Der Stuttgarter Naouirou Ahamada wird mit Gelb-Rot vom Platz gestellt, weil er nach einem Tor zu intensiv mit den Fans jubelt. Dem Schiedsrichter bleibt letztlich keine Wahl, weil es sich um eine sogenannte Pflichtverwarnung handelt. Der Fall erinnert an eine bekannte Begebenheit vor mehr als zehn Jahren.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Alex Feuerherdt sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Beim Spiel zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und dem VfB Stuttgart (2:2) dürften nach 78 Minuten etliche Stadionbesucher und auch die Fernsehzuschauer ein wenig verwundert gewesen sein: Wataru Endo hatte gerade den Führungstreffer zum 2:1 für die Schwaben erzielt, als es im Freudentaumel der Stuttgarter urplötzlich Gelb-Rot für Naouirou Ahamada gab, der den Treffer vorbereitet hatte.

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Mehrere Spieler des VfB protestierten bei Schiedsrichter Florian Badstübner gegen den Feldverweis, und so mancher Beobachter fragte sich: Was hatte Ahamada – der fünf Minuten zuvor wegen Meckerns verwarnt worden war – nur getan, das den Unparteiischen zu dieser Sanktion veranlasste.

Die Fernsehbilder zeigten es schließlich: Ahamada war nach dem Treffer über eine Werbebande hinter dem Tor der Hoffenheimer gehüpft und zum Gästeblock gelaufen, wo er eine kleine Treppe hinaufstieg und sich zu den dort versammelten VfB-Fans begab, um mit einigen von ihnen eng umschlungen zu feiern.

Das Verlassen des Spielfelds ist noch kein Vergehen

Das Regelwerk sieht für diese Form des Torjubels eine Gelbe Karte vor. Das Verlassen des Spielfelds, um zu feiern, ist zwar "an sich noch kein verwarnungswürdiges Vergehen", wie es in der Regel 12 ("Fouls und sonstiges Fehlverhalten") heißt. Die Spieler sollen lediglich "so rasch wie möglich zurückkehren". Doch weiter steht dort: "Ein Spieler wird verwarnt, selbst wenn das Tor aberkannt wird, wenn er an einem Zaun hochklettert und/oder sich den Zuschauern auf eine Weise nähert, die zu einem Sicherheitsproblem führt."

Einer der in dieser Hinsicht wohl bekanntesten Fälle in der Geschichte der Bundesliga hatte sich vor etwas mehr als zehn Jahren im Spiel zwischen Hannover 96 und Werder Bremen zugetragen, als der Hannoveraner Szabolcs Huszti sich nach seinem Siegtor zum 3:2 in der Nachspielzeit erst das Trikot vom Leib riss und anschließend einen Zaun erklomm, um mit den Fans zu jubeln.

Eine Pflichtverwarnung wie einst bei Huszti

Schiedsrichter Deniz Aytekin hatte Huszti damals mit einer Geste des Bedauerns zuerst die Gelbe Karte für das Ausziehen des Trikots gezeigt und sofort danach Gelb-Rot für das Klettern auf den Zaun. Eine kuriose Entscheidung, die DFB-Schiedsrichter-Lehrwart Lutz Wagner aber als korrekt bewertete: Aytekin habe "keinen Handlungsspielraum" gehabt, ihm seien "die Hände gebunden" gewesen.

Denn es handelte sich hierbei um sogenannte Pflichtverwarnungen, bei denen es nicht auf das Ermessen des Referees ankommt. Andere Beispiele für solche Pflichtverwarnungen sind das unerlaubte Betreten des Feldes, der Versuch, die sogenannte Rückpassregel zu umgehen, und das Verkürzen des Mauerabstandes, sofern der Schiedsrichter den Freistoß deshalb wiederholen lässt.

Viele Fußballstadien haben allerdings keine Zäune mehr, die man hochklettern könnte, sondern beispielsweise Treppen, wie es im Sinsheimer Stadion der Fall ist. Aber verwarnungswürdig ist es laut Regelwerk eben auch, sich den Zuschauern so zu nähern, dass die Sicherheit tangiert wird. Gemeint ist sowohl die Sicherheit des betreffenden Spielers, der von ekstatischen Fans versehentlich verletzt werden könnte, als auch die Sicherheit von Teilen des Publikums beim Versuch, dem Spieler in der Euphorie so nahe wie möglich zu kommen.

