Der FC Bayern sollte im Nationalelf-Rauswurf von Boateng, Hummels und Müller jetzt die Chancen sehen.

Steffen Meyer
Eine Kolumne

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Die Nachricht schlug am Dienstag-Nachmittag ein wie eine Bombe: Mats Hummels, Jerome Boateng, Thomas Müller. Abserviert. Fallen gelassen. Ausgebootet.

Joachim Löw setzt in der Nationalmannschaft auf den größtmöglichen Bruch mit der Vergangenheit und sortiert mit den drei Bayern-Stars gleich drei Weltmeister und Führungsspieler der Nationalmannschaft endgültig aus.

Es ist ein ungewöhnlicher Schritt, der nachhallen wird. Hummels, Boateng und vor allem Müller sind keine Stars am Ende ihrer Karriere. Sie sind um die 30 und gehören zum Stammpersonal des FC Bayern, der gerade in der Champions League um den Einzug ins Viertelfinale spielt.

Müller als Bauernopfer

Vor allem die Trennung von Thomas Müller wirkt rätselhaft. Selbst wenn der Offensivmann nicht seine beste Saison spielt, zeigte er zuletzt am Wochenende beim 5:1 gegen Mönchengladbach, dass er jederzeit in der Lage ist, einer Mannschaft auf allerhöchstem Niveau weiterzuhelfen. Müller ist 29.

Müller ist kein Sprinter, kein Dribbler. Beim Blick auf die Entwicklung des Weltfußballs ist grundsätzlich nachvollziehbar, warum Löw in Zukunft schnelle, dribbelstarke Spieler wie Leroy Sané oder Serge Gnabry vor Müller sieht. Aber die komplette Trennung? Ohne Not? Ohne ernsthafte Begründung?

Es wirkt so, als müsse er herhalten für den dringenden Wunsch der DFB-Führung, Konsequenzen aus dem WM-Aus in Russland nachzuweisen.

Für die Bayern, die immer viel Wert darauf gelegt haben, den Kern der deutschen Nationalmannschaft zu stellen, ist die Entscheidung ein Tiefschlag.

In den öffentlichen Verlautbarungen des Clubs zur Entscheidung von Löw ist der Unmut zwischen den Zeilen überdeutlich lesbar. Noch deutlicher wurde am Mittwoch Müller selbst, der vor allem die Art und Weise der Entscheidung des Bundestrainers ungewöhnlich deutlich kritisierte.

Doch auch wenn bei den Münchnern aktuell der Frust überwiegt, schlummern in der aktuellen Entwicklung auch Chancen. Für den FC Bayern könnte sich die Löw-Entscheidung sogar gleich aus zwei Gründen als Glücksfall entpuppen.

1. Der "Jetzt erst recht"-Moment

Bei den Münchnern geschieht hinter den Kulissen nun, was immer passiert, wenn einer oder in diesem Fall mehrere "aus der Familie" angegriffen oder getroffen werden. Die Reihen schließen sich. Die Wagenburg zieht sich zusammen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Bayern aus einem solchen Moment enorme Kraft schöpfen. Als Holger Badstuber in der Triple-Saison mit einem Kreuzbandriss ausfiel, schweißte sein Leid die Mannschaft enger zusammen. Am Ende feierten die Münchner in Wembley mit Badstubers Trikot den Champions-League-Titel.

Als Bastian Schweinsteiger vor seinen internationalen Titeln medial immer wieder hart angegangen und als "Chefchen" verspottet wurde, sorgte auch das im Verein für einen Schulterschluss.

Selbst als Uli Hoeneß wegen seiner Steuerhinterziehung ins Gefängnis musste, bezogen sich viele Spieler und auch Coach Pep Guardiola später immer wieder auf ihn, wenn es um die Portion Extra-Motivation ging, die für große Erfolge nötig ist.

Beispiele wie diese gibt es unzählige. Wenn Kovac und Salihamidzic es klug anstellen, kann auch aus diesem auf den ersten Blick negativen Moment etwas Großes entstehen.

2. Der Faktor Regeneration

Auch wenn die drei Bayern-Stars dafür aktuell keinen Blick haben werden: Für ihre eigene Vereins-Karriere kann die Löw-Entscheidung einen positiven Effekt entfalten. Viele Länderspiele, der kräftezehrende Turniersommer - all das fällt für Hummels, Boateng und Müller ab jetzt weg.

Es ist kein Zufall, dass Bastian Schweinsteiger gegen Ende seiner Zeit in der Nationalmannschaft fast völlig auf Länderspiele zwischen den Turnieren verzichtete. Die Zusatzbelastung kostet Kraft - so ehrenvoll die Aufgabe auch sein mag.

Auch Philipp Lahm schwärmte nach seinem freiwilligen Rücktritt aus der Nationalelf ab 2014 von den zusätzlichen Ruhepausen und Regenerationsmöglichkeiten, die ihm noch drei weitere Jahre auf hohem Niveau im Club ermöglichten.

Auch der FC Bayern profitiert durch mehr Trainings- und mehr Rotationsmöglichkeiten mittelfristig enorm von Löws harter Entscheidung.

Es ist nachvollziehbar, dass keiner der Beteiligten im Moment einen Blick für solche Gedanken hat. Zu tief sitzt der Schmerz und das Unverständnis über die plötzliche Ausbootung.

Und doch sind es Momente wie diese, auf die am Ende einer langen Saison zurückgeschaut werden könnte. Vielleicht ist dies ein Moment, an dem es in einer wechselhaften Saison richtig Klick macht beim FC Bayern. Dann wäre Löws umstrittene Entscheidung das Beste, was dem FC Bayern passieren konnte.

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