Wie hat die Bundespolitik die Landtagswahl in Bayern beeinflusst und was bedeutet ihr Ergebnis für die Parteien, im Freistaat wie im Bund? Fünf Lehren aus dem Bayern-Beben.
Die bayerischen Bürger haben gewählt - und dabei zwei Parteien einen Denkzettel verpasst. Es sind die Koalitionäre aus Berlin, die in München herbe Verluste einstecken mussten. Das sagt viel über den Zustand der Volksparteien aus.
Der größte Gewinner der Wahl sind die Grünen, die in Bayern nun das linke Lager anführen. Große Freude auch bei den Freien Wählern, die nun wohl mit der CSU eine Regierung bilden werden - und dafür gesorgt haben, dass die AfD doch schwächer geblieben ist als erwartet.
Fünf Lehren aus der Bayernwahl
1. Berlin, Berlin, nicht alles dreht sich um Berlin
Der Sündenbock ist kein Herdentier, pflegte der Ex-CSU-Chef Erwin Huber zu sagen. An diesem desaströsen Wahlabend, an dem die Christsozialen sich auf die Suche nach den Schuldigen an ihrer historischen Pleite machen, scheint auch klar: ein Berliner Bär ist er ebenfalls nicht.
Nur zwölf Prozent der Befragten im RTL-Trendbarometer sagten, die Bundespolitik sei für ihre Wahlentscheidung wichtiger gewesen als die Landespolitik. 52 Prozent machten ihr Kreuz wegen der Politik in Bayern. Die Probleme der Verlierer sind also hausgemacht.
Wenn die CSU - und auch die SPD - dennoch mit dem Finger in die Hauptstadt zeigen, sei das allerdings verständlich, sagt der Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle von der Universität Freiburg im Gespräch mit dieser Redaktion: "Es ist eben einfach, die Schuld in Berlin zu suchen."
Für Jäckle hat die Großwetterlage in Berlin und der Streit zwischen den Koalitionsparteien eine Rolle gespielt. Er sieht die Gründe für die CSU-Schlappe zu 50 Prozent in Berlin, zu 50 Prozent in München. Vor allem das Führungspersonal muss sich die Pleite ankreiden. "Söder ist nicht beliebt, besonders bei den weiblichen Wählern kommt er nicht gut an. Er hat außerdem falsche Prioritäten gesetzt."
Die Umfragen bestätigen das: Nur 49 Prozent halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten, seine Werte für Sympathie und Glaubwürdigkeit haben sich seit Anfang des Jahres dramatisch verschlechtert.
Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle hätte sich erwartet, dass Söder sofort die Konsequenzen zieht. "Das tut er offenbar nicht, aber er wird mit einer Hypothek in die Amtszeit gehen." Auch Parteichef
2. Es ist mehr als eine Wahlschlappe für die CSU
Der entscheidende Grund für das Bayern-Beben liegt laut Jäckle in einem Wandel der Wählerstruktur. Ex-CSU-Ministerpräsident
Dabei habe er teilweise recht, sagt Jäckle: "Es kamen seit 2010 fast eine Million Menschen aus dem Bundesgebiet, eher jung, eher gut gebildet, nicht die Kernwählerschaft der CSU."
Außerdem setzt sich ein Trend fort, der seit Jahren in der Forschung als "das Ende der Volksparteien" diskutiert wird. Er hat nun auch die stolze CSU erreicht. "Die Zeit der Volksparteien ist endgültig vorbei", sagt auch Jäckle. "Die Wahlen werden in der Mitte nicht gewonnen, sondern verloren."
Das könnte bedeuten: Die absolute Mehrheit ist nicht nur für den Moment weg, sondern vielleicht auch auf lange Sicht. Ist Bayern also vielleicht sogar verloren für die CSU? "Na ja, die CSU bleibt ja stärkste Partei", sagt Jäckle. "Aber die absolute Mehrheit zurückzuerobern, wird schwierig.
Die AfD wird nicht verschwinden wie die Piraten. Die Grünen haben nicht nur in den Städten gewonnen, sondern auch auf dem Land wertkonservative Wähler angesprochen. Und die Freien Wähler haben sich als "anständige" CSU erfolgreich positioniert.
