Eintracht Frankfurt ist die letzte deutsche Mannschaft im Europapokal, der Sieg gegen Inter war erneut eine Demonstration der Stärke von Mannschaft, Verein und Fans. Das Erfolgsrezept: Kaum ein Bundesligist präsentiert sich seit Wochen auf und abseits des Rasens so sehr als Einheit wie die Eintracht derzeit.

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Ein bisschen neidisch darf man im Moment schon sein, auch wenn man es selbst eher mit den Bayern, Dortmund, Stuttgart oder Werder hält.

Aber wie Eintracht Frankfurt derzeit durch die Wettbewerbe fliegt, wie die Fans die Leistungen der Mannschaft fast ausnahmslos durch ihr Auftreten und ihre Hingabe veredeln und wie sich der ganze Klub als echte Einheit präsentiert, ist überaus bemerkenswert.

Rekord und Sorge

Vom selbst befeuerten Image des Randale-Meisters und der Fahrstuhlmannschaft hat sich diese Eintracht mittlerweile emanzipiert - eigentlich.

Die Auswärtsspiele im Europapokal werden zu regelrechten Pilgerfahrten, rund 20.000 Frankfurter Fans machten sich in dieser Woche auf nach Mailand, 14.000 davon fanden dann auch Einlass ins Giuseppe-Meazza - ein neuer Auswärtsfahrer-Rekord in der Geschichte des Europapokals.

Die alte Bestmarke aus dem Jahr 2013 wurde damit pulverisiert, auch die hatte Frankfurt beim damaligen Auswärtsspiel in Bordeaux mit 11.000 Fans aufgestellt.

Dass sich eine kleine Gruppe der Fans im Stadion in dieser magischen Nacht von San Siro mal wieder nicht benehmen konnte, mischt Wermut in den Wein.

Das Abbrennen und Werfen von Rauchtöpfen und Bengalos könnte den Klub teuer zu stehen kommen: Frankfurt spielt nach ähnlichen Vorfällen im Gruppenspiel bei Lazio auf Bewährung, nun droht im Viertelfinale ein Auswärtsspiel ohne eigene Fans.

Das Kollektiv zählt

Ansonsten läuft es derzeit bei kaum einem anderen deutschen Klub so überragend wie bei der Eintracht. Die Mannschaft spielt mitreißenden, technisch anspruchsvollen und wuchtigen Angriffsfußball.

Trainer Adi Hütter ist es tatsächlich gelungen, die hervorragende Vorarbeit von Niko Kovac zu veredeln, aus einer defensiv stabilen Mannschaft eine wohltemperierte Truppe zu basteln, die hartnäckig verteidigen und aufregend angreifen kann.

Leidenschaft paart sich mit Tempo und Kreativität, in der 3-4-3-Grundordnung marschieren alle Spieler in beide Richtungen. Keiner ist sich für die Drecksarbeit zu schade, die andere Mannschaften gerne bestimmten Spielergruppen überlassen: Den Sechsern oder den Innenverteidigern.

Stattdessen verteidigte Angreifer Luka Jovic gegen Inter in den Schlussminuten als zusätzlicher Außenverteidiger, weil Kollege Filip Kostic nach dem gefühlt hundertsten Sprint vollkommen ausgelaugt war.

Ebenso übernahm Mittelstürmer Sebastien Haller die Position von Sebastian Rode, der von einem Ganzkörperkrampf gepeinigt an der Seitenlinie behandelt wurde. Haller hielt das Zentrum stabil.

Die Eintracht funktioniert wie ein perfekt abgestimmtes Kollektiv, in dem auch in den Stunden des Höhenflugs keiner abhebt: Nicht Siegtorschütze Jovic, hinter dem mittlerweile halb Europa her sein dürfte, nicht Haller oder die heimlichen Stars aus der Defensive: Evan Ndicka, 19 Jahre jung und doch so abgezockt oder Makoto Hasebe, der wichtigste Spieler im Kader.

Die Bescheidenheit, mit der diese Mannschaft auftritt, ist absolut bemerkenswert und ein Grundstein für den Erfolg derzeit.

Die Europa League als Highlight

Sportvorstand Fredi Bobic ist es zusammen mit seinem Chefscout Ben Manga gelungen, eine Ansammlung von Spielern aus der ganzen Welt in Frankfurt so zusammenzubringen, dass Trainer Hütter - ebenfalls von den beiden und Sportdirektor Bruno Hübner ausgesucht - daraus das Beste formen kann.

Andere Klubs scheitern daran in bester Regelmäßigkeit, in Frankfurt haben sie aus dem multikulturellen Einschlag ein integratives Element geformt.

Dazu kommt das Auftreten von Präsident Peter Fischer, der sich nicht nur politisch eindeutig positioniert, sondern nicht so aufgesetzt und affektiert wirkt wie die Mehrzahl seiner Kollegen in der Bundesliga und damit voll den Nerv nicht nur der Eintracht-Fans trifft.

Mit dem Lauf von Mijat Gacinovic ins leere Münchner Tor fing die Reise an, das 3:1 gegen die Bayern im Pokalfinale im Mai war der Auftakt zu einer bisher märchenhaften Reise.

Frankfurt hat alle sechs Spiele in der Gruppenphase der Europa League gewonnen und ist nun die erste Mannschaft überhaupt, die es ungeschlagen ins Viertelfinale des Europapokals geschafft hat.

Man spürt förmlich, wie ernst Frankfurt den Wettbewerb nimmt und anders auftritt als Leipzig oder Leverkusen in dieser, oder Hertha in gleich mehreren Spielzeiten davor: Für die Eintracht ist jeder Spieltag ein Festtag, entsprechend wird auch jede einzelne Partie zelebriert.

Für Inter war das Spiel am Donnerstag vielleicht sogar eher lästig, Trainer Luciano Spalletti ließ einige wichtige Spieler auf der Bank und verhalf im Laufe der Partie sogar dem 16-jährigen Sebastiano Esposito zu seinem UEFA-Cup-Debüt. Für die Eintracht bedeutete dieses Spiel in diesem Stadion vor 14.000 eigenen Fans die Welt.

Überragende Außendarstellung

Medial begleitet wird der Siegeszug durch Europa vom Streamingdienst DAZN. Das mag eine Randnotiz sein, ist aber in der Art und Weise, wie die Eintracht damit umgeht, einzigartig für eine deutsche Profimannschaft.

Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie man sich authentisch präsentieren und greifbar machen kann in einer Zeit, da andere Medienabteilungen auf totale Abschottung setzen oder völlig chaotisch agieren wie beim DFB. Oder ihren Fans von Sponsoren geplante, leb- und lieblose Choreografien vor die Nase setzen wie zuletzt bei den Bayern.

In Frankfurt dagegen ist "All Access" angesagt, die Mannschaft wird in den Momenten unmittelbar nach den Spielen in der Kabine gefilmt, ungefiltert und echt.

Oder auf Terminen außerhalb des Platzes, Mittelfeldspieler Jonathan De Guzman in der Winterpause sogar bei seinem Besuch in der kanadischen Heimat begleitet. Das sorgt nicht nur für ein Gefühl der Nähe, es ist wirklich nah und echt.

Viele kleine und große Mosaiksteinchen passen derzeit perfekt zusammen, die Eintracht ist seit dem Pokalfinale im Flow und kostet diesen komplett aus. Weil der Klub auf ganz vielen Ebenen einfach auch sehr viel richtig macht. Fans anderer Klubs könnten glatt neidisch werden.

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