Der FC Liverpool zelebriert gegen den FC Barcelona einen Abend für die Geschichtsbücher mit einem Tor für die Ewigkeit. Wie hat die Mannschaft von Jürgen Klopp das nur geschafft?
Die Geschichte der magischen Nacht von Anfield beginnt schon im Camp Nou in Barcelona. Ousmane Dembélés Chance zum 4:0 mit der letzten Aktion des Hinspiels hatten einige verwegene Betrachter mal im Hinterkopf behalten - nur für den Fall, dass in Liverpool ein paar Tage später etwas völlig Verrücktes passieren könnte.
Sechs Tage später ist es tatsächlich passiert. Vier zu Null, in einem Champions-League-Halbfinale, nach einem Null zu Drei im Hinspiel, gegen den FC Barcelona, gegen
Liverpool brauchte ein erneutes Istanbul
"We need an Istanbul" war ein geflügeltes Wort in Liverpool in den Tagen vor dem Drama. Die Erinnerungen an das Finale von Istanbul vor 14 Jahren sollten Kraft und Zuversicht spenden.
Damals drehte die Mannschaft um Steven Gerrard einen 0:3-Halbzeitrückstand gegen die damals beste Mannschaft der Welt, den AC Milan. Und jetzt gegen Barca, da waren ja nicht 45, sondern satte 90 Minuten Zeit für das Wunder.
"Der Plan war, dass wir eine Geschichte drehen, die wir unseren Kindern noch erzählen können", sagte
Während draußen die Menschen tobten und schrien und weinten vor Glück, blieb Liverpools deutscher Trainer wie schon in den 90 Minuten zuvor auch bei den Interviews für seine Verhältnisse erstaunlich ruhig.
Nur einmal erlaubte sich Klopp eine kleine Entgleisung, als er bei den britischen Kollegen von BT Sport das böse F-Wort benutzte. "Es ist zehn nach Zehn, die Kinder schon im Bett", startete Klopp seine Eloge. "Also kann ich das sagen: 'Die Jungs sind verdammte Mentalitätsgiganten!" Im englischen Original hörten sich Klopps Worte allerdings etwas drastischer an …
Leidenschaft, Hingabe und Mut
Frech wollten seine Spieler sein, sagte Klopp. Die Erfolgsaussichten waren verschwindend gering, aber sie waren da.
Schon unmittelbar nach dem Spiel in Barcelona habe sich in seiner Mannschaft ein vager Glaube an das Wunder breit gemacht. "Ich habe an die Chance geglaubt, aber ehrlich gesagt nicht daran, dass es klappt", gab selbst Klopp im Interview bei "Sky" zu. "Aber das hier haut dich ja um, das war sehr speziell und ich bin echt glücklich, dass ich hier dabei sein durfte."
Wie also war das möglich: Eine solche Energieleistung, so viel Leidenschaft und Hingabe, so viel Mut und Wille im 51. Pflichtspiel in dieser Saison, ohne die beiden verletzten Top-Angreifer Mo Salah und Roberto Firmino? Eine Erklärung fand keiner der Protagonisten, wenigstens gab es aber jede Menge Indizien.
Wie schon im Hinspiel stellte Liverpool das bessere Team, war im Kollektiv dynamischer und im Pressing fast von einer anderen Welt. In der ersten Halbzeit gab es noch ungestüme Momente, als die "Reds" dem Gegner im Überschwang ins offene Messer liefen.
Was Liverpool aber nach der Pause gegen den Ball fabrizierte, war einfach atemberaubend gut. Zwei der drei ersten Tore fielen nicht zufällig nach Umschaltmomenten, beim dritten köpfte Georginio Wijnaldum den Ball nach einer handelsüblichen Flanke in den Knick.
Ein Tor für die Ewigkeit
Der letztlich entscheidende vierte Liverpooler Treffer war aber nichts anderes als ein verblüffendes Stück Fußballgeschichte, das den Abend so treffend wie zugespitzt zusammenfasste.
Trent Arnold-Alexanders Bauerntrick mit einer schnell ausgeführten Ecke samt Divock Origis Handlungsschnelligkeit erlegten Barca endgültig. Es war ein Kunstwerk, zwei Rote im Strafraum gegen neun Gelbe und deren Torhüter. Und doch lag der Ball ein viertes Mal im Netz.
Aus Liverpools Sicht und wohl auch aus der von Millionen neutralen Zuschauern der reinste Wahnsinn. Für den FC Barcelona rund ein Jahr nach dem Zusammenbruch beim AS Rom die zweite zerstörerische Niederlage in der Königsklasse in Folge.
Die Mannschaft hatte in der ersten Halbzeit genügend Chancen, dem ganzen Treiben mit einem frühen Auswärtstor ein Ende zu setzen. Wenn die größte verbliebene Stärke aber plötzlich zur größten Schwäche wird, hat selbst eine gestählte Truppe wie die aus Barcelona ein veritables Problem.
Alles war auf Lionel Messi zugeschnitten. Selbst als in der ersten Halbzeit vier Barca-Spieler fast alleine vor Alisson Becker auftauchten und Jordi Alba aus zehn Metern bei freier Schussbahn selbst hätte abschließen müssen, legte er den Ball noch mal quer auf Messi - und der verhedderte sich gegen Virgil van Dijk.
Messi alleine reicht nicht
Es gab Zeiten gegeben haben, da hätte Barca einen intensiver und schneller anrennenden Gegner mit der Kraft der eintausend Pässe in seine Einzelteile zerschnitten.
Das aktuelle Barca hatte aber nur den einen Plan und der hieß: Gebt Messi den Ball, er wird es schon irgendwie richten. Tat er nicht, und Hilfe bekam er auch nicht. Luis Suarez etwa blieb auch im 18. Auswärtsspiel in der Champions League ohne Tor.
Barcelona ist brutal abgesoffen, die Mannschaft gescheitert an einem Team mit einer besseren Idee vom Fußball. Das Spiel des FC Liverpool und auch das von Ajax Amsterdam oder den Tottenham Hotspur mit ihren erfrischenden Trainern an der Seitenlinie, das ist die aktuelle Elite im internationalen Fußball. Den Haudegen aus Barcelona, München oder Madrid bleibt in dieser Saison nur die Zuschauerrolle.
Klopp und der Final-Fluch
Jürgen Klopp ist jetzt der zweite deutsche Trainer, der in zwei aufeinanderfolgenden Spielzeiten ins CL-Finale einzieht. Zuvor war dies nur Jupp Heynckes gelungen.
Egal wie der Gegner heißen wird, er und seine Truppe werden am 1. Juni in Madrid als Favoriten ins Endspiel gehen. Jeder erwartet jetzt den Titel, gerade nach einem solchen Spektakel. Und weil es schließlich auch Klopp selbst war, der nach seiner Ankunft in Liverpool im Herbst 2015 versprochen hatte, in spätestens vier Jahren einen großen Titel zu holen.
Drei Finals auf europäischer Bühne hat Klopp mit Dortmund und Liverpool allerdings schon verloren. Am kommenden Wochenende wird die englische Meisterschaft entschieden und Liverpool muss dabei erneut auf ein kleines Wunder hoffen. Danach sind drei lange Wochen Pause - und auch für diese unbekümmerte Mannschaft jede Menge Zeit zu verkrampfen.
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