Die Vereine der Saudi Pro League gehen in diesem Sommer auf große Shopping-Tour und schütten Topstars mit jeder Menge Geld zu. Das erinnert stark an den Aufstieg der Chinese Super League, die inzwischen in der Versenkung verschwunden ist. Wie nachhaltig ist das Saudi-Projekt?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das Urteil von Carlos Tevez war vernichtend. "Auch in 50 Jahren werden sie mit den Südamerikanern und Europäern nicht konkurrieren können", sagte der Argentinier 2017 über die Chinese Super League. Der Frust des damaligen, millionenschweren Transfer-Missverständnisses?

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Auch, allerdings sollte der Stürmer tatsächlich Recht behalten. Mit Aufsehen erregenden Investitionen und namhaften Verpflichtungen sorgte die Super League in den 2010er-Jahren immer wieder für Schlagzeilen. Stars wurden mit viel Geld in das Reich der Mitte gelockt.

Nicht nur Altstars, die im Herbst der Karriere dankbar abkassierten, sondern auch Topspieler, die sich auf dem Höhepunkt ihres Schaffens befanden. Die Vereine kleckerten nicht, sie klotzten. Doch 2023 ist die Blase längst geplatzt, die Liga liegt in Trümmern.

Doch Geschichte scheint sich zu wiederholen. China ist jetzt Saudi-Arabien, wo die Klubs der Saudi Pro League in diesem Sommer die Geldkoffer packen und auf große Shopping-Tour gehen. Der Mega-Transfer von Cristiano Ronaldo im Winter zu Al-Nassr war nur der Anfang.

CR7 folgten bislang unter anderem Karim Benzema und das Chelsea-Trio N’Golo Kante (beide Al-Ittihad), Kalidou Koulibaly (Al Hilal) und Edouard Mendy (Al-Ahli). Auch deren Teamkollege Hakim Ziyech soll in die Wüste wechseln. Gleichzeitig wird das Transfer-Defizit des FC Chelsea mit einem Schlag deutlich minimiert. Die Klubs in Europa können das Treiben teilweise nur staunend begleiten.

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Der Wahnsinn kennt nicht einmal Alters-Grenzen

Der Wahnsinn kennt dabei auch keine Alters-Grenzen, Ruben Neves geht mit 26 Jahren und trotz einer angeblichen Einigung mit dem FC Barcelona zu Al-Hilal. Sogar Manchester City scheint machtlos, der Abgang von Superstar Bernardo Silva droht, auch hier baggert Al-Hilal kräftig am Mittelfeldspieler, der 28 ist.

Die Liste lässt sich in den kommenden Wochen sicher fortsetzen, und automatisch stellt man sich die Frage, ob Saudi-Arabien tatsächlich einfach nur China 2.0 ist? Kann man jetzt dabei zuschauen, wie viele Stars dem Ruf des Geldes folgen, bis auch dieses System irgendwann implodiert?

Parallelen sind tatsächlich vorhanden, allerdings nur auf den ersten Blick. In China war die grundsätzliche Strategie eine andere. Staatspräsident Xi Jinping will China bis 2050 zur Weltmacht im Fußball machen, weshalb vor allem in die Infrastruktur und die Nachwuchsarbeit investiert wurde. Fußball soll Nationalsport Nummer eins werden.

Die durch Investoren oder milliardenschwere Konzerne befeuerte, rasante Entwicklung der Liga wurde aber staatlich eingebremst, die Strahlkraft eingedämmt. Neben einer Transfersteuer in Höhe von 100 Prozent wurden in den vergangenen Jahren auch eine Gehaltsobergrenze und ein Ausgabenlimit eingeführt, außerdem waren nur fünf Ausländer im Kader und vier gleichzeitig auf dem Platz erlaubt. Der Attraktivität wurde der Stecker gezogen.

Corona mit der strikten chinesischen Zero-Covid-Strategie gab der Liga den Rest, das Gebilde wurde im Grunde entkommerzialisiert. "Unsere Klubs haben zu viel Geld verbrannt und unser Profifußball wurde nicht nachhaltig geführt", sagte 2019 der Vorsitzende der CFA, Chen Xuyuan, der Agentur "Xinhua". Neben der Misswirtschaft der Vereine sah es der Staat auch nicht gerne, dass die Topstars dem eigenen Nachwuchs im Weg standen.

Das Ergebnis: Die großen Namen sucht man heute vergeblich. Der Brasilianer Oscar, der 2017 für 60 Millionen Euro vom FC Chelsea zu Shanghai Port wechselte und damals mit der Ablöse den immer noch gültigen Liga-Rekord aufstellte, ist heute mit 31 Jahren und einem Marktwert von 7,5 Millionen Euro der wertvollste Spieler.

