Die eher sanfte Aufarbeitung des WM-Debakels setzt den DFB und Bundestrainer Joachim Löw in der Nations League gehörig unter Druck: Die Mannschaft muss Ergebnisse liefern - andernfalls drohen erneut unschöne Debatten.

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In den Topligen des europäischen Fußballs tobt die Debatte um Sinn oder Unsinn der Nations League, ob noch ein Wettbewerb dem ohnehin schon völlig aufgeblähten Rahmenterminkalender nicht den Rest gibt oder ob stattdessen Spiele mit Wettbewerbscharakter spektakulärer sind als die üblichen Test- und Freundschaftsspiele. Die Diskussionen darüber dürften noch eine Weile weitergehen.

Joachim Löw hat sich längst positioniert. Der Bundestrainer finde die Nations League gut, wie er vor dem ersten Spiel seiner Mannschaft im Turnier gegen Frankreich erzählt hat.

Was einigermaßen erstaunlich war, immerhin hatte Löw vor vier Jahren, als die UEFA die Nations League auf einer ihrer Sitzungen verabschiedet hatte, noch schön gepoltert und Unterstützung von Teammanager Oliver Bierhoff erhalten, der meinte: "Man hat am Ende das Gefühl, die UEFA muss noch mal Geld erwirtschaften und macht deshalb den Wettbewerb."

Standortbestimmung in der Nations League

Mittlerweile ist die Sprachregelung beim DFB eine andere, die Nations League sei "eine gute Abwechslung zur normalen EM-Qualifikation, die etwas eingefahren war", wie Löw jüngst auf einer Pressekonferenz sagte.

Vor allen Dingen aber sind die Spiele gegen die Niederlande am Samstag (bei uns live im Ticker) und gegen Weltmeister Frankreich am Dienstag eine klare Standortbestimmung für den Zustand der Nationalmannschaft.

Der war nach der Weltmeisterschaft so jämmerlich wie noch nie zuvor und die groß angekündigten Aufräumarbeiten nahmen sich bisher eher bescheiden aus.

Löw selbst hat bei der mittlerweile schon legendären Pressekonferenz Ende August ein paar Dinge ins Rollen gebracht, er ist jetzt auch wieder deutlich öfter als Gast in deutschen Fußballstadien zugegen und er hat zuletzt sogar beim FIFA-Trainerkongress vorbeigeschaut, den er in den Jahren davor gerne ausgelassen hatte.

Hinter den Kulissen sind die ersten Maßnahmen angelaufen oder haben bereits stattgefunden wie beim öffentlichen Training vor einigen Tagen in Berlin. Das sind die ersten Schritte in die richtige Richtung, mehr aber auch nicht.

Großwetterlage bleibt unverändert angespannt

Die Großwetterlage hat sich beim Deutschen Fußball-Bund nämlich nicht verändert. Einschneidende Veränderungen hat es keine gegeben, schon gar nicht personeller Natur.

Die Führungsebene ist noch wie vor dem Debakel von Russland besetzt, das Trainerteam bis auf eine Position nicht verändert und die Mannschaft schon gar nicht.

Den Rücktritten von Mesut Özils Rücktritt Mario Gomez ist kein weiterer gefolgt, die in die Jahre gekommenen Weltmeister von 2014 bilden auch jetzt noch das Gerüst der Mannschaft. Das muss kein Makel sein, widerspricht aber den Ankündigungen tiefgreifender Veränderungen.

Einigen Beobachtern stößt das immer noch sauer auf. Michael Ballack etwa, der in einem Interview mit der "Deutschen Welle" nicht gerade mit Kritik am DFB und am Bundestrainer sparte.

"Ich war wie viele andere Leute überrascht, dass er seinen Job behalten hat. Die Weltmeisterschaft war eine große Enttäuschung und dafür gab es Gründe. Man sollte sie ernsthaft analysieren und nicht sagen 'Wir analysieren das', während in Wahrheit bereits beschlossen ist, am Trainer festzuhalten. Das ist keine echte Analyse."

Ballacks Angriff auf Löw

Ähnlich denken auch andere, nur kann Ballack als ehemaliger Kapitän mit seinen eindeutigen Aussagen eine ganz andere Wucht erzeugen und wird gehört. "Es war ganz offensichtlich, dass einige Spieler nicht auf der Höhe waren. Und man konnte es schon vorher sehen, dass eine oder mehrere Positionen nicht optimal besetzt waren", führte Ballack weiter aus. "Deshalb sollten die Verantwortlichen beurteilen, ob Löw immer noch der richtige Mann ist."

Selbst wenn Ballack nicht ganz unvoreingenommen geantwortet haben dürfte - immerhin hat Löw ihn vor acht Jahren eher unsanft durch die Hintertür aus der Nationalmannschaft komplimentiert - ist seine Kritik im Kern richtig und sie dürfte wie so manch andere deftigere Analyse auch sofort hervorgekramt werden, sollten die Spiele in der Nations League nicht so laufen wie erhofft.

Denn Löw, das weiß er selbst wohl am besten, spielt immer noch auf Bewährung. Im neuen Wettbewerb spielen die stärksten Mannschaften in ihren Gruppen untereinander, nur der Sieger kommt eine Runde weiter - und es gibt Absteiger.

Das würde dem DFB gerade noch fehlen: Nach der verkorksten WM nun auch noch einen Abstieg in eine schwächere Gruppe.

Keine guten Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für zwei erfolgreiche Spiele sind jedenfalls nicht die besten. Die Gegner haben allenfalls noch Respekt vor der deutschen Mannschaft, aber keine Angst mehr.

Selbst die Niederländer, in den letzten Jahren leidgeprüft und gleich doppelt bei der Qualifikation für große Turniere gescheitert, freuen sich auf den Besuch des alten Rivalen.

Dazu kommen einige Absagen wegen Verletzungen, gerade Marco Reus hätte Löw im Angriff ganz gut gebrauchen können. Auch Kai Havertz oder Leon Goretzka als zwei der hoffnungsvollen Nachrücker mussten ihre Teilnahme absagen.

Und dann wären da ja noch die Bayern-Spieler. Die bilden immer noch das Gros des Kaders, schleppen aber eine ausgewachsene Krise mit sich herum und dürften nach den jüngsten Spielen in der Liga und in der Champions League nicht eben vor Selbstvertrauen strotzen.

Das erste Spiel nach der WM gegen Frankreich war ein Heimspiel, der Test wenige Tage später gegen Peru ohne sportlichen Wert. Jetzt stehen zwei Auswärtsspiele an und die Nationalmannschaft und ihr Trainer dürften sich ein wenig mehr getrieben fühlen als ohnehin schon.

Die Mannschaft muss Ergebnisse liefern, wenn der zarte Neuanfang nicht schon wieder nach wenigen Wochen einen herben Dämpfer erfahren will. Und wenn Löw, wie vertraglich zugesichert, tatsächlich bis 2022 im Amt bleiben soll. Der Bundestrainer kann in der Nations League einiges gewinnen - aber auch jede Menge verlieren.

Quelle

  • Deutsche Welle – Ballack: "Löw hätte gehen müssen"

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