Das Schrumpfen der Volksparteien nimmt kein Ende. Auch in Bayern müssen sie herbe Verluste hinnehmen. Mit 37,2 Prozent ist die CSU zwar immer noch stärkste Partei im Landtag. Doch für die Partei von Ministerpräsident Markus Söder ist das Ergebnis ein Debakel. Welche Konsequenzen sie nun ziehen muss, damit sie die eingesetzte Erosion stoppen kann – darüber haben wir mir mehreren Experten gesprochen.

Eine Analyse
von Fabienne Rzitki

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Lange Zeit lag die Christlich-Soziale Union in den Umfragen bei 33 bis 35 Prozent. Noch am Wahlabend waren die Befürchtungen groß, dass es noch weiter bergab gehen könnte. Mit einem Minus von gut zehn Prozentpunkten auf 37,2 Prozent schnitt die CSU am Ende zwar besser ab als vermutet, doch gleichzeitig ist es ihr schlechtestes Ergebnis seit 1950. Für die erfolgsverwöhnte und bislang allein regierende Partei ein herber Schlag.

Und doch schaltet die CSU-Spitze in den (Zweck)-Optimismus-Modus. Ministerpräsident Markus Söder nannte das Ergebnis im nationalen und europäischen Vergleich ein "respektables Ergebnis" – sprach zuvor allerdings noch von einem "schmerzhaften Tag".

"CSU feiert Ergebnis als Erfolg"

Politik-Experte Werner Weidenfeld kritisiert, dass die CSU das Ergebnis als Erfolg verkauft. "Eine CSU, die über Jahre absolute Mehrheiten hatte, geht jetzt in der Größenordnung der Fünfziger Jahre unter – und sie verkaufen das als einen Sieg."

Wäre die CSU unter sie 33-Prozent-Marke gerutscht, wären Rücktritte von Söder und Parteichef Horst Seehofer sehr wahrscheinlich gewesen. Dass die Personalien zum aktuellen Zeitpunkt aber kein Thema sind, hat die Führungsriege gleich nach der Wahl klargemacht.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sprach im Interview mit den ARD-"Tagesthemen" von dramatischen Verlusten, die man ernst nehmen müsse. Es brauche eine sorgfältige Ursachenforschung. "Es gibt keine eindimensionale Analyse nur in die eine Richtung", sagte Herrmann. Personaldiskussionen lehnt er vor allem mit Blick auf CSU-Chef Horst Seehofer und seine eigene Personalie zum jetzigen Zeitpunkt ab.

Auch Markus Söder wich Fragen nach der Verantwortung von Seehofer aus. Und Seehofer selbst? Der sagte im ZDF: Natürlich habe ich als Parteivorsitzender auch Mitverantwortung für dieses Wahlergebnis." Über personelle Konsequenzen könne man gerne diskutieren. Für die Niederlage gebe es aber zahlreiche Ursachen – auch in München.

Der CSU-Spitze dürfte allerdings nicht entgangen sein, dass 56 Prozent der Wähler laut Umfrage bei Seehofer die Hauptverantwortung für den Zustand der CSU sehen.

Das kommt nicht von ungefähr: Der CSU-Chef und Bundesinnenminister stand bei sämtlichen Streitereien der vergangenen Monate – ob innerhalb der CSU oder in der großen Koalition – im Zentrum des Geschehens.

Muss Seehofer gehen?

"Seehofer wird das auf Dauer nicht überstehen", sagt Weidenfeld. Das zeigten vergleichbare Ereignisse wie etwa der Rücktritt Erwin Hubers als Parteivorsitzender 2008. Damals blieb die CSU hinter ihren eigenen Erwartungen zurück, erreichte bei der Landtagswahl 43,4 Prozent.

"Es ist nur eine Frage des Timings", sagt Weidenfeld. Vor der Hessenwahl mache eine Ablösung wenig Sinn.

Für die Partei sei Seehofer der Hauptschuldige für die derzeitige Misere. Weidenfeld verweist auf die letzten Jahre, in denen vor allem innere Machtkämpfe die CSU prägten. "Das ging von Seehofer aus", sagt der Politologe. "Seehofer wollte Söder unbedingt als Ministerpräsidenten verhindern und rief ständig neue Kronprinzen und -prinzessinnen aus."

"In seinen Attacken wurde Seehofer immer aggressiver", sagt Weidenfeld.

Selbst als Söder Ministerpräsident wurde, hörten die Attacken nicht auf. Dieses querulatorische Markenprofil, wie es Weidenfeld nennt, sei über Jahre entstanden. "Das wird die CSU auch nicht in wenigen Tagen wieder los."

