Außenseiter Georgien hat bei der EM in Deutschland sensationell die K.o.-Runde erreicht. Einer der Hauptverantwortlichen für den Erfolg: Cheftrainer Willy Sagnol, ein alter Bekannter aus der Bundesliga.
Georgiens Trainer Willy Sagnol dürfte sich nach dem völlig überraschenden 2:0-Sieg im letzten EM-Gruppenspiel gegen Portugal kurzzeitig an die alten Zeiten beim FC Bayern zurückversetzt gefühlt haben.
Denn als er nach dem spektakulären Achtelfinaleinzug des EM-Neulings das Podium der offiziellen Pressekonferenz betrat, stimmte einer der Medienvertreter laute "Willy, Willy"-Sprechchöre an. Auch in seiner aktiven Zeit in München wurde der Rechtsverteidiger bei Heimspielen immer wieder mit Sprechchören bedacht. Ein langgezogenes "Willyyyyy" schallte dann durchs Olympiastadion und später die Allianz Arena.
Sagnol gehörte damals beim deutschen Rekordmeister zu den Publikumslieblingen – die Sympathien in Georgien waren ihm schon nach der erfolgreichen EM-Qualifikation sicher. Der Franzose gilt quasi bereits jetzt als Nationalheld in dem kleinen Land zwischen Europa und Asien.
Georgischer Verband wollte einen "hungrigen Trainer"
Im Februar 2021 startete Sagnols Abenteuer beim aktuellen 74. der Fifa-Weltrangliste. Verbands-Präsident Lewan Kobiaschwili, der früher unter anderem für Freiburg und Schalke spielte, erinnerte sich bei der Trainersuche an seinen ehemaligen Kontrahenten aus der Bundesliga. "Wir haben konkret so einen Trainer gesucht. Für unsere Spieler, für unsere Mentalität ist das sehr wichtig, so einen Trainer zu haben, der ehemaliger Spieler ist, ein hungriger Trainer, der auch etwas beweisen will", sagte Kobiaschwili einmal zu den Gründen für die Sagnol-Verpflichtung.
Die kleine Fußball-Nation suchte keinen Coach mit reichlich Erfahrung und Erfolgen auf der Trainerbank. Diese hatte Sagnol auch nicht wirklich vorzuweisen: Nach seinem Engagement als Coach der französischen U21-Nationalmannschaft landete der Franzose bei Girondins Bordeaux, ehe er im Sommer 2017 schließlich zum FC Bayern zurückkehrte. In München unterstützte er Cheftrainer
Am Anfang kannte Willy Sagnol keinen einzigen georgischen Spieler
Danach ist es um Sagnol erstmal ruhig geworden. Der Vize-Weltmeister von 2006 gönnte sich eine mehrjährige Pause. Bis im Februar 2021 schließlich Kobiaschwili anklopfte. Das Hauptaugenmerk legte der Ex-Profi, der den Verband gemeinsam mit dem Ex-Freiburger Alexander Iaschwili führt, dabei auf den Charakter des neuen Coaches – und die Art und Weise, wie Trainer und Team zusammenpassen.
Gemeinsam schufen sie die Basis für den heutigen Erfolg. Sie veränderten Strukturen, ließen Jugendakademien bauen, setzten auf junge Spieler und arbeiteten systematisch auf das große Ziel hin. "Es musste ein Neuanfang her", erinnerte sich Sagnol, der bei seinem Amtsantritt nicht mal einen einzigen georgischen Spieler gekannt hatte.
Mit Sagnol auf dem Posten nahm die georgische Erfolgsstory dann jedoch langsam, aber sicher ihren Lauf: Die Quali-Gruppe beendete das Team hinter Spanien, Schottland und Norwegen auf dem vierten Platz. Sagnol und seine Spieler um Superstar Khvicha Kvaratskhelia durften in den Playoffs ran und setzten sich dort gegen Griechenland, den Europameister von 2004, durch.
Sagnol sollte den Ehrenorden des Landes bekommen
Die Sensation war perfekt. Georgien durfte erstmals an einer EM-Endrunde teilnehmen. Schon damals sollten Sagnol und sein Team den Ehrenorden des Landes bekommen – die Georgier feierten den Erfolg emotional und euphorisch. Dass die Menschen in Georgien überhaupt davon träumen durften, ist auch ein Verdienst Sagnols. "Sehr groß" sei der Anteil des Franzosen am Erfolg, sagte Kobiaschwili.
