Von der Idee, seinen früheren Nationalmannschaftskollegen Franz Beckenbauer im Alter von 35 Jahren aus den USA zurück in die Bundesliga zu holen, lässt sich Günter Netzer nicht abbringen. Und so schlüpft der "Kaiser" unerwartet ins Trikot des Hamburger SV. Ein damaliger Mit- und ein Gegenspieler erinnern sich Jahrzehnte zurück.

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Die "Bild"-Zeitung jubelt: "HSV hurra, der Franz ist da", als Beckenbauer im September 1980 aus New York in Hamburg landet. Dort ist Beckenbauers kongenialer Kollege aus der sagenumwobenen Europameister-Mannschaft von 1972, Günter Netzer, 1978 als Manager eingestiegen und hat auf Anhieb 1979 mit den Hanseaten die erste deutsche Meisterschaft seit 1960 eingefahren.

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Und seitdem Netzer Beckenbauer am 28. Dezember 1979 in Dortmund als Mitglied einer Europaauswahl zu Gunsten Unicefs hat aufspielen sehen, steht für ihn fest: Beckenbauer ist noch gut genug für die Bundesliga, und sogar für einen Spitzenklub wie den Hamburger SV.

Branko Zebec und Günter Netzer überreden Franz Beckenbauer 1980 zum Wechsel zum HSV
HSV-Trainer Branko Zebec (l.) und -Manager Günter Netzer bewegen Franz Beckenbauer im Herbst 1980, zum Hamburger SV zu wechseln und somit in die Bundesliga zurückzukehren. © imago/Sven Simon

Einer der beiden Trainer der Europaauswahl - neben Netzers Ex-Coach Hennes Weisweiler - ist Beckenbauers Ex-Coach Branko Zebec. Der Kroate steht seit Saisonbeginn 1978/79 in Diensten des HSV und hat ihn gleich im ersten Jahr zum Titel geführt. Das hat Zebec zehn Jahre zuvor schon einmal geschafft, mit Beckenbauer und dem FC Bayern München. Sie feiern 1968/69 die erste Bundesliga-Meisterschaft mit dem heutigen Rekordmeister.

Günter Netzer und Branko Zebec sind sich sicher

Und Zebec ist ganz Netzers Meinung, was Beckenbauers Bundesliga-Tauglichkeit angeht, obwohl der mit der Europaauswahl den von Udo Lattek trainierten Dortmundern nach 2:0-Führung noch mit 2:3 unterliegt. "Holen wir ihn doch, das lohnt sich", schildert Netzer in einem "Sportclub"-Interview mit dem NDR 2012, worauf er und Zebec sich spontan verständigen. "Der Franz hat das am Anfang nicht für möglich gehalten. Er hat nicht daran geglaubt, dass das ernst ist", fuhr Netzer fort. "Er kannte aber den Branko Zebec. Das war sein Trainer, von dem er geschwärmt, von dem er nur das Beste gehalten hat. Als er gemerkt hat, dass er ihn haben wollte, war er schonmal positiv eingestimmt."

Netzer redet dann als Freund auf Beckenbauer ein, "warum es doch gut sein könnte, dieses zu tun": nach 396 Einsätzen für den FC Bayern und mehr als drei Jahren bei Cosmos New York in die Bundesliga zurückzukehren. Netzer: "Ich habe gespürt, dass er den großen Fußball noch nicht ad acta gelegt hatte." Der Fußball in den USA sei "nicht die große Herausforderung" gewesen, "die er gewohnt war und die er eigentlich immer noch in sich gespürt hat."

Und so bestritt Beckenbauer zwischen dem 15. November 1980 und dem 29. Mai 1982 noch 28 von ihm 55 möglichen Bundesligapartien.

"Wenn der Franz aufgelaufen ist, haben die Gegner die Hosen voll gehabt."

Jimmy Hartwig

"Wenn der Franz aufgelaufen ist", erinnert sich nach der Gedenkfeier in der Allianz Arena im Gespräch mit unserer Redaktion der damalige HSV-Kollege Jimmy Hartwig, "dann haben die Gegner schon mehr die Hosen voll gehabt." Diese Ehrfurcht vor dem Fußball-Kaiser sei bei den Kontrahenten zu spüren gewesen.

