Noelle Maritz spielt für den FC Arsenal in England. Die rasante Entwicklung des Fußballs der Frauen im Jahr 2023 erlebt die Schweizer Nationalspielerin dort hautnah. Im Gespräch mit unserer Redaktion warnt sie andere Länder: "Alle werden ihre Strukturen anpassen müssen."
Wenn Sie auf das Fußball-Jahr 2023 zurückblicken, was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Auf jeden Fall die WM. Ich glaube, ich bin noch nie so weit geflogen in meinem Leben. Deswegen war die Reise schon spektakulär. Aber das eigentliche Highlight war die WM an sich, die Spiele, die Atmosphäre. Mit Arsenal hatten wir eine schwierige Saison. Letztes Jahr mit den vielen Verletzungen war es schon nicht einfach, aber das hat uns nochmals als Mannschaft zusammengeschweißt. Und das Spiel in der Champions League gegen Wolfsburg im Emirates vor ausverkauftem Haus, das war schon speziell.
War es ein gutes Jahr für den Fußball der Frauen?
Doch, ich glaube schon. Wir haben gesehen, dass sich vor allem in England die Zuschauerzahlen und das ganze Drumherum krass gesteigert haben im Vergleich zu den letzten paar Jahren. Bei den Topspielen, die in den großen Stadien ausgetragen werden, herrscht eine sehr gute Stimmung. Einfach die ganzen Fans, die Stimmung, die aufkommt, das ist cool, das mitzubekommen und mitzuerleben. Inzwischen wird auch fast jedes Spiel gestreamt oder direkt im Fernsehen übertragen. Da merkt man schon, dass auch das Publikum Spaß daran hat.
Was war für Sie die größte Veränderung im Fußball der Frauen 2023? Der Zuschauerzuwachs, oder gab es da noch etwas anderes?
Schon der Zuschauerzuwachs, aber auch das ganze mediale Drumherum. Wir haben jeden Monat einen Media Day mit Interviews, Social Media, solchen Sachen, die man früher vielleicht einmal im Jahr gemacht hat. Und die englischen Spielerinnen werden auch wirklich in der Stadt erkannt.
Wie gehen Sie mit diesem zusätzlichen Stress um?
Man macht es gerne, weil es zeigt, wie weit der Frauenfußball schon gekommen ist und in welche Richtung es noch geht. Ich glaube, dass es sich auch immer weiterentwickelt, auch bei den Turnieren. Jeder will ein Teil davon sein, die Spiele im Fernsehen zeigen, Berichte machen.
Maritz: "Eine krasse Geschichte"
Der sogenannte Kuss-Skandal nach dem WM-Finale hat die Fußballwelt viele Wochen bewegt. Wie haben Sie die Szene und die Diskussionen danach wahrgenommen?
Erstens fand ich es einfach mega schade für die ganze spanische Mannschaft. Sie haben das Turnier gewonnen und konnten es dann gar nicht so richtig genießen, weil alles nur über diese negativen Schlagzeilen gezogen wurde. Aber es ist schon eine krasse Geschichte. Man hat das meiste nur aus den Medien mitbekommen, vieles weiß man wahrscheinlich auch nicht. Aber die Spanierinnen sind hartnäckig geblieben und man hat gesehen, was es schlussendlich für Veränderungen gebracht hat. Klar will man nie, dass es so weit gehen muss, damit es endlich eine Veränderung gibt und der Verband einem auch zuhört. Die spanischen Nationalspielerinnen haben aber am Ende das erreicht, was sie haben wollten. Aber klar, eigentlich darf es niemals so weit kommen.
Was dabei schon fast unterging: Der Streik des spanischen Nationalteams war bei Weitem nicht der erste im Jahr 2023. Auch die Kanadierinnen und die Französinnen hatten bereits gestreikt. In beiden Ländern müssen daraufhin die Fußballpräsidenten zurücktreten. Haben Frauen im Fußball so viel Macht wie nie zuvor?
Ja, ich denke schon. Ich glaube, man sieht, dass viele Verbände, wie beispielsweise England, die Fortschritte auch wirklich mitgehen. Spielerinnen werden entsprechend entlohnt, wohnen in guten Hotels oder fliegen mit Charterflügen zu den Spielen. Und wenn man dann für eine andere Nation spielt, dann will man das natürlich auch. Man sieht, wie der Frauenfußball wächst, man will das alles mitnehmen und miterleben können. Wenn man mitten in der Nacht ein Flug um 2:00 Uhr hat und am nächsten Tag spielen muss, ist das natürlich keine optimale Vorbereitung. Und irgendwann hat man als Mannschaft und als Spielerin die Nase voll und will etwas tun, damit man bessere Strukturen und Bedingungen bekommt. Und ich glaube, man weiß heutzutage inzwischen, dass wenn man ein bisschen Aufstand macht, wird das auch gehört, die Themen erscheinen in den Medien und dann müssen natürlich die Verbände reagieren.
