Timo Werners Schwalbe gegen den FC Schalke 04 erhitzt noch immer die Gemüter. Dabei ist es laut Regelwerk durchaus legitim, den Schiedsrichter an der Nase herum zu führen. Eine härtere Bestrafung würde dem ein jähes Ende setzen.

Eine Analyse
von Marcus Erberich
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marcus Erberich sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Bundesliga-Topspiel am Samstagabend zwischen RB Leipzig und dem FC Schalke 04 war gerade erst ein paar Sekunden alt, als Timo Werner den Aufreger des Spieltags produzierte. Mit einem Affenzahn rauschte der Leipziger Angreifer in den Schalker Strafraum, stürzte jäh zu Boden – und Schiedsrichter Bastian Dankert entschied: Elfmeter für RB!

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Jedoch lassen die Aufnahmen der Szene keinen Zweifel daran, dass Werner überhaupt nicht gefoult worden war – weder vom Torwart noch von einem Abwehrspieler. Es war eine Schwalbe. Werner hatte erkannt, dass er in dieser Spielsituation wohl kein Tor erzielen würde, also ließ er sich fallen in der Hoffnung, auf diesem Weg trotzdem noch etwas Zählbares ergaunern zu können.

Schiedsrichter Dankert: "Tut mir leid"

Nun ist sich Fußball-Deutschland äußerst selten so einig wie in der Diskussion über diese Szene. Schalke-Trainer Markus Weinzierl sagte in der Pressekonferenz nach dem Spiel: "Jeder hat gesehen, dass es eine Fehlentscheidung war vom Schiedsrichter. Das müssen wir so hinnehmen." Und auch Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick gestand im ZDF: "Natürlich war das, wenn man sich das jetzt noch mal im Fernsehen anschaut, kein Elfmeter."

Auf die Szene angesprochen, räumte auch der unglückliche Schiedsrichter Dankert im Nachgang des Spiels seinen Fehler ein; es tue ihm leid, gab er zu Protokoll. Und der Täter selbst, Timo Werner erzählte unmittelbar nach dem Abpfiff zwar noch etwas von einem Zupfer von Schalkes Naldo, mit einem Tag Abstand ließ aber auch er seine Deckung fallen und gab zu: "Natürlich sieht es dann nicht nur nach einer Schwalbe aus, sondern es ist eine – Punkt."

Medien gehen mit Werner hart ins Gericht

Damit wäre das Thema eigentlich durch. Aber in den Medien wurde Werners Schwalbe seither zu einem der größten Fußballskandale der jüngeren Geschichte hochgejazzt. In einem Kommentar im Online-Angebot der "Süddeutsche Zeitung" war etwa zu lesen, dass "RB Leipzig den Erfolg in dieser Saison mit wirklich allen verfügbaren Mitteln erzwingen kann und will."

Und die "Welt" frotzelte: "Regungslos lag er (Werner, Anm. d. Red) kurz da, ein Priester für die letzte Ölung war schon so gut wie bestellt, doch dann ertönte der Pfiff zum Elfmeter, der Tote sprang auf, pries den Schiedsrichter für seine unbürokratische Entscheidung mit dem Daumen nach oben, legte sich den Ball auf den Punkt, und schon stand es 1:0."

Die Schwalbe ist so legitim wie ein taktisches Foul

Bei allem verständlichen Ärger über Werners "skandalöse Schwalbe" (Spox) fällt die Nachbetrachtung der Szene eine Nummer zu groß aus. Und sie wirft die Frage auf, ob es eine ähnliche Welle der Entrüstung auch gegeben hätte, wenn Werner statt für Leipzig für – sagen wir – Augsburg spielen würde.

Denn nüchtern betrachtet, gehört die Schwalbe zum Fußball wie jedes handelsübliche Foul – ob es einem passt oder nicht. Im Regelwerk steht: "Ein Spieler ist wegen unsportlichen Betragens zu verwarnen, wenn er versucht, den Schiedsrichter durch das Simulieren einer Verletzung oder eines angeblichen Fouls ('Schwalbe') zu täuschen."

Er ist zu verwarnen, eine gelbe Karte also. So eine gibt es auch für ein taktisches Foul – bloß regt sich darüber niemand so leidenschaftlich auf wie über eine vermeintlich hinterlistige Schwalbe. Würde die Schwalbe als grobe Unsportlichkeit gewertet – wie etwa ein sehr hartes Foul oder ein Schlag ins Gesicht –, würde sie mit Rot bestraft.

Der Videobeweis würde helfen

Statt gegen Timo Werner zu ätzen, müsste sich der Ärger der Kommentatoren folglich gegen das Regelwerk richten, das Schwalben durch eine lasche Bestrafung im kleinen Ausmaß legitimiert.

Das Schinden von Freistößen und Elfmetern (und obendrein von Karten für gegnerische Spieler) ist zugegebenermaßen eine der vielen Unsitten dieses Spiels. Aber die geltende Regel lädt die Spieler geradezu dazu ein, es ein Mal pro Spiel zu versuchen. Zu verlieren haben sie nicht viel – zu gewinnen, wenn es klappt, dagegen eine ganze Menge.

Das ist auch daran zu erkennen, dass der DFB keinerlei Möglichkeit (oder Notwendigkeit) sieht, Werner zu bestrafen.

Ab der Saison 2017/18 wird in der Bundesliga testweise der Videobeweis eingeführt. Hätte Dankert am Samstagabend in Leipzig einen Assistenten am Monitor konsultieren können, er hätte sicher nicht auf Elfmeter entschieden. Ob und wann der Videobeweis verbindlich eingeführt wird, ist noch offen. Sicher ist aber: Zusammen mit einer härteren Bestrafung für Schwalben wäre er ein geeignetes Werkzeug, um der Schwalbe endgültig den Garaus zu machen.

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