• Normalerweise sind im Macho-Sport Formel 1 keine Schwächen erlaubt. Doch die Denkweise wird aufgeweicht.
  • Fahrer sprechen inzwischen deutlich offener über mentale Probleme.
  • Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff will mit ehrlichen Worten Betroffenen helfen.

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Toto Wolff hat die WM-Niederlage im vergangenen Dezember tief getroffen. Der Mercedes-Teamchef erklärte, Lewis Hamilton und er würden "nie darüber hinwegkommen". Es waren sehr deutliche, vor allem ehrliche Worte, die in der Formel 1 aber nicht unbedingt üblich sind. Doch Wolff legte nach. Vor ein paar Wochen gab er zu, dass er sich seit 2004 in psychiatrischer Behandlung befindet, mehr als 500 Stunden Therapie hinter sich hat. "Ich habe psychisch gelitten und tue es immer noch", sagte er der "Times".

Es ist der Beweis: Die Macho-Welt Formel 1 zeigt inzwischen immer öfter ihre weiche und verletzliche Seite. Wolff wollte ein Zeichen setzen, denn es sei an der Zeit, "dass die Leute nicht mehr so wahrgenommen werden, dass sie alles haben: Den Formel-1-Lebensstil, das Lächeln, ein paar Rennen und Meisterschaften gewinnen", so Wolff. Denn natürlich können auch Menschen, die einen vermeintlichen Traumjob ausüben oder angeblich auf der Sonnenseite des Lebens stehen, psychische Probleme haben. Immerhin hat Wolff mit Mercedes in den vergangenen Jahren in der Formel 1 so ziemlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Ein Garant für psychische Gesundheit ist das aber längst nicht.

Ein Zeichen der Schwäche

Oft werden Aussagen wie die von Wolff im Leistungssport – und nicht nur dort – als Zeichen der Schwäche gesehen. Die Formel 1 befindet sich inzwischen aber immerhin auf dem Weg zur Einsicht, dass es eher eine Stärke ist, Fehler und Probleme auch zuzugeben. "Ich möchte die Menschen ermutigen und ihnen Hoffnung geben, sich Hilfe zu suchen und daran zu arbeiten und es nicht als Stigma der Dysfunktionalität oder des Ungenügens zu sehen", so Wolff.

Denn das Gegenteil sei der Fall, so der Österreicher: "Es ist eine Superkraft, und es ist nicht anders als Diabetes oder jede andere Krankheit, die nicht dieses Stigma hat." Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, "haben die Pflicht zu sagen, dass wir uns helfen lassen und dass es in Ordnung ist, sich helfen zu lassen", so der 50-Jährige.

So sieht es auch sein Fahrer: Der siebenmalige Weltmeister Lewis Hamilton gab im vergangenen Monat ebenfalls zu, mit psychischen und emotionalen Problemen zu kämpfen. Es sei ein "hartes Jahr" mit allem, was um einen herum passiere, schrieb der Mercedes-Pilot in einer Instagram-Story.

Schwer, positiv zu bleiben

Es sei manchmal schwer, "positiv zu bleiben. Ich habe seit langer Zeit mit mentalen und emotionalen Problemen zu kämpfen, es ist eine große Anstrengung weiterzumachen, aber wir müssen weiterkämpfen, wir haben so viel zu tun und zu erreichen", so Hamilton. Der 37 Jahre alte Engländer richtete sich an seine Follower und bestärkte sie, dass sie "nicht alleine" seien und "dass wir da durchkommen".

Auch andere Fahrer gehen inzwischen deutlich offener mit Problemen um: Williams-Fahrer Nicholas Latifi machte zum Beispiel Morddrohungen gegen ihn nach dem WM-Finale und seine Sorgen öffentlich. Sein Teamchef Jost Capito verriet zuletzt, dass der Kanadier in Sachen Selbstbewusstsein auch aufgrund der Vorkommnisse nach dem WM-Finale immer noch zu kämpfen habe. McLaren-Mann Lando Norris wiederum gilt als eine Art Vorreiter der neuen Ehrlichkeit in Sachen psychischer Probleme.

Der Brite, der normalerweise mit guter Laune durch das Fahrerlager läuft, gab zu, ein Pokerface aufgesetzt zu haben, um seine Sorgen und Ängste zu überspielen, die ihn lange begleitet haben. "Es ist etwas, das uns alle betrifft, aber es ist auch etwas, über das die Menschen nicht gerne sprechen. Das muss sich ändern", sagte Norris.

Kräftezehrende Saison

Auch innerhalb der Formel 1 muss sich weiter etwas ändern, denn das WM-Jahr ist so kräftezehrend wie nie mit insgesamt 23 Rennen. Dabei geht es dann nicht mehr nur um Fahrer oder Teamchefs, sondern vor allem auch um die Teammitglieder, die ebenfalls unter einem exorbitanten Druck stehen. Sie stehen nur nicht so im Fokus der Öffentlichkeit wie die Fahrer. Gefährdet sind aber natürlich auch sie.

"Wir sagen den Leuten, wie sie auf sich aufpassen müssen", sagte AlphaTauri-Teamchef Franz Tost: "Wir haben Ärzte in unserem Team, die das Trainingsprogramm erstellen, und wir haben Physiotherapeuten, und wir bemühen uns sehr darum, dass die Leute einen gesunden Lebensstil führen", sagte er. Auch Haas-Teamchef Günther Steiner ermutigt seine Leute, sich zu öffnen. "Ich hoffe, dass viele Menschen, die psychische Probleme haben, diese offen ansprechen, denn das ist der einzige Weg, sie zu lösen", sagte er. Diese neue Offenheit in der Formel 1 wiederum ist eine wichtige Grundlage dafür.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenzen
  • Interview The Times

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