England legt vor, alle anderen müssen nachziehen
Wie gut ist die Vernetzung der Spielerinnen und des Frauenfußballs untereinander?
Schon gut. Bei Arsenal haben wir zehn verschiedene Nationen, jede spielt irgendwo anders und da redet man auch untereinander. Man sieht, welche Unterschiede jeder Verband hat und man erhält Ideen, was man vielleicht in das eigene Team einbringen kann.
Wie groß sind die Länderunterschiede in der Entwicklung und der Professionalisierung des Frauenfußballs? Sie haben als Jugendliche bereits den Umgang der USA mit soccer kennengelernt, haben in der Schweiz, in Deutschland beim VfL Wolfsburg gespielt und stehen nun beim FC Arsenal unter Vertrag.
In der Vermarktung ist England extrem gut. Ich würde auch sagen, England ist von den Bedingungen her top, weil fast alle Klubs ihre Frauenmannschaften im Männercampus integriert haben. Und wenn du da drin bist, dann kannst du auch alles nutzen. Man hat top Plätze, top Gym, alles ist wirklich komplett professionell. Und soweit ich weiß, ist das in Deutschland noch zu wenig der Fall. Man merkt schon in dieser Saison in England, dass die Teams auf Augenhöhe sind. Da muss man in jedem Spiel alles aus sich rausholen, ansonsten gibst du Punkte ab. Und die Entwicklung geht immer weiter und es wird auch immer mehr investiert. Viele Mannschaften spielen in Männerstadien, jetzt nicht nur die vermeintlich großen Teams, sondern auch Teams wie zum Beispiel Aston Villa oder Leicester City.
Ist die Gefahr da, dass andere Ligen im Vergleich zu England abgehängt werden?
Natürlich baut das neuen Druck auf in den Ländern, wo die Verbände das Potenzial im Frauenfußball immer noch nicht so ernst nehmen. Aber schlussendlich werden alle ihre Strukturen anpassen müssen, wenn sie vom Wachstum profitieren wollen. Das wird sich schlussendlich nur positiv auf die Entwicklung dieser Ligen auswirken.
Für Sie ging es in der Schweiz bei der WM bis ins Achtelfinale. 2025 steht für Sie die Heim-EM an. Was sind Ihre persönlichen Ziele für dieses Turnier? Worauf können sich die Fans freuen?
Es ist ein Traum für jeden Athleten, dass man ein Turnier im eigenen Land spielt. Ich hoffe wirklich, dass es auch einen Aufschwung im Schweizer Fußball bringt; dass viele junge Mädels zuschauen werden und der Verband mehr investieren will, um bei der Entwicklung Gas zu geben. Das ist eine Riesenchance für das ganze Land, spezifisch den Frauenfußball auch hier in einen Boom reinzubringen und das kann echt mega werden. Die Schweiz ist das perfekte Land für die EM, alles so nah beieinander und mitten in Europa. Jetzt heißt es eineinhalb Jahre Vollgas geben, sich darauf vorbereiten. Wir haben mit der Nati noch einiges zu tun, aber das wird schon ein mega Highlight sein.
Für Fußballspielerinnen bedeutete das Karriere-Aus früher meistens auch das Ausscheiden aus dem Fußball und das Eintreten in einen ganz neuen Beruf. Inzwischen bleiben aber auch immer mehr Ex-Fußballerinnen dem Fußball treu, ob als Trainerinnen oder TV-Expertinnen. Wie wichtig ist es für Sie, auch bereits jetzt darüber über die Zeit nach dem Karriereende nachzudenken?
Man macht sich schon ein bisschen Gedanken. Ich habe mit meinem Trainer Diplom angefangen, probiere mal ein bisschen aus, ob mir diese Richtung gefällt. Aktuell bin ich aber schon noch sehr darauf fokussiert, professionell zu spielen. Ich will noch nicht zu weit in die Zukunft schauen.
In der deutschen Bundesliga steht bei Union Berlin mit Marie-Louise Eta erstmals eine Frau als Assistentin an der Seitenlinie. Ist Trainerin einer Männermannschaft ein Weg, den Sie sich auch vorstellen könnten?
Ich finde das eine super Sache. Schlussendlich zählt doch nur die Kompetenz, unabhängig vom Geschlecht.
Motiviert es Sie, Eta an der Seitenlinie zu sehen?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde es sowieso schön, wenn man mehr Frauen auch im Männerfußball sieht als Trainerin oder in einer anderen Rolle. Es zeigt: Frauenpower geht immer. Auch bei den Männern.
Zur Person
- Noelle Maritz wurde in den USA geboren, spielte in ihrer Jugend dort Fußball, bevor ihre Familie zurück in die Schweiz ging und sie ihre Karriere dort fortführte.
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