Die Saison 21/22 ist zu Ende, der Meister gekürt. Zumindest stimmt diese Aussage für die Saison 2021/22. Doch für die Saison 21/22 von vor 100 Jahren sieht das anders aus. Bald jährt sich das Endspiel ohne Ende zum 100. Mal.
Ein Spiel ohne Ende?!
Der 18. Juni 1922 war in Berlin ein unbeständiger Tag. Am Nachmittag regnete es stärker, klarte dann aber auf. In der nun schwülen Luft pfiff Schiedsrichter Dr. Peco Bauwens im Grunewaldstadion vor 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauern um 17 Uhr das Finale um die deutsche Meisterschaft 1922 an: Der Favorit 1. FC Nürnberg gegen den Hamburger SV. Damals gab es noch eine Art Playoff, bei dem die besten Teams der Landesverbände um die landesweite Meisterschaft spielten.
Nürnberg gegen Hamburg: Es war eine umkämpfte Partie
Die Vorberichte versprachen ein spannendes Spiel: Das schnelle Nürnberger Flachpassspiel gegen das englische "kick and rush" der Hamburger. Doch es kam anders: Die Nürnberger Spieler fielen vor allem durch sehr körperbetontes bis unfaires Spiel auf. Ständig humpelten Spieler oder mussten massiert oder ärztlich betreut werden. Auswechslungen waren damals verboten und die Spieler standen zur Not lieber als Statisten auf dem Feld.
Aber wie das nun mal so ist: Es gewinnt nicht immer das Team mit dem schöneren oder fairen Spiel und so war es auch hier – bis zu 85. Minute: Eckstoß für den HSV, ein Schuss ins lange Eck am Torhüter vorbei ins Netz – 2:2, Verlängerung.
Und so begann das Endspiel ohne Ende.
Spielabbruch: Es war zu dunkel
Laut damaliger DFB-Wettbewerbsregeln gab es bei einem Unentschieden nach 90 Minuten bis zu zwei Verlängerungen à 30 Minuten. An diesem Abend in Berlin fielen in diesen 60 Minuten jedoch keine weiteren Toren. Mittlerweile war es nach 20 Uhr. Viele Fans forderten den Spielabbruch. Doch Schiedsrichter Bauwens befragte die Spieler, die – voller Endorphine – auf Weiterspielen plädierten. Das nächste Tor sollte das Spiel entscheiden, doch nach nur einer Viertelstunde brach Bauwens – er war mittlerweile von Krämpfen geplagt – das Spiel ab: Es war zu duster und Flutlicht gab es nicht. Insgesamt hatte das Spiel 189 Minuten gedauert.
So kam es zum Wiederholungsspiel am 6. August 1922 in Leipzig. Das Match konnte aber wegen des großen Zuschaueransturms erst mit 40 Minuten Verspätung angepfiffen werden. Im Stadion waren etwa 60.000 Zuschauerinnen uns Zuschauer, davon mindestens ein Drittel mit gefälschten Eintrittskarten. Das erst am Tag zuvor eingeweihte Leipziger Stadion war völlig überfüllt, Fußball-Fans saßen und standen unmittelbar hinter den Toren.
Bauwens, der erneut als Schiedsrichter pfiff, richtete an beide Teams den Appell, diese Partie fair zu spielen. Nach 18 Minuten trat ein Nürnberger einem am Boden liegenden Hamburger in den Bauch: Platzverweis. Bauwens Appell war quasi schneller verpufft als er ausgesprochen war.
Zwei Spiele: Kein Sieger beim Meisterschaftsfinale 1922 gekürt
Es folgten zwei Tore – eins für Nürnberg, eins für Hamburg – doch die gingen in den damaligen Spielberichten fast unter. Vielmehr wurde über die vielen Verletzungen berichtet, darunter der Nürnberger Anton Kugler, der nach Aussagen der Nürnberger nach einem Ellenbogencheck von Tull Harder vier oder fünf Zähne verlor. Kugler kam nach zehn Minuten wieder auf den Platz und blieb als Statist und vermeintlicher Stürmer in der gegnerischen Spielhälfte stehen.
Es blieb beim 1:1 nach 90 Minuten und somit kam es zur Verlängerung, die es in sich hatte: Zunächst flog ein weiterer Nürnberger Spieler vom Platz, kurz danach brach Statist Kugler ohne Fremdeinwirkung zusammen und mit dem Halbzeitpfiff ein weiterer Nürnberger Spieler. Der Club hatte nur noch sieben Spieler, die Regeln sahen aber vor, dass mindestens acht Akteure pro Team notwendig seien.
Bauwens wartete noch etwas länger mit dem Wiederanpfiff und informierte die Teams: Sollten beide Nürnberger Spieler mit Kreislaufproblemen nicht mehr spielfähig sein, müsse er das Spiel abbrechen. Nein, sie konnten nicht.
Und so ging das Endspiel ohne Ende zu Ende.
Kein Meister: HSV verzichtet auf den Titel
Natürlich kam es unmittelbar nach dem Spiel zu weitreichenden Diskussionen und der Suche nach Schuldigen. Auch, nachdem der DFB-Spielausschuss am 19. August den HSV zum Deutschen Meister 1922 erklärte.
Hätte Bauwens nicht erst einmal wieder anpfeifen müssen und prüfen, ob die beiden Nürnberger Spieler vielleicht doch als reine Statisten auf dem Platz stehen würden? Reichte es wirklich, dass Bauwens sich in der Pause der Verlängerung mit den Nürnbergern unterhielt und direkt abbrach?
Nürnberg legte Protest ein, der am 18. November 1922 auf dem DFB-Bundestag besprochen wurde: Eine starke Mehrheit stimmte dafür, weiterhin den HSV als Deutschen Meister zu küren. Doch der HSV erklärte wiederum kurz nach dieser Abstimmung: Nein, wir verzichten freiwillig auf diese Meisterschaft.
Und so gibt es bis heute keinen gekürten Deutschen Meister 1922.
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