Die Hamburger haben eine neue Bürgerschaft gewählt - in politisch stürmischen Zeiten. Auch auf Bundesebene hatten die Parteien die Abstimmung in der Hansestadt mit Spannung verfolgt. Was können sie aus dem Ergebnis lernen?

Eine Analyse

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1. Die SPD kann noch Wahlen gewinnen

Selbst ein Verlust von rund sechs Prozentpunkten fühlt sich für die Sozialdemokraten wie ein klarer Sieg an. Mit 39 Prozent ist die SPD in der Hansestadt klar stärkste Kraft geblieben - und das, obwohl die Konkurrenz im linken Lager ebenfalls hinzugewonnen hat.

Parteichef Norbert Walter-Borjans erklärte den Sieg am Wahlabend auch mit dem "klaren Kompass", den die Bundespartei derzeit habe. Oskar Niedermayer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, glaubt dagegen nicht, dass die Bundespartei sich mit diesem Erfolg schmücken kann.

"Die Hamburger SPD hat diesen Sieg explizit gegen die Bundespartei errungen", sagt Niedermayer im Gespräch mit unserer Redaktion. "Man hat die beiden Vorsitzenden willentlich nicht für den Wahlkampf eingeladen und sich auch inhaltlich von der Bundesspitze abgesetzt."

Die SPD hat im Wahlkampf unter anderem mit dem Thema Wohnen punkten können: Das hatten die Sozialdemokraten in der Hansestadt bereits auf die Agenda gesetzt, als es noch nicht im ganzen Land diskutiert wurde. Bürgermeister Peter Tschentscher und sein Vorgänger – der heutige Vizekanzler Olaf Scholz – stehen aber auch für einen Kurs der Mitte.

"Die Bundespartei könnte von der Hamburger SPD lernen, dass man mit der Linie von Olaf Scholz Wahlen gewinnen kann", glaubt daher Oskar Niedermayer. Tschentscher habe die wirtschaftsfreundliche Politik seines Vorgängers eindeutig weitergeführt. "Ich glaube aber nicht, dass das in Berlin zu einem Umdenken führt", so Niedermayer.

2. Eine hausgemachte Niederlage für die CDU

Unter Ole von Beust haben die Hamburger Christdemokraten 2004 noch die absolute Bürgerschaft geholt, jetzt ist die Partei auf einen historischen Tiefstand gesackt. Spitzenkandidat Marcus Weinberg suchte die Gründe dafür vor allem weit weg – in Thüringen und Berlin: Das Chaos um die Ministerpräsidentenwahl in Erfurt und die darauffolgende Führungskrise in der Bundespartei hätten ihm den Wahlkampf verhagelt. "Wenn wir hier hart gekämpft haben im Regen, kam der Orkan noch dazu", sagte Weinberg in der ARD.

Er selbst konnte allerdings auch nicht überzeugen: Bei den persönlichen Zustimmungswerten der Spitzenkandidaten lag Weinberg sogar nur auf dem vierten Platz. Politikwissenschaftler Niedermayer hält auch bei der CDU den bundespolitischen Einfluss eher für begrenzt: "Wir wissen, dass bei Landtagswahlen für die überwiegende Mehrheit der Wähler die Landespolitik entscheidend ist – für Stadtstaaten gilt das in besonderem Maße."

Die Hamburger CDU sei von den Wählern schlecht bewertet worden und habe kein Alleinstellungsmerkmal gehabt, das sie vermarkten konnte. "Sie hat sich von SPD, Grünen und FDP nicht deutlich genug abgehoben."

3. Ein neuer Erfolg für die Grünen - und ein altes Problem

Sie haben den Stimmenanteil verdoppelt, eines der bundesweit besten Landtagswahlergebnisse in der Parteigeschichte erreicht. Und im nächsten Hamburger Senat wird die Partei wohl Posten hinzubekommen: Die Grünen können mit den Ergebnissen der Bürgerschaftswahl also zufrieden sein.

Trotzdem gibt es aus Sicht von Niedermayer auch einen Wermutstropfen: Die Partei liegt deutlich hinter der SPD. "Wahlergebnisse werden nicht nur am vorherigen Ergebnis gemessen, sondern auch an den Erwartungen an eine Partei."

Diese Erwartungen an die Grünen waren groß – zum Jahreswechsel sah es kurz so aus, als könnte die Partei in Hamburg sogar auf Platz eins und Spitzenkandidatin Katharina Fegebank als Erste Bürgermeisterin im Rathaus landen.

Dazu kam es nicht. Kurz vor den Wahlen haben die Grünen ein paar Prozentpunkte Zustimmung eingebüßt. In Hamburg hat die Partei auf den letzten Metern möglicherweise noch an SPD und Linke verloren. "Bei wichtigen Themen wie Elbvertiefung, autofreie Innenstadt oder Vermummungsverbot hat die Partei eher einen Schlingerkurs hingelegt", sagt Niedermayer. "Das hat womöglich Wähler an beiden Seiten verschreckt."

Die Partei habe auch im Bund ihren Zenit überschritten, sagt der Parteienexperte. "Sie hält sich in Umfragen zwar auf einem hohen Niveau, aber die Werte steigen nicht mehr." Die Grünen können aus Hamburg also lernen: Sie werden sich weiter strecken müssen, wenn sie auch im Bund den ganz großen Wahlerfolg anpeilen.

4. Die AfD kann auch verlieren

AfD-Anhänger konnten am Sonntagabend aufatmen. Kurz hatte es so ausgesehen, als würde die Partei unter die Fünf-Prozent-Hürde rutschen und aus der Bürgerschaft fliegen. Dazu kam es dann doch nicht. Trotzdem hat die AfD eine bisher ungewohnte Erfahrung gemacht: Erstmals hat sie bei einer Abstimmung im Vergleich zur vorigen Wahl Stimmen verloren.

Das hat auch mit den Ereignissen in Hanau zu tun, wo in der vergangenen Woche ein Rassist neun Menschen mit Migrationshintergrund, seine Mutter und sich selbst erschossen hat. "Die letzten Tage des Wahlkampfs waren für die AfD von der Frage geprägt, ob sie eine Mitschuld an den Ereignissen von Hanau trägt", sagt Niedermayer. "Ich glaube schon, dass das einige bürgerliche Protestwähler zum Umdenken gebracht hat."

Zudem hat das Thema Zuwanderung, auf das die Partei immer noch setzt, im Hamburger Wahlkampf nur eine Nebenrolle gespielt. Bei den bestimmenden Themen Umwelt, Verkehr und Bildung konnte die AfD offenbar kaum punkten.

Läutet die Bürgerschaftswahl vielleicht sogar eine allgemeine Trendwende weg von den Rechtspopulisten ein? Politikwissenschaftler Niedermayer glaubt das nicht: "Man hat ja gesehen, welche Ergebnisse sie in den ostdeutschen Bundesländern geholt haben."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Freie Universität Berlin
  • Hamburg.de: Bürgerschaftswahl
  • Wahl.Tagesschau.de: Bürgerschaftswahl Hamburg 2020
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