiger geworden. Ich bin schon ein paar Jahre länger im Parlament: Dieses Ausmaß hat es aber über Jahrzehnte so nicht gegeben. Die Zahl der Rügen ist so gestiegen, dass wir bei den Strafen nachschärfen mussten.
Was heißt das?
Es gibt jetzt ein dreistufiges Verfahren. Erstmal gibt es einen Ordnungsruf. Das ist wie eine gelbe Karte beim Fußball. Beim zweiten Verstoß kann ein Ordnungsgeld von bis zu 2.000 Euro anfallen. Im Wiederholungsfall in derselben Sitzung können es bis zu 4.000 Euro werden. Letzter Schritt wäre der Ausschluss aus der Sitzung. Das hat Wirkung gezeigt. Seit es um den eigenen Geldbeutel geht, ist es ruhiger geworden.
Die CSU sieht sich in Bayern als die Staatspartei. Warum ist es ihr nicht gelungen, die AfD kleinzuhalten?
Das liegt daran, dass eines der AfD-Hauptthemen noch nicht befriedigend gelöst ist. Nämlich die Frage der Migration und das damit einhergehende Gefühl sozialer Ungerechtigkeit und einer Schieflage in Sicherheitsfragen. Dazu kommen viele andere Entscheidungen, die bei den Menschen nicht angekommen sind. Da wird Cannabis legalisiert oder ein Selbstbestimmungsgesetz erlassen, um Vorname und Geschlecht zu ändern. Beides geht an der Mehrheit vorbei und lässt den Eindruck entstehen, dass die wirklich wichtigen Fragen ungelöst bleiben.
Glauben Sie wirklich, dass die AfD verschwindet, wenn das Migrationsthema gelöst ist? Zumal unklar ist, was das überhaupt heißen soll.
Nein, die Partei hat sich in ihrer eigenen Blase verfestigt. Das hat auch mit Corona zu tun. In der Pandemie hat es in vielen Bereichen eine Verschiebung des Weltbildes bei ihren Anhängern gegeben. Aber es gibt viele, die nur aus Protest die AfD wählen. Die wollen Denkzettel verteilen.
Die Forschung sagt etwas anderes – nämlich, dass die AfD Wählerpotential rechts abschöpft, das es schon immer gab. Die Protestwahlthese scheint widerlegt. Wie viele lassen sich also wirklich zurückholen?
Ich kann Ihnen keine Prozentzahlen sagen. Aber ich gehe davon aus, dass einige Wähler wechselbereit sind, wenn sie sehen: Da gibt es jemanden, der die Probleme wirklich angeht. Dazu zählen auch die Energiefrage und das Wirtschaftswachstum. Oder der Eindruck, dass mit dem Bürgergeld Nichtstun belohnt wird. Gerade die unteren Einkommensschichten sind davon schwer irritiert. Eigentlich klassisches SPD-Klientel, die das ganz deutlich merken.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas findet, dass sich die „Sprache verhärtet“ hat im Parlament. Nehmen Sie das auch so wahr?
Es hat sich schon deshalb etwas geändert, weil sich viel vom Diskurs in die sozialen Medien verlagert hat. Ich habe den Eindruck, dass Debatten deshalb oft nicht mehr im Sinne einer Auseinandersetzung geführt werden. Es geht oft nicht darum, irgendjemanden zu überzeugen.
Sondern?
Dass das Parlament als Social-Media-Bühne genutzt wird. Man kann das etwa an den Zwischenfragen feststellen. Früher hieß es da: Was sagen Sie zu diesem oder jenem Thema? Jetzt wird immer explizit auf den Redner oder die Rednerin und die jeweilige Partei verwiesen, um die Antwort in Ausschnitten in den sozialen Medien posten zu können. Diese Schnipsel werden dann weiterverbreitet, um den politischen Gegner in ein schlechtes Licht zu rücken. Ein Schneeballsystem.
Wie gehen Sie als Parlamentsschiedsrichterin damit um?
Dagegen können Sie nichts machen, solange sich eine Zwischenfrage im Rahmen des rechtlich Zulässigen bewegt. Nur die Strategie dahinter ist klar erkennbar.
Ist unsere politische Kultur in Gefahr?
