Bei der EM haben Sicherheitskräfte auf einen portugiesischen Fan eingetreten, ein Youtuber hat sich, als Maskottchen verkleidet, Zugang zum Stadioninnenraum verschafft und ein Roofer ist auf das Dortmunder Stadiondach geklettert. Dennoch schätzt Sicherheitsexperte Harald Olschok die EM grundsätzlich als sicher ein.
Vor dem Finale der Fußball-Europameisterschaft hat Bundesinnenministerin
Ein paar kleinere Vorfälle gab es dennoch: In Frankfurt haben beim Achtelfinalspiel der Portugiesen gegen Slowenien Sicherheitskräfte einen Fan niedergerungen und auf ihn eingetreten, als dieser aufs Spielfeld stürmen wollte. Ein Influencer hat sich als EM-Maskottchen verkleidet und ist in den Innenraum eingedrungen. Und im Dortmunder Stadion ist ein Mann vermummt aufs Dach geklettert, um Fotos zu machen. Wie sicher war also die EM?
Herr Olschok, war die EM sicher – oder hätte man Bedenken haben können?
Harald Olschok: Nein, die EM war absolut sicher. Natürlich ist jeder Fall anders: Das falsche Maskottchen ist ein anderer Fall als der, der aufs Dach in Dortmund geklettert ist, und das ist nochmal anders als die Sicherheitskräfte, die einen portugiesischen Fan malträtiert haben. Man sollte aber dazu die Vorgeschichte kennen. Er wollte sich Zutritt zum Spielfeld verschaffen. Die Reaktion der Ordner ist nicht hinzunehmen, aber man sollte das aus der Situation heraus sehen.
Die Ordner haben auf den Fan eingeprügelt. Wie kann man denn diese Reaktion erklären?
Wäre er auf dem Boden gelegen und hätte sich fixieren lassen, wäre das wahrscheinlich nicht passiert. Das sind dann gruppendynamische Prozesse, die auf Seiten der Ordner leider ablaufen. Das führt zu Reaktionen, die über das Normalmaß hinausgehen. Das ist eine sehr spezielle Situation, die kann man nicht üben. Sie wird nun strafrechtlich aufgearbeitet und derjenige, der sich nicht rechtmäßig verhalten hat, wird später bestraft werden.
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Was ist die Schlussfolgerung aus diesem Vorfall?
So etwas kann immer passieren. Die Ordner stehen unter Druck. Die Veranstaltung ist ein recht komplexes Thema. Die Ordner sind zu 85 Prozent Aushilfskräfte. Sie müsste man veranstaltungsadäquat qualifizieren, aber das gelingt nicht immer.
Wie könnte die Unterrichtung des Sicherheitspersonals besser funktionieren?
Das muss aus den Klassenzimmern der Industrie- und Handelskammer in die Stadien und in die Veranstaltungsräume gehen. Wenn es ein Rockkonzert gibt, muss dort die Einweisung stattfinden. Dort muss unterrichtet werden, wie sie sich in schwierigen Situationen verhalten. Das Problem ist bekannt, aber es geht hier um das Gewerberecht. Die Unterrichtung ist für diese Tätigkeit nicht geeignet, sage ich. Jede Veranstaltung hat ihre eigenen Herausforderungen.
Ist das Problem also ein strukturelles? Wäre es mit mehr festen und weniger Aushilfskräften gelöst?
Das ist eine Illusion. Es gibt viele Veranstaltungen, die einmal im Jahr stattfinden. Woher sollen die Leute kommen?
Aber dass man auf jemanden, der am Boden liegt, nicht eintritt, dürfte doch jedem klar sein – egal, für welche Firma er oder sie arbeitet.
Da sind wir uns einig. 2015, zu Hochzeiten der Flüchtlingskrise, kamen in vielen Orten auch private Sicherheitsfirmen zum Einsatz, sie haben in Burbach in Nordrhein-Westfalen einen Asylbewerber malträtiert. Dann gab es viele Änderungen, wir haben an der Qualifikation gearbeitet, man lernt aus solchen Situationen – verhindern kann man sie ganz generell aber nicht.