Ein Blick auf die Stärke der Lager könnte der CSU Hoffnung geben: Die Gewinne und Verluste von SPD und Grünen gleichen sich ungefähr aus, einen Linksrutsch hat es nicht gegeben am Sonntag. Und auch im bürgerlich-konservative Block hat es nur Verschiebungen gegeben – wenn man die AfD in dieses Lager einschließt.
Jäckle tut es nicht. "Es ist ein Wandel im Parteiensystem, die AfD kann man nicht einfach zum bürgerlichen Lager zählen. Sie speist ihren Wahlerfolg aus zwei Strömungen: Die erste sind die rechten bis rechtsextremen, die traditionell zersplittert waren, sich aber nun von einer Partei vertreten fühlen. Die zweite sind vom System enttäuschte Protestwähler."
Zwei Wählerpotenziale also, die sich für die CSU kaum erschließen lassen.
3. Die SPD steht vor dem nächsten Beben
Mit einer "Bleiweste aus Berlin" habe SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen gekämpft, twitterte SPD-Vize Ralf Stegner über das Debakel der Genossen in München. Nur noch einstellig, nur noch fünftstärkste Partei – das sind nicht die Werte einer Volkspartei.
SPD-Chefin
Umso mehr, wenn die Landtagswahlen in Hessen in zwei Wochen ähnlich enttäuschend verlaufen. Sebastian Jäckle formuliert es so: "Entweder SPD-intern ändert sich etwas oder die SPD entscheidet sich für ein Groko-Ende mit Schrecken statt für drei weitere Jahre Schrecken ohne Ende."
4. Die Grünen führen das linke Lager an
Schon vor sieben Jahren fragte der "Spiegel" auf seinem Titel, ob sich die Grünen zur neuen Volkspartei entwickeln können. Am Sonntagabend feierte die einstige Strickpulli-und-Friedenstauben-Partei einen überwältigenden Erfolg im konservativen Bayern und die Frage stellt sich erneut.
In den Städten über 100.000 Einwohner sind sie mit 30 Prozent sogar die stärkste Kraft, die CSU holte hier nur 25 Prozent, die SPD 13 Prozent.
Politikwissenschaftler Sebastian Jäckle sieht aber ähnlich wie in Baden-Württemberg auch zunehmend Erfolge auf dem Land: "Sie schaffen es derzeit, die klassisch linken Grünen mit den eher heimatverbundenen, konservativen Grünen zu vereinen."
In Bayern haben die Grünen einen Trend im Bund bestätigt: In den Umfragen liegen sie vor der SPD. Jäckle traut ihnen eine Wachablösung und die Führungsrolle im progressiven Parteispektrum zu: "Das sah man in Bayern: Da haben die Grünen den Flächenverbrauch auf die Agenda gehoben, Freie Wähler und CSU sind nachgezogen. Und die SPD stand stumm daneben. Die SPD ist nicht mehr die innovative Kraft im linken Lager."
5. Die AfD stagniert, um zu bleiben
Der Jubel fiel kurz aus in Mamming, wo die Alternative für Deutschland ihre Wahlparty feierte. Der Einzug in den 15. Landtag in Folge, fast elf Prozent der Stimmen, das ist ein Erfolg, wenngleich ein kleinerer, als erhofft: 20 Prozent hielt Bayerns AfD-Chef Martin Sichert für realistisch.
Wer den Höhenflug der AfD nun allerdings gestoppt sieht, verkennt eine Besonderheit der bayrischen Politlandschaft: Die Freien Wähler besetzen seit Jahren die Rolle als konservative Alternative zur CSU. Sie schnappten sich laut Zahlen von Infratest Dimap 170.000 Stimmen von der CSU, die AfD holte sich 180.000.
Deutlich erfolgreicher war die AfD bei den Nichtwählern, 170.000 Menschen zog sie an. Ein großes Potenzial für künftige Stammwähler.
Sebastian Jäckle hat bei seiner Forschung eine Besonderheit entdeckt: Bei der Bundestagswahl 2017 machte er AfD-Hotspots an den bayrischen Grenzen zu Österreich und Tschechien aus. Regionen also, die weit wegliegen von der Landeshauptstadt, die sich übergangen fühlen von der Münchner Politik.
"Wir haben herausgefunden, dass der Erfolg der AfD eine starke regionale Komponente hat", sagt Jäckle. "Das heißt im Umkehrschluss: Wer sie bekämpfen will, muss sich stärker auf abgehängte Regionen konzentrieren."
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