Ja, vor allem durch Soziale Medien: Die sind Eins-Zu-Eins-Kommunikation. Es gibt keine Filter mehr – etwa durch Journalisten, die Aussagen einordnen und einer Überprüfung unterziehen. Dadurch entstehen Echokammern, es ist ganz schwer, da durchzudringen. Hinter dieser Entwicklung stecken auch nicht nur Abgeordnete, es gibt ganze Trollfabriken. So verändert sich politische Kultur – zum Schlechteren.
Sind Demokraten besonders gefordert, einen pflegsameren Umgang miteinander an den Tag zu legen?
Ich werbe für harte inhaltliche Auseinandersetzungen und gleichzeitig persönlich gut miteinander umzugehen und sich nicht als Menschen anzugreifen.
Ist es dann klug, wenn
Eine solche Kategorie würde ich nicht benutzen. Markus Söder thematisiert Entscheidungen, die die Grünen vorantreiben – und die nicht unserer Linie entsprechen.
Man kann die Politik der Grünen ablehnen, aber sie sind keine Gegner der Demokratie. Nochmal: Hat ein bayerischer Ministerpräsident nicht auch eine Verantwortung, mit einem demokratischen Mitbewerber differenzierter umzugehen?
Wenn Sie Markus Söder zuhören, erkennen Sie einen deutlichen Unterschied in der Art, wie er die AfD adressiert und wie er es bei den Grünen tut. Bei seiner Rede im Bundestag konnte man das jüngst wieder sehen. Aber es bleibt dabei: Man muss thematische Unterschiede auch klar ansprechen können.
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Hat die demokratische Mitte überhaupt Rezepte, um gegen den verschärften Ton und die erstarkenden Ränder vorzugehen?
Wir haben gute Argumente und
Friedrich Merz ist in der Vergangenheit immer wieder für als populistisch empfundene Äußerungen kritisiert worden und musste dann zurückrudern. Etwa bei der Aussage, Asylsuchende würden nur nach Deutschland kommen, um sich hier die Zähne machen zu lassen.
Man muss diese Dinge adressieren können. Nehmen Sie die Sache mit den jungen Männern in den Schulen.
CSU-Politikerin Aigner: "Die AfD stellt Menschen unter Generalverdacht"
Sie meinen Schüler aus Migrationsfamilien, die Merz einmal als „kleine Paschas“ bezeichnet hat.
Ich wollte das jetzt gar nicht wiederholen, aber ja. Das spiegelt den Erfahrungshorizont aus manchen Schulen sehr wohl wider. Reden Sie mal mit Lehrerinnen an Schulen in bestimmten Vierteln, dann werden Sie sehen, was da teilweise für ein Frauenbild verbreitet wird.
Man kann darüber politisch streiten. Aber die Frage bezog sich auf den Ton der Diskussion. Vergreifen sich Friedrich Merz und Teile der Union da nicht?
Nein. Ich sehe da eine andere Konnotation und Differenzierung als bei radikalen Parteien wie der AfD. Die werfen alle pauschal in einen Topf und stellen Menschen, die anders aussehen, unter Generalverdacht. Das macht die Union definitiv nicht.
Ihr Parteichef Markus Söder wäre gerne Kanzlerkandidat der Union geworden und nach einer gewonnenen Wahl nach Berlin gegangen. Zieht es Sie auch wieder in die Hauptstadt?
Nein, ich war schon Bundesministerin und das kann ich definitiv ausschließen.
Es gibt Gerüchte, dass Sie die Nachfolge von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier antreten könnten.
Das ehrt mich sehr. Aber aktuell steht das nicht an und der Respekt – auch vor Frank-Walter Steinmeier persönlich –, gebietet es, über dieses Amt nicht zu spekulieren.
Über die Gesprächspartnerin
- Ilse Aigner wurde 1964 im oberbayerischen Feldkirchen geboren. Die CSU-Politikerin ist seit November 2018 Präsidentin des Bayerischen Landtags, zuvor war sie u.a. Landesministerin unter Markus Söder und Horst Seehofer. Und: Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im schwarz-gelben Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In der CSU ist Aigner Vorsitzende des größten Bezirksverbandes Oberbayern.
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