Bei der EM gab es auch noch andere Vorfälle: Ein Youtuber, der sich als Maskottchen verkleidet hat, kam in den Innenbereich, ein Roofer kletterte aufs Dortmunder Stadiondach. Wie hätte man das verhindern können?
Der Youtuber ist ein spezieller Fall. Er wollte mit seiner Aktion Aufmerksamkeit generieren und zeigen, wie leicht es ist, die Sicherheitskräfte zu überlisten. Der Roofer wollte Fotos machen, ist auf das Dach geklettert. Die vielen Ideen von Menschen fordern eine Sicherheitsorganisation heraus, aber ganz ausschließen kann man das nicht.
Ist die Gefahr in den vergangenen Jahren gewachsen? Sind die Vorfälle mehr geworden?
Generell würde ich sagen: nein. Rückblickend und im Vergleich zu dem, was vor dreißig, vierzig Jahren in den Stadien passiert ist, hat die Gefahr nicht zugenommen. Probleme gibt es häufiger auf den Zufahrtswegen zu den Stadien, zum Beispiel in Regionalzügen. Im Vergleich dazu ist eine Europameisterschaft meiner Einschätzung nach relativ gesittet.
Ein einschneidendes Ereignis war die Loveparade 2010 in Duisburg. Was hat sich seitdem geändert?
Die Loveparade war ein einschneidender Vorfall mit über 20 Toten und hunderten Verletzten. Man muss unterscheiden zwischen Safety und Security. In Deutschland wird das oft vermischt. Bei der Loveparade gab es ein Safety-Problem, weil die Organisation nicht in der Lage war zu sagen, wann niemand mehr reingehen sollte in diesen Tunnel. Da geht es um Sicherheitsschutz. Bei Security geht es um den Schutz vor kriminellen und halbkriminellen Aktivitäten. Seit der Loveparade ist im Bereich Safety die Anforderung deutlich hochgefahren worden. Man muss sich auch bei kleineren Veranstaltungen genehmigen lassen, dass zum Beispiel Fluchtwege vorhanden sind. Die Auflagen sind deutlich gestiegen.
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Wie stimmen sich Polizei und Sicherheitsdienste bei einem Großereignis ab?
Gerade im Fußball in Deutschland, nicht nur in der Bundesliga, hat der DFB mächtig aufgerüstet. Jeder DFL-Klub muss ein Sicherheitskonzept und einen Sicherheitsmanager vorweisen. Die Sicherheitsmanager müssen eine Ausbildung für Sicherheitsmanagement absolvieren. Da ist in den letzten Jahren ein deutlicher Qualifizierungsfortschritt erreicht worden. Der Sicherheitsverantwortliche des Vereins arbeitet mit der Polizei, mit den Ordnungsämtern, mit anderen Sicherheitsinstitutionen zusammen. Im Auftrag des Vereins gibt es private Sicherheitsdienste, die die Stadionsicherheit zu gewährleisten haben.
Gibt es unabhängige Sachverständige, die während eines Großereignisses überprüfen, ob die Sicherheit gewährleistet ist?
Beim DFB gibt es – und ich nehme an, das ist bei der EM genauso – Leute, die Undercover durch die Stadien gehen und sich die Arbeit anschauen, vor allem bei Hochrisikospielen. Das ist ja auch im Interesse der Vereine.
Bei wem liegt die Verantwortung, wenn etwas passiert?
Das ist der Sicherheitsverantwortliche des Vereins. Bei der EM war das die Uefa. Vielerorts hat man auf die Sicherheitskräfte der jeweiligen Stadien zurückgegriffen, da sie die Gegebenheiten vor Ort am besten kennen. Das Sicherheitskonzept für die EM wurde in den vergangenen Jahren permanent weiterentwickelt.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Harald Olschok ist ehemaliger Geschäftsführer des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft. Vergangenes Jahr wurde er zum Honorarprofessor für den Bereich Polizei und Sicherheitsmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.
Verwendete Quellen
- bmi.bund.de: Mit Sicherheit gut vorbereitet
- sportschau.de: Wer sorgt da eigentlich für die Sicherheit?
- ntv.de: Harsche Kritik an mangelnder Ausbildung für Sicherheitskräfte
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