Ein Anfang ist gemacht: Der VfB Stuttgart hat das Projekt Wiederaufstieg mit einem Heimsieg über Mit-Absteiger Hannover 96 begonnen. Diese ersten 90 Minuten machen Mut, ändern aber nichts daran, dass die Schwaben wie schon 2016 vor einem Scherbenhaufen stehen.
Der VfB Stuttgart bemühte in den letzten Tagen vor dem Start in seine insgesamt vierte Zweitligasaison die Expertise internationaler IT-Sicherheitsexperten, eines Professors für IT-Sicherheit und Computerforensik, sowie des Landeskriminalamts und der Kriminalpolizei Stuttgart, Abteilung Cypersicherheit und IT-Forensik.
Das las sich alles wie ein veritabler Cyber-Krimi über einen groß angelegten Hackerangriff, war aber in Wirklichkeit nur die Aufarbeitung einer vergleichsweise banalen Angelegenheit: Der Ausfall der Abstimmungstechnik bei der Mitgliederversammlung vor Wochenfrist.
Die geplatzte Abstimmung unter anderem über die mögliche Abwahl von Präsident Wolfgang Dietrich, bekannt geworden als Wlan-Gate, war der vorläufige Tiefpunkt einer an Tiefpunkten nicht eben armen Zeit in der Stuttgarter Vereinsgeschichte. Selbst der ansonsten eisenharte Dietrich, ein wahrer Meister des Aussitzens, musste die ganze Peinlichkeit dieses Sonntagabends konstatieren. Wenige Stunden später trat Dietrich von allen Ämtern zurück.
Ewiges Auf und Ab
Es wird nie langweilig beim VfB Stuttgart, könnte man als Außenstehender vergnügt resümieren. Für alle anderen, für die Bosse und die Angestellten, für die Mannschaft und natürlich für die Fans ist der VfB der vergangenen Monate aber nichts weniger gewesen als das reinste Trauerspiel.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da schien sich die Skandalnudel auf einem besseren Weg zu befinden. Vor zwei Jahren herrschte eine unglaubliche Euphorie rund um die Mercedesstraße unten im Kessel.
Der VfB war gerade in die Bundesliga aufgestiegen, hatte den Betriebsunfall des zweiten Abstiegs seiner Klubgeschichte prompt repariert und gleich ein paar große Hoffnungsträger in seinen Reihen.
Manager Jan Schindelmeiser führte den VfB ganz anders als viele seiner Vorgänger, mit einer ruhigen, besonnenen Art und ohne große Reden. Hannes Wolf war der Aufstiegstrainer, jung, eloquent, ein Sympathieträger, der bei Fans und Sponsoren gleichermaßen gut ankam.
Die Mannschaft führten neben den Routiniers wie Christian Gentner einige Toptalente oder Hoffnungsträger an,
VfB als Phönix aus der Asche
Der VfB stieg wie der viel beschriebene Phönix aus der Asche auf, die Stimmung rund ums Neckarstadion verglichen erfahrene Hasen mit jener, die nach dem Wiederaufstieg von 1977 herrschte und die den VfB mit einem neuen Bundesliga-Zuschauerrekord auf Anhieb in den Europapokal führte.
Dieses Extrem zwischen totaler Leere nur ein Jahr zuvor und dem absoluten Hype hätte stutzig machen sollen, stattdessen schwadronierte Dietrich als Präsident mit der erfolgreichen Ausgliederung und den Daimler-Millionen im Rücken aber recht schnell von der Rückkehr in die Spitze der Bundesliga.
Größenwahn und falsche Entscheidungen
Dietrich war in den tristen Tagen nach dem Abstieg 2016 mit dem Abgang von 14 Spielern, des Trainers, des Sportdirektors und des damaligen Präsidenten Bernd Wahler die erste Konstante des Neustarts.
Der VfB schlingerte von Mai bis Anfang Juni vor drei Jahren fast führungslos durch die Gegend, bekam dank eines ideellen und vor allen Dingen wirtschaftlichen Kraftakts aber doch noch irgendwie die Kurve und schien bestens gerüstet für die Zukunft.
Eine gehörige Portion Größenwahn und mehr als ein halbes Dutzend gravierend falscher Entscheidungen auf sportlicher Ebene führten aber zum Absturz und letztlich zum nächsten Totalschaden. Anders ist der zweite Abstieg innerhalb von drei Jahren nach der schlechtesten Saison der Vereinsgeschichte kaum zu nennen.
Wird der VfB zur Fahrstuhlmannschaft?
Mit dem 2:1 über die ebenfalls wieder in der Zweitklassigkeit gelandeten 96er aus Hannover gelang es dem VfB im ersten Saisonspiel der 2. Bundesliga, den angepeilten Hoffnungsschimmer auf bessere Zeiten an den Horizont zu werfen.
Damit aber ist die Befürchtung, dass sich der VfB auf Dauer nicht zu einem Anwärter auf die Champions League, sondern zu einer Fahrstuhlmannschaft mausert, nicht aus der Welt geschafft.
