• Erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Formel 1 gehen zwei Fahrer punktgleich in das letzte Rennen. Wird Max Verstappen oder Lewis Hamilton Weltmeister – das entscheidet sich am 12. Dezember.
  • Beide Fahrer sind Meister ihres Fachs. Entscheidend wird nun auch das Nervenkostüm sein, die Psyche. Wer ist da besser aufgestellt?
  • In den vergangenen Rennen verstärkte sich der Eindruck, dass Hamilton seine ganze Erfahrung ausspielen kann. Und ihn deshalb nichts aus der Ruhe bringt.

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Max Verstappen lächelt kurz. Die Süffisanz im Blick ist nicht zu übersehen. Bissige Kommentare von Lewis Hamilton? Kritik von den Fans? Buhrufe? "Mir ist egal, was andere denken", sagt der Niederländer. Punkt. Nein, Ausrufezeichen. Ein doppeltes.

Denn Sprüche, Kritik oder Kommentare perlen an ihm ab, auch nach einem so chaotischen und kontroversen Rennen wie jetzt in Saudi-Arabien. Der 24-Jährige ist seit jeher mit einem Selbstvertrauen ausgestattet, mit einem Selbstverständnis, das Rennfahrer – allesamt Egomanen par excellence – in die Wiege gelegt bekommen.

Vom Papa ausgebildet

So war es bei Verstappen auch. Mit dem Unterschied, dass Papa Jos, vor seinem Sohn der erfolgreichste Formel-1-Fahrer der Niederlande, seinen Sprössling noch zusätzlich schliff. Er wusste als Ex-Rennfahrer, auf was es ankommt.

Und er wusste mit der eigenen Erfahrung von 107 Rennen, was seinen Sohn erwartet, auf und abseits der Strecke. So kam Verstappen Junior 2015 mit seinen zarten 17 Jahren in die Formel 1, als hätte er schon zehn Jahre in der Königsklasse auf dem Buckel.

Unerschrocken, angriffslustig, egoistisch, hitzköpfig, kompromisslos – Verstappens Ego war genauso beeindruckend wie sein Talent und seine gleichzeitige Gelassenheit.

"Das war schon immer so. Klar kannst du ihn auf viele Zusammenhänge hinweisen, aber diese innere Ruhe entspricht seinem Charakter, so etwas kannst du nicht trainieren", sagte Jos Verstappen bei Speedweek. "Ich weiß, dass ich nicht der Einfachste bin, und ich habe von Max sehr viel gefordert. Aber er konnte das alles aushalten."

Verstappen mental schon immer stark

Max sei mental schon immer sehr stark gewesen, sagte Verstappen Senior: "Mit vielen Siegen baute er natürlich auch Schritt um Schritt ein gewaltiges Selbstvertrauen auf. Und wenn du so fest an dich glaubst, dann geht das auch nicht mehr weg." Im Gegenteil: Das Selbstvertrauen ist weiter gewachsen.

Denn das ist etwas, das man oft vergisst: Verstappen hat vor dem Titel-Showdown am Sonntag in Abu Dhabi 144 Rennen in der Formel 1 absolviert und dabei 19 Siege gefeiert – mit 24 ist der junge Mann schon ein alter Hase.

Neun Siege gab es alleine in dieser Saison, in der er nicht nur fahrerisch, sondern auch menschlich noch einmal einen unübersehbaren Schritt gemacht hat, erwachsener geworden ist, nicht mehr mit ganz so viel Anlauf mit dem Kopf durch die Wand will.

Lange sah es so aus, als seien das für ihn die entscheidenden Meter zum Titel gewesen, die Reife für den großen Wurf, die Psyche als WM-Faktor.

Ihm gelang dabei ein starker Spagat: Er behielt seine Unbekümmertheit, seinen Mut, seine oft irrwitzigen Manöver, setzte das aber strategisch klüger ein als früher, deutlich abgeklärter. In das alte Muster fällt er trotzdem hin und wieder mal zurück. "Ich liebe das Risiko, das Verstappen eingeht", sagte Ex-Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher beim "AvD Motor & Sport Magazin" in Sport1.

Der Haken: "Max muss nur aufpassen, dass er es nicht übertreibt. Das wird bei ihm schon mal grenzwertig, manchmal muss er da etwas cleverer sein." Sky-Experte Timo Glock stellte klar: "Das wird die WM entscheiden: die Coolness, die Cleverness, die Nerven zusammenzuhalten."

Hamilton mit Bierruhe und dem Glück des Tüchtigen

Und diese Coolness scheint Verstappen auf der Zielgeraden ein wenig abhandenzukommen, sein Psyche-Paket scheint nicht mehr ganz so unerschütterlich wie noch vor ein paar Wochen.

So setzte er seinen Red Bull im Qualifying in Saudi-Arabien in die Mauer, im Rennen lagen seine Manöver zu oft zwischen Genie und Wahnsinn, da war er zu oft über dem Limit. Parallel fuhr Hamilton mit einer Bierruhe, einem spritzigen Silberpfeil und mit dem Glück des Tüchtigen ausgestattet zum dritten Sieg in Serie.

Er lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, lässt sich durch Verstappens Art nicht provozieren.

Hamilton hat sich über die Jahre angewöhnt, eine Art Gegner-Profil zu erstellen. Er kann mit einem schwer einzuschätzenden Fahrer wie Verstappen besser umgehen als früher. "Besonders im Rampenlicht und unter dem Druck des Sports", sagte Hamilton der BBC.

Denn der ist vor dem Finale am 12. Dezember in Abu Dhabi enorm - beide gehen punktgleich in das letzte Rennen. Der Faktor Psyche kann dabei titelentscheidend sein.

"Beide sind sehr nervenstark", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff bei Sky: "Max hat in Saudi-Arabien bis auf die harte Fahrweise keine Fehler gemacht. Er wäre nicht so ein guter und schneller Fahrer, wenn er keine Nerven hätte. Lewis hat all die Erfahrung und hat einen guten Schwung im Moment."

Deshalb wird Verstappen auch in Abu Dhabi erneut alles versuchen, auch wenn er wieder über das Limit hinausgeht. Weil es in seiner Natur liegt. Und weil ihm egal ist, was andere denken.

Verwendete Quellen:

  • Speedweek: Max Verstappen ist 24: Harte Schule zahlt sich aus
  • AvD Motor & SportMagazin
  • TV-Übertragung Sky
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