Sport spielt eine zentrale Rolle beim angestrebten Imagewandel

In Saudi-Arabien kennt man die chinesischen Bedenken, Probleme und Zwänge nicht, für die kommende Saison sind bis zu acht Ausländer im Kader zugelassen. Andere Restriktionen gibt es nicht. Dafür ist der staatliche Einfluss in Saudi-Arabien voll auf den Entwicklungsplan "Vision 2030" ausgerichtet und weniger auf eine schlagkräftige Nationalmannschaft.

Der Golfstaat will sich dank diverser milliardenschwerer Großprojekte, zu dem auch der Sport gehört, mit "Sportswashing" ein neues Image verpassen, ein auf Hochglanz poliertes. Mit Stars wie CR7 soll von den Missständen im eigenen Land abgelenkt werden. Und das um jeden Preis, denn Geld ist bei dem Projekt nur zweitrangig.

Wo die Reise für die Liga dadurch hingeht, ist schwer abzuschätzen, denn den Ruf einer Rentner-Liga mit überschaubarer Fußballkultur, eingeschränkter Qualität und begrenztem Niveau wird die Pro League auch mit den Topstars so schnell nicht los. Auch die Liga in China spielte international keine Rolle, war sportlich mehr oder weniger bedeutungslos.

"Die eingesetzten Mittel sind so beträchtlich, dass ein längerfristiger Erfolg wahrscheinlich ist, ob man sich aber wirklich dauerhaft als eine der zehn stärksten Ligen der Welt etabliert, dahinter ist eher ein Fragezeichen zu setzen", sagt Sportpolitik-Experte Jürgen Mittag im Gespräch mit unserer Redaktion zu den Aussichten der Saudi Pro League: "Dies um so mehr, da die natürlichen Ressourcen des Landes nicht unendlich sind."

Dafür ist aber davon auszugehen, dass die Stars bei einem dauerhaften Aufenthalt hofiert werden. In China gab es keine Extrawürste, Ronaldo und die anderen Superstars dürften sie in dem Golfstaat trotz der strengen Gesetze aber wohl bekommen. Unter dem Strich lockt das Geld. "Sicherlich eröffnet Saudi-Arabien den Profispielern auch eine Wohlfühl-Atmosphäre mit seinen erheblichen Investitionen in Lebensqualität und Infrastruktur", sagt Mittag.

"Angesichts der nicht zu übersehenden Menschenrechtsverletzungen und der weitaus restriktiveren politischen Rahmenbedingungen als etwa in Katar oder anderen Golfstaaten, scheinen aber gegenwärtig die für den Fußball sprudelnden Finanzen sehr offensichtlich das zentrale Anziehungsmoment zu sein."

Wie nachhaltig ist diese Strategie Saudi-Arabiens?

Die große Frage: Wie nachhaltig ist diese Strategie? Auch im Vergleich zu China, wo die ähnliche Vorgehensweise nicht einmal einen mittelfristigen Erfolg hatte? "Ein Selbstläufer ist die nationale Liga angesichts der überschaubaren Fußballkultur des Landes nicht", erklärt Mittag.

Doch natürlich geht es bei den milliardenschweren Investitionen auch um die Ehre, schließlich konkurriert Saudi-Arabien beim Sportswashing nach dem Motto "höher, schneller, weiter" mit anderen Golfstaaten wie Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Angesichts der strategischen Dimension, die mit der nationalen 'Vision 2030' im Sport verknüpft ist und angesichts des absehbar langen Atems der 'Saudis' sind die Erwartungen berechtigt, dass dieses stark staatlich unterstützte Projekt erfolgreicher wird als die weitgehend durch private Unternehmen finanzierten Investitionen im chinesischen Ligafußball", sagt Mittag.

Ob Saudi-Arabien im Gegensatz zu China am Ende tatsächlich mit den Südamerikanern und Europäern konkurrieren kann, ist trotzdem fraglich.

Zur Person: Dr. Jürgen Mittag ist als Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Der Titel der Professur "Sportpolitik" passt perfekt zu seinem Werdegang. "Für mich eine ziemlich perfekte Quintessenz aus meinen bisherigen Studien und Stationen", sagt Mittag. Das Institut des 52-Jährigen trägt den Titel eines Jean-Monnet-Lehrstuhls und zielt damit auf ein besseres Verständnis der Europäischen Union ab.
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