Warum sollte es den Schwaben denn anders gehen als Bochum, Kaiserslautern oder dem TSV 1860? Die jüngere Geschichte jedenfalls weist einige ebenso traurige wie unerreichte Bestmarken aus: Seit der Meisterschaft vor zwölf Jahren versuchten sich sagenhafte 17 Trainer, neun Sportdirektoren oder -vorstände und vier Präsidenten.
Dietrich-Rücktritt als Chance zum Neuanfang
Aber mit dem Rücktritt von Dietrich hat sich ein monatelang schwelender Konflikt nun zumindest etwas entspannt. Jeder weitere Woche mit Dietrich und den vielen ungeklärten Fragen um seine persönlichen wirtschaftlichen Verstrickungen sowie seiner Amtsführung nach Gutsherrenart hätte letztlich auch die Mannschaft erreicht - und an der liegt es nun ja letztlich, den gesamten Klub wieder aus seiner Lethargie zu führen.
Vor drei Jahren ging der Start mit dem von Dietrich und dem Aufsichtsrat installierten Vermeintlich-Erfolgstrainer Jos Luhukay komplett daneben, am 123. Geburtstag des Klubs stürmte der kleine Nachbar aus Heidenheim vor ausverkauftem Haus mit einem 2:1-Sieg die Mercedes-Benz Arena.
Sportvorstand Schindelmeiser gelang dann ein Glücksgriff mit Hannes Wolf als neuem Trainer. Dann wurde Schindelmeiser unter dubiosen Umständen von Dietrich gegangen und durch Michael Reschke ersetzt, der wiederum Wolf ein halbes Jahr später den Weg zur Tür zeigte - während Dietrich und Reschke den VfB dann mit Vollgas in die zweite Liga führten.
Drei Hoffnungsträger und eine Philosophie
Nur wenige Fangruppierungen mussten in den letzten zehn Jahren mehr Leidensfähigkeit aufbringen als die Fans des VfB Stuttgart. Trotzdem stellte der Klub bis zum bitteren Ende mit die meisten Fans bei Heim- und Auswärtsspielen und spielt auch jetzt in dieser Beziehung in einer anderen Liga. 30.000 Dauerkarten wurden verkauft, die mit weitem Abstand meisten aller Klubs in der zweiten Liga. Das 2:1 über Hannover verfolgten in der 60.449 Plätze bietenden Mercedes-Benz Arena 52.021 Fans.
Die großen Hoffnungsträger des Klubs sind - anders als vor drei Jahren, als so mancher Posten noch gar nicht besetzt war -
Hitzlsperger als Sportvorstand muss das Kunststück gelingen, den in viele Einzelteile zersplitterten Klub wieder zu einen. Hitzlsperger ist derzeit dabei, eine neue Kultur im Verein zu etablieren: Weg von den alten Seilschaften und dem Klüngel, hin zu einer echten Leistungskultur, und zwar auf allen Ebenen, von der Putzfrau bis hinauf zu Topverdiener Mario Gomez.
Klarer Schnitt und gezielte Investitionen
Im Zusammenspiel mit Mislintat geht Hitzlsperger einen eher moderaten Weg. Es gibt keinen finanziellen Drahtseilakt, nachdem Reschke den größten Teil der Ausgliederungsmillionen im letzten Sommer in eine Absteigertruppe versenkt hatte.
Der VfB hat zwar gezielt, aber nicht über die Maßen eingekauft und investiert und sich im Gegenzug sogar von altgedienten Spielern getrennt. Ein klarer Schnitt im Kader war notwendig, um das Feuer neu zu entfachen.
Und dann ist da noch Walter. Der hat zwar noch keinen großen Klub wie den VfB trainiert, kennt aber die zweite Liga und bringt einen Spielansatz mit, der konträrer zum Anti-Fußball der letzten Monate kaum stehen könnte.
Walters Mannschaft will den Ball haben, will dominant sein, den Gegner erdrücken mit seinem Ballbesitz, will mutig sein und vielleicht auch ein bisschen verrückt.
Das alles verspricht ein großer Spaß zu werden bei Spielen mit Stuttgarter Beteiligung.
VfB muss auf Rückschläge gefasst sein
Spaß allein bringt keine Punkte. Doch der gravierende Unterschied im Vergleich zur Zeit vor drei Jahren ist, dass die meisten Mitarbeiter wieder mit Hoffnung, Zuversicht und sogar einer Portion Spaß zur Arbeit im Roten Haus gehen.
Noch ist das alles nichts, sofern nach dem Auftakterfolg die nötigen Ergebnisse ausbleiben. Und Rückschläge wie zuletzt der Abgang von Toptalent Leon Dajaku oder die schwere Verletzung von Sturmhoffnung Sasa Kalajdzic wird es auch in Zukunft geben. Aber der VfB hat nun auf fast allen Ebenen eine Idee, ein tragfähiges Fundament, eine Basis.
Und wenn es mit dem Aufstieg in dieser Saison nicht klappt, dann eben im nächsten Jahr. Aber zu laut und zu öffentlich sollte man das in Bad Cannstatt auch nicht sagen.
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