Rudi Völler sollte die deutsche Nationalmannschaft als Sportdirektor wieder in die Spur bringen und Vorfreude auf die EM erzeugen. An beiden Aufgaben droht er nun zu scheitern. Was ist da passiert?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wenn sich jemand damit auskennt, wie man unfreiwillig in eine wichtige Position geschubst wird, dann ist das wohl Rudi Völler. Im Sommer 2000 rutschte Völler eher zufällig in das Amt des Bundestrainers, als eine Art Platzhalter für den designierten Teamchef Christoph Daum.

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Erst wenige Stunden zuvor war die Europameisterschaft zu Ende gegangen, Frankreich der neue Champion und der deutsche Fußball abgehängt wie nie zuvor in seiner Geschichte. Es galt, den ganzen Schutt wegzuräumen und Daum das Feld zu bereiten, damit der nach der Beendigung seines Engagements bei Bayer Leverkusen ein Jahr später dann die Führung übernehmen könnte.

Dann kam alles ganz anders, die Daum-Affäre wirbelte alles durcheinander. Und irgendwann hieß es in kleiner Runde: Rudi, warum machst du das eigentlich nicht? Aus dem Interims-Teamchef Rudi Völler wurde der Langzeit-Teamchef Rudi Völler, immerhin vier Jahre lang.

"Rudi, das wär‘ doch was für dich!"

So ähnlich ist das auch im Januar dieses Jahres abgelaufen. Im Deutschen Fußball-Bund hatte sich schon wieder eine Taskforce formiert, es galt, die Nachfolge des ausgeschiedenen Oliver Bierhoff zu regeln. Weil das siebenköpfige Gremium partout keinen geeigneten Kandidaten als Sportdirektor finden konnte, die Zeit aber drängte, probierte es Hans-Joachim Watzke mit der einfachsten aller Lösungen: Er fragte Rudi Völler.

Der war zwar selbst Mitglied der Spezialeinheit, aber nun ja: Er saß eben mit am Tisch. Im Prinzip lief das also ab wie bei einem gewöhnlichen Kreisligisten, was der Vorsteher der Taskforce auch gar nicht groß leugnen konnte - oder wollte. Die Entscheidungsfindung "war gar kein Prozess", sagte Watzke laut Sport1 danach. "Dann siehst du die Runde und dann hab ich spontan mal gesagt: 'Rudi, das wär‘ doch was für dich!'" Und schon war der Rudi der neue sportliche Leiter des größten Sportverbands der Welt.

Der DFB in seiner schwersten Krise

Man muss die Genese der Sportchef-Suche beim DFB noch einmal kurz aufrollen, um zu verstehen, warum ein knappes halbes Jahr später nichts besser, aber offenbar sehr vieles schlechter geworden ist als nach dem ohnehin schon blamablen Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft bei einer Weltmeisterschaft.

In diesen Tagen jedenfalls bestimmt die Kritik an den Leistungen des DFB-Teams die Schlagzeilen wie schon lange nicht mehr. Der Tenor ist ebenso klar wie vernichtend: So schlecht erging es dem DFB und seinem Flaggschiff schon seit Generationen nicht mehr, vielleicht sogar noch nie. Zur gewaltigen Finanzkrise nimmt auch die sportliche Talfahrt immer noch mehr Geschwindigkeit auf.

Im Fokus stehen dabei natürlich Bundestrainer Hansi Flick und seine Mannschaft. Die Ergebnisse sind schlecht, die Leistungen der Mannschaft noch schlechter. Flick steckt in der schwersten Krise seiner Trainerlaufbahn; längst drängt sich die Frage auf, ob der 58-Jährige überhaupt noch in der Lage ist, die dringend notwendige Kehrtwende zu vollziehen.

Die schleichende Entfremdung der Mannschaft von der Basis ist längst einer flächendeckenden Gleichgültigkeit aufseiten der Fans gewichen. Und mittendrin steht Rudi Völler und findet keinen Hebel, dem etwas entgegenzusetzen.

Was ist Völlers Jobbeschreibung?

Dabei war das doch der eine große Orden, den man Völler problemlos ans Revers heften konnte: Wenn einer die Fußball-Nation wieder vereinen könnte, dann ja wohl Rudi Nationale! Beim DFB vertrauen sie ja gerne auf die drei großen "A": Abwehren, ablenken, aussitzen. Wird schon irgendwie gut gehen. Völler aber verkaufte die Taskforce als Befreiungsschlag, als proaktiv gefundene, nicht verhandelbare Premiumlösung.

Die Frage ist nur: Hat man Völler auch im Detail erzählt, was da alles auf ihn zukommt und wie sein zukünftiger Job eigentlich aussieht? Man kann sich dessen mittlerweile nicht mehr so ganz sicher sein.

Bis heute ist jedenfalls nicht klar, ob Völler nun "nur" dafür zu sorgen hat, dass im nächsten Jahr ein neues Sommermärchen nacherzählt werden kann, oder ob zu seinen Aufgaben auch die nachhaltige Entwicklung einer weiterreichenden Strategie zählt: Die administrativen Aufgaben wie das Management der Akademie, die Trainerausbildung und die Nachwuchsförderung. Dafür sind andere vorgesehen, aber eigentlich sollte das schon zur Kernkompetenz eines DFB-Sportdirektors zählen.

