Es sind schwierige Zeiten bei Borussia Dortmund. Nach vier sang- und klanglos verlorenen Pflichtspielen im Kalenderjahr 2025 und der Entlassung von Nuri Sahin präsentierte der Verein nun offiziell Niko Kovac als Nachfolger – nach einer Trainersuche, die jedermann durch die Medien quasi im Liveticker mitverfolgen konnte.

Christopher Giogios
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Christopher Giogios dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als sich die von Sportchef Lars Ricken verkündete Entscheidung vor dem Champions- League-Heimspiel gegen Schachtar Donezk im Stadion verbreitete, hatte man nicht das Gefühl, dass die Verpflichtung von Kovac einen großen Wendepunkt darstellt. Zu sehr hat sich der Verein in den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren, als in sich unstimmiges Gebilde erwiesen – mit der wahrscheinlich logischen Folge, dass der BVB nun schon das zweite Mal in Folge seine Saisonziele in der Bundesliga massiv verfehlen wird.

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Was die gegenwärtige Situation zu einer handfesten Krise macht, ist genau dieser Umstand, nämlich, dass es sich nicht um eine vorübergehende Negativspirale, einen Ausrutscher nach unten handelt, sondern Borussia Dortmund mit den Ergebnissen von strukturell schlechter Arbeit konfrontiert wird.

Dortmunds Trainersuche wird begleitet von peinlichen Grabenkämpfen

Auch die Trainersuche wurde begleitet von in Dortmund beispiellosen, geradezu peinlichen medialen Grabenkämpfen. Der geneigte BVB-Fan konnte der berüchtigten Dortmunder "Elefantenrunde", also dem Zusammentreffen von Hans-Joachim Watzke (Vorsitzender der Geschäftsführung), Lars Ricken (Geschäftsführer Sport), Sebastian Kehl (Sportdirektor), Sven Mislintat (Technischer Direktor) sowie Berater Matthias Sammer bei der Entscheidungsfindung und den augenscheinlich tiefen Gräben zwischen den einzelnen Protagonisten live bei der Arbeit zusehen.

Von Ralf Rangnick bis Erik ten Haag waren diverse Namen zu lesen und nebenher konnte man – je nach Verbindung zu den unterschiedlichen Boulevardmedien – Presseberichte lesen, wonach mal Sebastian Kehl, mal Sven Mislintat im vergangenen Sommer gerne Spieler XYZ verpflichtet hätte. Die Verpflichtung sei dann natürlich stets am Widerstand des jeweils anderen Protagonisten gescheitert.

Der neue Sport-Geschäftsführer Ricken derweil vermittelt bislang trotz aller gegenlautenden Medienberichte nicht den Eindruck, dass er disziplinierend auf die Kontrahenten einwirkt, oder notfalls auch bei einem der beiden die Reißleine zieht.

Matthias Sammer steht in der Kritik

Auch die Person Matthias Sammer steht in der Kritik, weil selbst gut informierte Personen nie so richtig erklären können, worin genau dessen Aufgabe und vor allem sein Mehrwert für den Verein eigentlich genau besteht. Seine Doppelrolle als Berater der sportlichen Leitung und TV-Experte sorgt mitunter für skurrile Momente.

Wenn eine Person, die vollumfänglich in entscheidende Prozesse bei Borussia Dortmund eingebunden ist, parallel im Rahmen seines Zweitjobs beim Fernsehen den schwarzen Peter mal dem Trainer, mal der Mannschaft, mal aber auch den Kollegen aus der BVB-Führung zuschieben kann, spricht das für keine gute Unternehmenskultur. Auch hiermit soll nun angeblich Schluss und Sammer vor die Wahl gestellt worden sein.

Vertragslaufzeit spricht nicht für großes Vertrauen in Kovac

Nun also Kovac. Der dringend benötigte Führungs- und Kulturwandel beim BVB scheint bereits durch die Modalitäten der Verpflichtung nicht vorangetrieben worden zu sein. Wenn vermeldet wird, dass sich der BVB eigentlich um eine kurzfristige Lösung bis zum Saisonende bemüht hatte, nun aber Kovac mit einem Vertrag über eineinhalb Jahre ausgestattet wird, spricht das nicht unbedingt für großes Vertrauen in den neuen Trainer.

Vielmehr scheint es so, als habe sich der BVB bei seinem Vorhaben, einen Interimstrainer für ein halbes Jahr zu finden (was zugegebenermaßen kein einfaches Unterfangen darstellt) schlicht nicht durchsetzen können.

Auch steht Kovac, der in seinen vergangenen Stationen bei Eintracht Frankfurt oder Bayern München nicht unbedingt mit taktischer Tiefe glänzen konnte, gerade nicht für eine grundlegende Neuausrichtung und ein überzeugendes fußballerisches Konzept.

Die Probleme des Vereins stehen nicht an der Seitenlinie

Genau das ist es aber, was sich viele im Verein so sehnlich wünschen. Man ist es leid, dass seit Jahren lediglich der Status quo als vermeintliche Nummer zwei im deutschen Fußball verwaltet wird. Dass Spieler verpflichtet werden, die bei regelmäßiger Sichtung der Sportschau dem normalen Fan sicherlich auch ins Auge gefallen wären. Dass auch bei der Wahl der sportlichen Leitung mehr auf Stallgeruch als auf ein Konzept gesetzt wird, welches sich in der Kaderplanung widerspiegelt.

Selbst die Ultras, die sich trotz oder gerade wegen ihrer enormen Strahlkraft auf der Tribüne selten zu sportlichen Belangen äußern, haben dieses Führungsdefizit im Verein jüngst klar adressiert: "Die Elefanten im Raum ansprechen… Die Probleme stehen nicht an der Seitenlinie!". Vielen BVB-Fans sprachen sie damit aus der Seele.

Im kommenden Sommer steht nach zwei Jahrzehnten in der Geschäftsführung auch der Abgang von Hans-Joachim Watzke an. Selbst ungeachtet der heftigen vereinspolitischen Auseinandersetzungen rund um die turbulente Mitgliederversammlung hinterlässt Watzke seinen BVB in der vermutlich größten Krise seit der Fast-Pleite im Jahre 2005, die ihn erst zum Retter des Vereins hat werden lassen.

Es wäre dem Verein zu wünschen, wenn dieser Umbruch mit einer Neuaufstellung der sportlichen Leitung verbunden wäre. Eine Führung, die endlich an einem Strang zieht, ein gemeinsames Konzept verfolgt und gemäß diesem Plan einen passenden Trainer sowie eine in sich funktionale Mannschaft zusammenstellt. Weder die Verlängerung mit Sebastian Kehl, der eine maue Transferbilanz aufweist, noch die Verpflichtung von Kovac und das darin liegende Verwalten des Ist-Zustandes machen Hoffnung darauf, dass man am Rheinlanddamm wirklich bereit für diesen Umbruch ist.

Verwendete Quellen:

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