TV-Experte Franz Beckenbauer unterhält sich mit Bremens damaligem Manager Klaus Allofs
Franz Beckenbauer (l.) und Klaus Allofs begegneten sich erst als Gegenspieler in der Bundesliga, dann als DFB-Teamchef und -Kapitän in der Nationalelf, schließlich auf der Funktionärsebene. (Archivbild) © imago images/Ulmer

Dies bestätigt Hartwigs späterer Kölner Mitspieler Klaus Allofs, der Beckenbauer in der Allianz Arena ebenfalls gedachte, im Gespräch mit unserer Redaktion: "Als Gegenspieler hat man sich gar nicht gewagt, ihn anzugreifen, oder ihm eventuell weh zu tun. Bei ihm war man vorsichtiger als bei anderen. Es wäre fast Majestätsbeleidigung gewesen, ihn zu attackieren oder gar zu foulen. Er war eine Respektsperson."

"Vom Franz gab es damals nur gedruckte Autogrammkarten."

Klaus Allofs

Vor allem angesichts der Vorgeschichte, die Allofs erzählt: "Mein Verhältnis zu Franz Beckenbauer hat als Autogrammsammler begonnen." Allofs, den 1987 Beckenbauer als Teamchef zum Kapitän der Nationalelf bestimmte, habe einst als Nachwuchsfußballer schriftlich einen Autogrammwunsch an Beckenbauer gerichtet, um dann enttäuscht festzustellen, "dass es von ihm damals nur gedruckte Karten gab. Im Nachhinein habe ich es verstanden, weil er so viele Anfragen hatte." Allofs gehört zu den Fußballern, die sich vom Kaiser haben inspirieren lassen: "Obwohl ich ein Offensivspieler war, war er in seiner Art, Fußball zu spielen, mein großes Vorbild."

Franz Beckenbauer beglückwünscht Jimmy Hartwig zu dessen Tor gegen den KSC 1982
Am 29. Mai 1982 steht Franz Beckenbauer (l.) letztmalig in der Bundesliga auf dem Platz. Jimmy Hartwig (r.) trifft gegen den KSC - und wird vom "Kaiser" beglückwünscht. © picture-alliance / Sven Simon

Hartwig: "Mit Franz Beckenbauer zusammenzuspielen, ist wie ein Sechser im Lotto gewesen. Er hat mir manchmal meine Fehler erzählt, hat mit mir Kaffee getrunken. Er ist mir auf Augenhöhe begegnet, hat mich wertgeschätzt. Er wird mir sehr fehlen und auch nach seinem Tod immer bei uns bleiben. Der Franz wird auch im Himmel oben die Richtung angeben. Wenn der Pelé kommt und der Cruyff und der Müller und wollen anfangen, dann wird der Franz sagen: 'Gerd, hier geht der Weg lang!'"

Verwendete Quelle:

Zu den Personen

  • Jimmy Hartwig kam 1978 vom TSV 1860 München zum Hamburger SV und feierte mit dem Klub, bei dem er auch A-Nationalspieler wurde, auf Anhieb den Gewinn der deutschen Meisterschaft. Zwischen 1980 und 1982 war er auch Mitspieler Franz Beckenbauers. 1984 schloss Hartwig sich dem 1. FC Köln an, wo er auch auf Klaus Allofs traf. Nach 244 Bundesligaspielen beendete Hartwig 1988 im Alter von 33 Jahren beim FC Homburg seine Laufbahn.
  • Klaus Allofs begann seine Profilaufbahn 1975 bei Fortuna Düsseldorf und beendete sie im Alter von 36 Jahren bei Werder Bremen. Bei seinem Wechsel aus Düsseldorf zum 1. FC Köln im Sommer 1981 war der Torschützenkönig der EM 1980 angesichts der für ihn bezahlten Ablösesumme in Höhe von 1,15 Millionen Euro der bis dahin teuerste Bundesligaspieler. Allofs, Torschützenkönig der Bundesliga 1979 und 1985, machte sich auch als Manager in Bremen und Wolfsburg einen Namen.
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