Das Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt wird allem Anschein nach die letzte Partie von Thomas Tuchel als Trainer von Borussia Dortmund. Der monatelang schwelende Konflikt mit der Vereinsführung um Hans-Joachim Watzke könnte dem Coach trotz sportlicher Erfolge zum Verhängnis werden. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?

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Manchmal ist es nicht wichtig, was man sagt - sondern, was man nicht sagt.

Hans-Joachim Watzke zum Beispiel, der hat am vergangenen Wochenende im Stadionmagazin von Borussia Dortmund ein vorzeitiges Saisonfazit gezogen und sich dabei ausdrücklich bei "der gesamten BVB-Familie, Fans und Freunden" und der Mannschaft bedankte.

Ausgerechnet der Trainer fehlte in der Aufzählung.

Außerdem sei es so, dass auch in den kommenden Jahren "ausschließlich das Wohl dieses einzigartigen, wunderbaren Klubs […] das Handeln der Verantwortlichen bestimmen" werde. Auf Deutsch: Der Klub ist größer als jeder Einzelne.

Watzke ist medial auf Tauchstation

Nach dem Spiel gegen Werder Bremen gab es tatsächlich eine Umarmung zwischen Watzke und Tuchel - eine in auffälliger Beiläufigkeit.

Pflichtschuldig begegneten sich beide Protagonisten und lieferten nach den ganzen Spekulationen und Gerüchten der letzten Wochen den visuellen Beweis: Hier wird allenfalls noch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner miteinander kommuniziert.

Seit knapp zwei Jahren ist Thomas Tuchel Trainer bei Borussia Dortmund, sein Vertrag läuft sogar noch bis zum Sommer 2018.

Er würde diesen gerne erfüllen, hat Tuchel durchblicken lassen. So fern man ihn lasse. Watzke lässt im Moment gar nichts durchblicken.

Der sonst so redselige Geschäftsführer ist medial auf Tauchstation gegangen, ebenso wie Sportdirektor Michael Zorc.

So weiß niemand genau, ob das Pokalfinale von Borussia Dortmund gegen Eintracht Frankfurt das letzte Spiel von Tuchel auf der Bank des BVB sein wird.

Natürlich kann man vor so einem wichtigen Spiel keine Unruhe gebrauchen und schweigt besser zu den Spekulationen und wilden Gerüchten.

Andererseits: Diese wurden zu großen Teilen vom BVB und einer ziemlich missglückten Kommunikationspolitik befeuert.

Die sportlichen Ziele fast alle erreicht

Tuchel jedenfalls ist aus sportlicher Sicht kaum ein Vorwurf zu machen.

Die direkte Qualifikation für die Champions League sollte es als Minimalziel sein und in beiden Wettbewerben möge man doch so weit wie möglich kommen.

Das Aus gegen den AS Monaco in der Champions League ist unter sportlichen Gesichtspunkten kaum zu bewerten.

Und im DFB-Pokal stehen die Chancen gegen die Eintracht nicht so schlecht, den nächsten Titel nach fünf titellosen Jahren nach Dortmund zu holen.

Tuchel hat in den Tagen und Wochen nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus seinen Ruf als Technokrat widerlegen können.

Er hat da in einer besonders schwierigen Phase eine besonders gute Figur abgegeben und mit Einfühlungsvermögen und Empathie aufwarten können.

Die Debatten um seine Person und seinen Führungsstil wabern schon länger.

Im Winter wurden erste Risse in der Beziehung zwischen Mannschaft und Trainer publik und die Bosse zeigten schon damals schnell, auf wessen Seite sie sich im Zweifel schlagen würden.

Seitdem gilt die Beziehung als belastet, kommen tröpfchenweise immer mal wieder ein paar Details ans Licht oder Erzählungen von Spielern, die dann aber nicht namentlich genannt werden wollen.

Das alles erinnert an einen schleichenden Niedergang, der - so ist zumindest zu vermuten - in den Tagen nach dem Pokalfinale sein "Opfer" finden könnte.

Tuchel eckte oft an

Tuchel ist nicht schuldlos an der Situation. Schon vor fast anderthalb Jahren legte er sich mit Chefscout Sven Mislintat an, ein im Verein hoch angesehener Mitarbeiter und Vertrauter von Zorc.

Tuchel soll Mislintat den Zutritt zum Trainingsgelände verwehrt haben - die BVB-Spitze reagierte mit der Beförderung Mislintats zum Leiter Profifußball.

Als später der Schwede Alexander Isak für acht Millionen Euro verpflichtet wurde, war Tuchel bis kurz vor Abschluss des Transfers nicht in die Entscheidungsfindung involviert.

Nach dem tragisch verlorenen Pokalfinale im letzten Jahr stellte er sich auf der Pressekonferenz nicht etwa vor seine Spieler, sondern ging Mats Hummels scharf an.

Und nach der Niederlage beim Tabellenletzten in Darmstadt im Februar platzt es - wie einige Monate zuvor schon in Frankfurt - nach dem Spiel aus ihm heraus.

Tuchel stellt gar die Mentalität der Mannschaft in Frage und die Vermutung in den Raum, nicht alle im Klub wären sich bewusst, dass der BVB mit dieser jungen, neu formierten Mannschaft eine Umbruch-Saison absolviert.

Die direkte Qualifikation für die Champions League als Saisonziel wäre jedenfalls wohl doch zu ambitioniert. Die Vereinsführung reagiert darauf mit großer Verwunderung.

Wie wäre das zu moderieren?

Mit den unterschiedlichen Aussagen über die Neuansetzung der Champions-League-Partie gegen Monaco nur 24 Stunden nach dem Anschlag bekam der Konflikt auch eine öffentliche Note.

Watzke sprach in einem Interview am Tag des vorentscheidenden Spiels gegen Hoffenheim vor einigen Wochen offen von einem "Dissens" und öffnet damit den Spekulationen alle Türen.

Allerdings, so beteuern Watzke und Zorc, sei die Entscheidung über Tuchels Zukunft eine völlig offene. Nach dem Pokalfinale wolle man sich zusammensetzen und darüber reden.

Derzeit deutet nicht viel darauf hin, dass Tuchel auch in der kommenden Saison noch Trainer beim BVB ist.

Es dürfte eine der schwierigsten Phasen in Watzkes Amtszeit werden, eine mögliche Trennung von einem Trainer zu moderieren, der gemessen an den sportlichen Aufgabenstellungen und erklärten Zielen nicht gescheitert ist.

Im Januar hatte Watzke erklärt, er wolle in der Rückrunde "ein Gefühl entwickeln, ob das für beide Seiten über die drei Jahre hinaus Sinn ergibt".

Offenbar hat sich Watzkes Gefühl in der Sache so stark erkaltet, dass Tuchel am Samstag eventuell sein letztes Spiel als Trainer der Borussia bestreitet.

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