Wie eng die Bindung zwischen Trainer Sagnol und seinen Spielern ist, wurde bei der EM in Deutschland schon mehrmals deutlich. Zum Beispiel im zweiten Gruppenspiel gegen Tschechien (1:1), als der Franzose als Erster den völlig untröstlichen Saba Lobzhanidze in den Arm nahm und ihm gut zuredete.
Für Georgien geht das EM-Märchen weiter
Lobzhanidze hatte kurz zuvor, in der fünften Minute der Nachspielzeit, die Großchance zum 2:1-Führungstreffer vergeben. "Ich bin zu ihm gegangen, weil ich mir gut vorstellen konnte, wie er sich in diesem Moment fühlt", erklärte Sagnol anschließend. "Ich habe versucht, ihm zu sagen: Wer es nicht versucht, kann es auch nie schaffen."
Nach dem ersten EM-Punkt gegen Tschechien folgte dann der erste EM-Sieg im letzten Spiel gegen Portugal. Nach dem Schlusspfiff gab es kein Halten mehr: Die georgischen Ersatzspieler, Trainer und Betreuter stürmten auf das Spielfeld und feierten mit ihren völlig erschöpften Teamkollegen. Überglücklich herzte Sagnol seine stolzen Helden, deren EM-Märchen nun in der K.o.-Phase weitergeht.
Dass es zwischen Trainer und Mannschaft so harmoniert, liegt vor allem an einer Eigenschaft Sagnols: Der 46-Jährige schafft es, seinen Spielern gegenüber nie den ehemaligen Europameister, Champions-League-Sieger und Bayern-Profi heraushängen zu lassen. Stattdessen gibt er sich nahbar und bewegt sich auf Augenhöhe mit seinen Spielern.
Ein Gefühl, das Sagnol bereits seit Beginn der EM in Deutschland durchs Turnier trägt: Stolz. Das betont der ruhige Franzose immer wieder. "Mein stärkstes Gefühl ist definitiv Stolz", sagte er bereits nach dem Punktgewinn gegen Tschechien. "Wenn du weißt, woher wir kommen, kann man nicht enttäuscht sein." Und auch nach dem Sieg über Superstar Cristiano Ronaldo sagte Sagnol: "Ich bin so stolz auf die Spieler. Ich fühle mich sehr stolz, ihr Trainer zu sein."
Sagnol wusste durchaus um die Bedeutung des Erfolges für das mit rund 3,7 Millionen Einwohnern zweitkleinste Teilnehmer-Land der EM. "Die einzige Verantwortung, die wir hatten, war es, die georgische Nation stolz auf ihre Spieler zu machen. Und ich denke, das haben wir auf die beste Weise geschafft." Realisieren, das gab der Franzose zu, wird das Team den Erfolg wohl erst, "wenn wir verlieren und zurück nach Hause fahren."
Für Georgien geht die EM-Reise nun aber erstmal weiter – mit Spanien wartet dabei der aktuell wohl härteste Brocken auf die Sagnol-Truppe. Erreicht hat der Trainer mit seiner Mannschaft aber schon jetzt vieles, die Erwartungen bereits längst übertroffen. Was ihm dieser EM-Sommer bedeutet, machte Sagnol erst kürzlich deutlich: "Das steht auf derselben Ebene wie der Gewinn der Champions League mit dem FC Bayern. Ohne jeden Zweifel", sagte er im "kicker"-Interview.
Ein Franzose sorgt im kleinen Fußball-Land Georgien für mächtig Furore. Seinen Platz in der Fußball-Historie des Landes hat Sagnol schon jetzt sicher, und Nationalspieler Nika Kvekveskiri stellte klar: "Er ist einer der Nationalhelden. Er ist Franzose, aber ist jetzt Georgiens Nationalheld."
Eines jedenfalls steht jetzt schon fest: Bei der Rückkehr nach Georgien werden die Menschen Sagnol und das Team für ihre Leistung feiern und bejubeln – "Willy, Willy"-Sprechchöre inklusive.
Verwendete Quellen
- uefa.com: Trainer Willy Sagnol über Georgiens historische Qualifikation und die EM-Ziele
- kicker.de: Sagnol zur EM-Quali mit Georgien: "Auf derselben Ebene wie der Gewinn der Champions League"
- transfermarkt.de: Trainerprofil von Willy Sagnol
- inside.fifa.com: Aktuelle Weltrangliste der Männer
- mit Material von dpa und sid
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