Der Überschwang ist völlig verständlich, aber verboten

Mit der jubelnden Masse auf Tuchfühlung zu gehen wie Ahamada, mag im Überschwang der Gefühle ein nachvollziehbares Bedürfnis sein. Nach dem Regelwerk ist es aber schon seit etlichen Jahren als Form des übertriebenen Torjubels verboten, genauso wie das Ausziehen des Trikots. Zumindest in Deutschland sprechen die Unparteiischen diese Pflichtverwarnung normalerweise auch konsequent aus.

Deniz Aytekin sagte seinerzeit zu Gelb-Rot gegen Huszti, ihm habe diese Sanktion "leid getan", auch sein Kollege Florian Badstübner dürfte nicht unbedingt glücklich darüber gewesen sein. Doch die betreffende Regel hatten beide nun mal anzuwenden, und deshalb war der Feldverweis eine richtige Entscheidung, so hart er auch wirken mochte.

Als Ahamada das Bad in der Menge nahm, hielten seine Mitspieler übrigens deutlichen Abstand, und Konstantinos Mavropanos redete ein sichtlich ernstes Wort mit dem 20-Jährigen, bevor dieser das Feld verließ. Das lässt darauf schließen, dass dessen Teamkollegen genau wussten, welche Konsequenzen diese Art des Torjubels nach sich zieht.

Mit zehn Spielern kassierte der VfB Stuttgart schließlich noch den Ausgleichstreffer, Ahamada hatte seinem Team den sprichwörtlichen Bärendienst erwiesen. Allerdings hatte er auch einmal Grund, sich zu ärgern: Als ihn Gegenspieler Stanley Nsoki in der 60. Minute im Hoffenheimer Strafraum beim Kopfballduell mit dem Ellenbogen im Gesicht traf, wäre ein Strafstoß angemessen gewesen. Den aber gab es nicht.

Lindström: Nur Gelb trotz VAR-Eingriff

Deniz Aytekin leitete an diesem 17. Spieltag die Begegnung zwischen dem SC Freiburg und Eintracht Frankfurt (1:1). Auch in dieser Partie gab es einen Eingriff des Video-Assistenten. Bei einem Konter der Gäste nach 68 Minuten spielte Jesper Lindström den Ball kurz vor der Mittellinie auf der rechten Außenbahn ab, Philipp Lienhart trat ihm danach in den Weg und versuchte auf diese Weise, ihn am Weiterlaufen zu hindern.

Der Frankfurter revanchierte sich dafür, indem er dem Freiburger seinerseits ein Bein stellte. Lienhart hakte daraufhin unfreiwillig bei sich selbst ein und fiel. Beide Aktionen geschahen abseits des Balles, dessen Lauf Schiedsrichter Aytekin folgte. Es war deshalb offensichtlich, dass er nicht wahrgenommen hatte, was zwischen Lindström und Lienhart vorgefallen war.

Lindströms Beinstellen fernab des Balles hätte man bei einer strengen Regelauslegung als Versuch einer Tätlichkeit bewerten können. Wohl weil Aytekin der Vorfall gänzlich verborgen geblieben war, kam es nach Rücksprache mit VAR Pascal Müller zu einem On-Field-Review. Aytekin brauchte am Monitor nicht lange, um zu einem Urteil zu kommen: Er beließ es bei einer Gelben Karte für Lindström.

Dafür spricht, dass das Vorgehen des Frankfurters kein klarer Tritt war und es ihm an jener Brutalität fehlte, die eine Tätlichkeit kennzeichnet. Die Verwarnung war also durch den Ermessensspielraum des Schiedsrichters gedeckt und regelkonform. Ein Feldverweis hätte hier überzogen angemutet, zumal Aytekin insgesamt keine strenge Linie hatte.

Was das VAR-Protokoll sagt

Mancher mag sich gefragt haben, wie es möglich ist, dass es nach einem VAR-Eingriff samt On-Field-Review nur eine Gelbe Karte gibt. Die Erklärung liefert das VAR-Protokoll: Nach einem solchen Review am Monitor muss am Ende immer die aus Sicht der Unparteiischen vollständig richtige Entscheidung stehen.

Wenn es also zu einer Überprüfung wegen einer möglichen Roten Karte kommt, der Referee aber nach Ansicht der Bilder davon überzeugt ist, dass ein Feldverweis unangemessen oder falsch wäre, kann er auch eine geringere persönliche Strafe aussprechen – eben die Verwarnung. Ihm bleibt also keineswegs nur die Wahl, entweder die Rote Karte zu zeigen oder gänzlich auf eine Sanktion zu verzichten.

Das bedeutet: Es gibt kein On-Field-Review wegen einer fehlenden Verwarnung. Aber es kann vorkommen, dass nach einem Eingriff wegen einer womöglich fehlenden Roten Karte am Ende die Gelbe Karte herauskommt.

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