• Im "Fan Club Nationalmannschaft" sind rund 50.000 Anhänger des DFB-Teams organisiert.
  • Der vom DFB gegründete und verwaltete Fanclub wird allerdings stark kritisiert.
  • Fanforscher Harald Lange sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Man hat sich ein Opern- und Eventpublikum herangezogen."
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Vier Sterne. Außenpool auf der Dachterrasse, dazu ein Fitnesscenter, ein Wellnessbereich mit Sauna und Dampfbad. Jede Menge Luxus also, der auf die Gäste des "La Quinta by Wyndham Dubai Jumeirah" direkt am Hafen Port Rashid wartet. Die Menschen, die Preise von bis zu fast 4.000 Euro zahlen sollen, sind allerdings keine Geschäftsleute oder gut betuchte Touristen, sondern Fußball-Fans. Genauer gesagt Mitglieder des "Fan Club Nationalmannschaft". Powered by Coca-Cola, um es ganz korrekt auszudrücken. Was die Sache, so ungewöhnlich sie sich für gewöhnliche Fußball-Anhänger anhört, dann wieder rund macht.

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Denn dieser Fanclub soll Anhänger der Nationalmannschaft zwar zusammenbringen, hat mit der Fankultur, wie man sie aus den meisten deutschen Stadien kennt, aber nicht viel zu tun. "Wir haben eine vergleichsweise behäbige Fankultur bei der Nationalmannschaft, es sind zwei völlig verschiedene Fankulturen", sagt Fan- und Fußballforscher Harald Lange von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Gespräch mit unserer Redaktion. Er nennt es "Event- und Opernpublikum", das sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) mehr oder weniger herangezogen hat.

So beliebt wie "Die Mannschaft"

Der Fanclub ist beim "normalen" Bundesliga-Fan in etwa so beliebt wie der Ex-Claim "Die Mannschaft". Trotzdem sind in dem Fanclub, der 2003 gegründet wurde, laut DFB inzwischen 50.000 Menschen organisiert. Als Einzelmitglied bekommt man für 30 Euro exklusive Ticketverkaufsphasen, ein Welcome-Package, das Abonnement des DFB-Journals, 20 Prozent Rabatt im DFB-Fanshop sowie einen vergünstigten Eintritt im Deutschen Fußballmuseum. Ein "Clou": Auswärtskarten bekommt man ohne Mitgliedschaft gar nicht mehr. Eine zumindest fragwürdige Praxis.

"Sie haben die Kontrolle bei der Ausgabe von Tickets, sie können dich mit Werbung bombardieren und dich im Fanverhalten ein Stück weit steuern", sagt Lange. Dadurch sei der Fankultur das genommen, was man aus dem Vereinsfußball kenne, so Lange: "Dass man supportet, aber innerhalb des Clubs auch eine Opposition bildet, ein kritisches Auge auf alle Entwicklungen hat rund um den Club. Fankultur organisierte sich selbstbestimmt und inszeniert sich selbstbestimmt. Das ist in einer durchkommerzialisierten Fanclubkultur wie beim DFB überhaupt nicht möglich."

Der Misserfolg kam, der Hype verschwand

Diese Art, die Fankultur mitzuorganisieren, ging tatsächlich lange gut. Im Grunde so lange, wie die Nationalmannschaft auch erfolgreich war. Die Erwartungen stiegen jedoch mit den Erfolgen: Fußball-Feste, Unterhaltung und WM-Titel im Abo waren im Grunde fest eingeplant. Doch dann kam die WM 2018, das Vorrunden-Aus und die herangezüchtete Fan-Basis fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Denn Erfolgsfans sind "diejenigen, die die Nationalmannschaft wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, wenn sie nicht jedes Spiel gewinnt oder so spielt, wie sich das Eventpublikum das vorstellt. Für sie ist Fußball als Eventprogramm austauschbar. Sobald sie etwas attraktiver finden, sind sie weg", sagt Lange.

Und dann leide das Produkt Nationalmannschafts-Fußball, erklärt der Fanforscher. Aktuell kann man dem DFB-Team ein Zuschauerproblem attestieren, die mittelgroßen Stadien wie in Sinsheim bekommt man noch problemlos voll, bei einer Kapazität jenseits der 40.000 kommt es schon auf den Gegner an. "Es kommen immer noch genug dorthin, man hat sich auf einem mittleren Niveau eingependelt. Auch die TV-Quoten sind ordentlich. Es fehlt aber so etwas wie ein Ruck, der durch das ganze System geht", sagt Lange.