Völler muss einige Dinge auf die harte Tour lernen

Dass selbst einer wie er, ein Volksheld früherer Tage und "Ruuuuuuudiiiiii", nicht einfach auf Knopfdruck die Gemengelage ändern kann, muss Völler aktuell auf die ganz harte Tour erfahren. Neulich wandte er sich fast schon genervt an die Politik und die deutschen Fans, nun doch bitteschön endlich mal mehr zu tun als nur immer zu lamentieren. "Wir möchten, dass das ganze Land hinter dem Turnier steht. Viele haben noch gar nicht begriffen, welch eine Riesennummer die EM werden wird, ähnlich wie 2006, unser Sommermärchen", sagte Völler in einem "Stern"-Interview.

Er sprach dabei auch ganz direkt Bundeskanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser an und verdeutlichte noch einmal die immense Bedeutung des Turniers im kommenden Sommer. Der Tenor: Jetzt soll mal jeder Einzelne eine Schippe drauflegen, es handelt sich hier schließlich um eine nationale Angelegenheit.

Dass dafür aber die ersten Schritte von der Mannschaft, vom Trainer, von der sportlichen Leitung und vom Verband kommen müssten, blieb unerwähnt. Wobei: Mehr als ein erratisches Manöver nach dem nächsten gäbe es da aktuell auch gar nicht nachzuerzählen.

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Miserable Krisenkommunikation

Völler selbst sagte im "Spiegel" kurz nach der WM, der frisch gebackene Weltmeister Argentinier sei "nicht besser gewesen als wir", also als die deutsche Mannschaft. "Dafür, dass wir heute einen Mangel an Mittelstürmern beklagen oder aktuell über zu wenige Außenverteidiger verfügen, tragen auch die Klubs eine Verantwortung, denn sie bilden die Spieler mit aus", sagte Völler weiter und übersah dabei offenbar, dass er selbst einem dieser Klubs fast zwei Jahrzehnte als Sportdirektor und Geschäftsführer Sport vorstand. In diese Zeit fiel bei Bayer Leverkusen übrigens auch die Entscheidung, die zweite Mannschaft als Unterbau der Lizenzspielermannschaft vom Spielbetrieb abzumelden.

Vor den letzten Testspielen der Saison zählte sein Bundestrainer öffentlich Niklas Süle an, Völler sprang Flick wenig später - ebenfalls öffentlich - zur Seite. Während Flick nun aber trotz miserabler Leistungen und Ergebnisse keine Debatten um seine Spieler zulässt, erkennt Völler auf einzelnen Positionen dann doch ausgeprägte Qualitätsdefizite - nachdem er in den Wochen davor nicht müde wurde, auf die überragende individuelle Qualität der Mannschaft zu verweisen.

Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Deutschland hat zweifelsohne immer noch herausragende Einzelkönner und Talente. Auf bestimmten Positionen aber tummelt sich im internationalen Vergleich allenfalls Mittelmaß. Kommt dann noch ein immer ratloser wirkendes Trainerteam dazu, gehen auch Spiele gegen Mannschaften aus eben jenem Mittelmaß wie Polen oder Kolumbien verloren.

Und deshalb hat die Nationalmannschaft in den letzten Monaten statt ein paar kleinere Schritte nach vorne einige sehr große zurück gemacht. Deshalb geht nun die Angst um vor einem vierten Turnier in Folge, das in einem sportlichen Fiasko endet. Vor dem endgültigen Abrutschen des deutschen Fußballs in die Belanglosigkeit.

Der Plan mit Völler droht zu floppen

"Natürlich wird Hansi Flick Trainer bleiben", sagte Völler laut "Bild"-Bericht vor dem Kolumbien-Spiel. "Dass er jetzt immer noch Gegenwind bekommt und in der Kritik steht, hängt immer noch mit der Hypothek des Ausscheidens bei der WM zusammen." Immerhin, so viel wollte Völler dann doch eingestehen: "Ich gebe aber zu, dass es uns im Moment noch nicht gelingt, die Euphorie für das Heimturnier zu entfachen, so wie wir es uns vorgenommen haben."

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Noch ist ein knappes Jahr Zeit. Das kann reichen für den großen Richtungswechsel. Aber dafür müsste ganz schnell ganz viel passieren - und dafür gibt es aktuell kaum Anzeichen. Weil der DFB einmal mehr die Lösung eines Problems im hauseigenen System gesucht hat. Und weil der vorrangige Plan, mit Völler einen Stimmungsumschwung zu initiieren, bisher grandios gefloppt ist.

"Rudi Völler ist einer der Größten im deutschen Fußball", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf laut BR bei der Vorstellung seines neuen Sportdirektors. "Mit seiner Art und seinen Erfolgen hat er als Spieler, Trainer und Manager die Fans begeistert. Gerade durch seine Erfahrung bei der Nationalmannschaft und die langjährige Arbeit bei Bayer Leverkusen ist er die richtige Besetzung für die kommenden Aufgaben."

Das wäre dann allerdings erst noch zu beweisen. Mehr als das Prinzip Hoffnung ist bisher nicht zu erkennen.

Verwendete Quellen:

  • sport1.de: Watzke überrascht mit Aussage zur Völler-Auswahl
  • sportbuzzer.de: DFB-Sportdirektor Völler vermisst Vorfreude in Deutschland: Stellenwert der Heim-EM 2024 "nicht begriffen"
  • spiegel.de: "Argentinier nicht besser als wir"
  • bild.de: Völler erklärt Jobgarantie für Flick
  • br.de: Völler wird neuer Direktor der Fußball-Nationalmannschaft
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