Als Deutschlands Fußballfrauen 1989 daheim Europameisterinnen wurden, schien ein ganzes Land ihnen plötzlich verfallen zu sein. Wie nachhaltig dieser Hype war, lässt sich daran erkennen, dass 30 Jahre danach gefragt wird, ob der Hype der WM in Frankreich nachhaltig sein wird.

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Sehr gute Einschaltschaltquoten, hohe Medienpräsenz, interessante Themen, besondere Typen und frische Gesichter - die Frauenfußball-WM in Frankreich sorgt derzeit auf vielen Ebenen für positive Schlagzeilen.

Mit ihren sportlichen Leistungen und sympathischen Auftritten auf und neben dem Platz ziehen die Spielerinnen die Fans in den Bann. Doch wie lange hält der Hype, wie nachhaltig kann der Aufschwung werden?

Die Verantwortlichen von ARD und ZDF freuen sich über Millionen Zuschauer bei den Übertragungen der Spiele. Neben dem ARD-Hörfunk und Nachrichten-Agenturen berichten überregionale Tageszeitungen sowie Online-Portale umfassend mit eigenen Korrespondenten von der WM.

Die ARD gibt sich keinen Illusionen hin

Die ARD allerdings bleibt realistisch und hat aus der Geschichte gelernt. Sie glaubt nicht an einen anhaltenden Boom nach dem Turnier.

"Das ist ja kein neues Phänomen, das kennen wir auch von anderen Sportarten", sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky: "Das heißt nicht, dass das jetzt ein Durchbruch für den Frauen-Fußball ist." Auch beim Turnier vor vier Jahren in Kanada oder der Heim-WM 2011 erzielten die beiden öffentlich-rechtlichen Sender Top-Quoten bei deutschen Spielen. Dadurch stieg aber anschließend nicht das Interesse an der Bundesliga. "Nur bei großen Turnieren schauen mehrere Millionen zu, das ist vergleichbar mit Handball", meinte der ARD-Sportchef.

Auch, als die DFB-Elf 2003 in den USA ihren ersten WM-Titel holte, wuchs die Aufmerksamkeit in der Heimat von Runde zu Runde. Beim Final-Sieg gegen Schweden gab es gute TV-Quoten.

Nicht nur Nia Künzer, die damals das Siegtor köpfte, profitierte von ihrer Popularität. Auf dem Frankfurter Römer wurden die WM-Siegerinnen von tausenden Fans empfangen. Künzer ist seit Jahren für die ARD als Expertin am Ball. Steffi Jones wurde als OK-Chefin der Heim-WM 2011 das Gesicht des Turniers, später DFB-Direktorin und dann Bundestrainerin.

Die WM-Erfolge sorgten dafür, dass die Anmeldezahlen der Mädchen in den Vereinen merklich anstiegen. Die heutigen jungen Spielerinnen entstammen der Generation, die nach 2003 und 2007 mit dem Fußball aktiv begonnen hat.

Die Heim-WM 2011 indes wurde - anders als bei den Männern fünf Jahre zuvor - nicht zum Sommermärchen. Das lag am schwachen sportlichen Abschneiden mit dem frühen Viertelfinal-Aus.

Reinfall bei der Heim-WM 2011

Der DFB startete vorher eine großangelegte öffentliche Kampagne, wollte den Durchbruch erzwingen. Nach dem Motto: Wer soll uns daheim schlagen? Das Team von Bundestrainerin Silvia Neid hatte das Potenzial, den dritten Stern zu holen, aber die Spielerinnen zerbrachen am geschürten Druck.

Die heutige Spielerinnen-Generation punktet nicht nur durch ihre fußballerischen Fähigkeiten. Auch das sympathische Auftreten auf und neben dem Platz trägt dazu bei, dass die Popularität steigt. Damit ist sie interessanter für potenzielle Zuschauer, Sponsoren und Medien.

Zudem haben die jungen Spielerinnen den Vorteil, dass sie soziale Medien wie Twitter, Facebook und vor allem Instagram reichlich nutzen.

Der Verband darf die sich dadurch bietende Chance nicht vertun, muss am Ball bleiben, Konzepte entwickeln und kluges Marketing betreiben. Sonst ziehen Länder wie England, Spanien, Frankreich oder der amtierende Europameister aus den Niederlanden auf Dauer an der deutschen Nationalmannschaft vorbei.

Die genannten Nationen haben in den vergangenen Jahren vor allem auf Klubebene deutlich aufgeholt. Das zeigt sich nicht nur an den gestiegenen Zuschauerzahlen, sondern auch an den Erfolgen der Nationalteams und der Klubs in der Champions League. "Nicht jammern, sondern handeln!", fordert Siegfried Dietrich, Manager des 1. FFC Frankfurt und Bundesligasprecher.

Real Madrid entdeckt den Frauenfußball

Dietrich erkannte das riesige Potenzial vor vielen Jahren und führte den reinen Frauenfußball-Klub aus Hessen in die nationale und internationale Spitze. Er weiß, dass es nur über sportlichen Erfolg, "Gesichter und Charaktere" geht. Und er warnt vor der europäischen Konkurrenz, obwohl er den Einstieg Real Madrids in den Frauenfußball ausdrücklich begrüßt.

"Wenn die Königlichen jetzt auch Königinnen präsentieren, was kann es Besseres für den Frauenfußball geben?", fragt Dietrich. "Die besten Spielerinnen werden künftig zu den Vereinen gehen, die ihnen die professionellsten Strukturen bieten." Und auch das meiste Geld.

Dietrich bleibt Optimist: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass auch wir mit unserer Liga den Boom nachhaltig nutzen können."

Ex-Bundestrainerin Silvia Neid und die jetzige Cheftrainerin Martina Voss-Tecklenburg pflichten ihm bei. "Aber es wird davon abhängen, wie weit wir hier tatsächlich kommen", sagt sie. (hau/dpa)

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