Ein grundlegendes Desinteresse

Denn inzwischen hat sich so etwas wie ein grundlegendes Desinteresse manifestiert und kultiviert. Es gehört unter den engagierten Fans zum guten Ton, gegen den DFB zu sein. Inzwischen zählt auch die Nationalmannschaft dazu, denn sie verkörpert seit Jahren viele Dinge, die organisierte Fanszenen generell massiv anprangern.

Der Fanclub steht für die Kommerzialisierung des deutschen Fußballs, für das oft kritisierte Event-Gehabe rund um das DFB-Team, für eine Fremdbestimmung und Gängelei durch den Verband. "Der Fanclub ist ein Musterbeispiel, wie man danebenliegen kann, wenn man Fankultur reglementieren will und sich seine eigene Fankultur heranorganisiert", sagt Lange: "Ökonomisch ist das reizvoll, aber es zeigt die Fallstricke, wenn man daraus ein Geschäft machen will. Kurzfristig gedacht hat man auf schnelle Gewinne gesetzt, und das fällt einem jetzt auf die Füße."

WM in Katar als Geschäft

Ein Geschäft ist auch die WM in Katar. Für die Mitglieder des Fanclubs wurden über "Emirates Holidays" insgesamt sechs Reisepakete geschnürt, bis zu 300 Fans finden in dem erwähnten Hotel Platz, der Transfer per Flugzeug von Dubai nach Katar ist inklusive. Das sind zwei No-Gos in einem: Zum einen eine bis zum letzten Winkel durchorganisierte Kommerz-Reise, die auch den letzten Funken Abenteuer und Unabhängigkeit einer klassischen Fantour zunichtemacht.

Dazu noch zu einer WM, die nahezu allen Grundsätzen der etablierten und kritischen Fankultur widerspricht. Die große Frage: Was für Fans reisen dorthin? "Das müssen Menschen sein, die mit den 15.000 verstorbenen Bauarbeitern distanziert umgehen können, die solche Problemlagen nicht an sich heranlassen und die sich etwas erhoffen im Sinne von Unterhaltung und Event", vermutet der Fanforscher.

Er geht davon aus, dass Proteste schlicht nicht stattfinden: "In Katar werden wir ein unkritisches und stilles Eventpublikum erleben." Das ist unter dem Strich "eine Kulisse, die die Nationalmannschaft und der DFB so verdient haben", urteilt der Experte. Womit wir wieder bei den Kulturunterschieden sind. Denn, sagt Lange: "Ein echter Fußballfan kann gar nicht anders, als solche Dinge kritisch anzusprechen."

Sommermärchen 2024?

Und nun? Immerhin findet 2024 die EM in Deutschland statt. Von einem Sommermärchen ist Fußball-Deutschland aber so weit entfernt wie von Katar. Außerdem sei die WM nicht dafür geeignet, um so etwas wie Rückenwind aufkommen zu lassen, glaubt Lange. "Gleichzeitig haben wir eine DFB-Führung, die nichts dafür tut, um eine kritische, selbstbewusste Position gegen die WM zu formulieren. Nach meinen Beobachtungen ist das Stimmungsbild in den Fanszenen so, dass man es befremdlich findet und man sich von der Nationalmannschaft und dem DFB zusehends abwendet", sagt Lange.

Sein Lösungsvorschlag: ein Systemwechsel, weg von der "Bierhoffisierung" der Nationalmannschaft, wie Lange die Ära unter dem früheren DFB-Manager und heutigen DFB-Direktor Oliver Bierhoff nennt. Die Abkehr von "Die Mannschaft" war ein erster Schritt, doch wenn man bedenkt, wie lange das gedauert hat, obwohl die Ablehnung in der Öffentlichkeit von Anfang an greifbar war, lässt das Schlimmes erahnen.

Dabei bräuchte man Raum, Platz und Flexibilität, um das Thema neu anzudenken, so Lange: "Dass man wieder von 'unserem Fußball' sprechen kann und eine Identifikationsmöglichkeit mit der Nationalmannschaft geboten bekommt." Denn Vier-Sterne-Hotels in Dubai gehören nicht dazu.

Über den Experten:
Prof. Dr. Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, Gründer des Instituts für Fankultur e.V. und Dozent an der Trainerakademie des DOSB in Köln. Zuvor war er unter anderem Professor für Sportpädagogik an einer Pädagogischen Hochschule (2002-2009) und Gastprofessor an der Universität Wien (2008-2009). Lange hat über 3.000 wissenschaftliche Arbeiten publiziert – davon mehr als 50 Bücher und Sammelwerke.

Verwendete Quellen:

  • emiratesholidays.com: DFB-Fanclub
  • fanclub.dfb.de: Fan Club Nationalmannschaft
Cari Roccaro und Meleana Shim

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