Auch der Historiker und CSU-Experte Thomas Schlemmer sieht im Innenminister das Problem: "Angela Merkel hat mit Horst Seehofer einen Akteur an eine zentrale Position gesetzt, der nur noch seinen eigenen Überzeugungen folgt". Er nehme weder Rücksicht auf seine eigene politische Karriere noch auf die CSU, auf Angela Merkel und die SPD. "Das ist ein zusätzlicher Stressfaktor für alle Parteien, der sich zur Bayern-Wahl bemerkbar gemacht hat – und den man auch bei den hessischen Landtagswahlen wird beobachten können." Und ohnehin sei Seehofer im Herbst seiner politischen Karriere angekommen.

"CSU muss Kurs korrigieren"

Allein nur Seehofer zum Sündenbock zu machen, hält Politikprofessor Werner Patzelt dagegen für einen Fehler. "Wenn aber die CSU Seehofer vom Hof jagt, dann stellt sie durchaus nicht ihren alten Glanz wieder her, sondern erweist sich als prinzipienlos."

Seehofer als "Quertreiber auf Egotrip" abzustempeln, der wider alle Vernunft aus heiterem Himmel Streit mit der Kanzlerin und SPD anzettele, sei eine Erzählweise. Wenn die CSU dieser folge und meine, mit einer Personalentscheidung sei es getan, dann "geht es mit ihr nicht gut weiter", so Patzelt.

Es gebe noch eine zweite Deutung für das Wahldebakel. Diese rücke die Fehler der deutschen Migrations- und Integrationspolitik in den Fokus.

"Nach ihr hat die CSU mit einem 'Masterplan' zur Migration versucht, Fehler im Kurs zu korrigieren. Die Kanzlerin hat dies aber gestoppt und Seehofer gedemütigt. Dann ist die CSU überhaupt eingeknickt und hat damit unter Beweis gestellt, dass der bayerische Löwe in Wirklichkeit nur ein Kätzchen ist, das mit der Kanzlerin kuscheln will", erklärt der Professor.

Eine Revolte wird wohl vorerst ausbleiben. Auch Politik-Experte Heinrich Oberreuter rechnet mit einem Verbleib Horst Seehofers im Amt – vorerst. "Immer wenn er herausgefordert war, hat er auf Tagesordnungen und terminliche Sachzwänge gesetzt. Die Aussicht, dass er sich damit zunächst mal durchsetzt, sind gar nicht so schlecht", sagte Oberreuter dem "Main-Echo".

Die CSU könne kein Interesse daran haben, noch mehr Vertrauen in der Bevölkerung zu verlieren. Das heiße aber nicht, dass Seehofer auf ewig stabilisiert sei.

Zeitenwende im Parteienstaat

Eine weitere Ursache für den Wählerverlust sieht Weidenfeld in der sich vollziehenden Zeitenwende im Parteienstaat. Diese würde immer weiter forciert und betreffe mehrere Volksparteien."Die Wählerbindung hat dramatisch abgenommen", konstatiert der Politikprofessor. Die CDU habe sie bereits schmerzlich zu spüren bekommen, nun treffe es die CSU mit ihrem "kulturell stabileren Unterbau".

Kommt nach Schockerfahrung einfache Lösung?

Doch wie geht es jetzt mit der CSU weiter? Weidenfeld hält eine Koalition mit den Grünen für die beste Option: "Clever wäre es, mit den Grünen zu koalieren, denn das würde bedeuten, dass sie sich verjüngt." Er geht allerdings davon aus, dass die CSU mit den Freien Wähler in die Regierung geht. "Das ist für sie die einfachere und bequemere Lösung."

In dieser Schockerfahrung sei es verständlich, dass die CSU die einfachere Lösung bevorzuge. Programmatisch sieht Weidenfeld zwischen beiden Parteien keine großen Differenzen. "Die Freien Wähler sind im Prinzip aus dem Stoff der CSU gewebt."

Das sieht Patzelt ähnlich. Die CSU habe jetzt die Möglichkeit, im Grunde eine Koalition mit sich selbst einzugehen. "Die Freien Wähler sind im Wesentlichen vergraulte CSUler, die CSU-nahe Positionen vertreten", erklärt Patzelt. Sie müsse allerdings erkennen, in welcher Weise ihr die Sommerquerelen geschadet hätten.

"Wenn die CSU erkennt, dass sie sich weiterhin für eine vernünftige Migrations- und Integrationspolitik einsetzen muss, dann kann sie mit den Freien Wählern die nächsten fünf Jahre durchaus ungerupft überstehen."

Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Professor Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung in München
  • Gespräch mit Professor Werner Patzelt, seit 1991 Professor an der TU Dresden; Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Vergleichende Politikwissenschaft
  • Gespräch mit Dr. Thomas Schlemmer, Historiker und stellvertretender Chefredakteur der Fachzeitschrift "Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte"
  • dpa
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