Robert Enke nahm sich vor 15 Jahren das Leben. Der tragische Tod des Torwarts hat den Profifußball und die Gesellschaft für das Thema Depressionen sensibilisiert. Abgeschlossen ist dieser Prozess aber nicht, wie Teresa Enke und Enke-Biograf Ronald Reng erklären.
Der Suizid von Robert Enke am 10. November 2009 sorgte für großes Entsetzen und eine riesige Anteilnahme weit über die Welt des Fußballs hinaus. Der 32-jährige Torwart von Hannover 96 litt an Depressionen, seine Erkrankung wollte er aus Angst um seine Karriere nicht öffentlich machen. Eine stationäre Therapie kam deshalb für Enke nicht infrage.
Der tragische Tod des Nationaltorhüters löste Diskussionen über den Umgang mit Depressionen und psychischen Erkrankungen im Profifußball und in unserer Gesellschaft aus. In der Folge gab es einen deutlichen Wandel, 15 Jahre später sind Depressionen im Leistungssport kein Tabuthema mehr. Bis zu Enkes Tod war Sebastian Deisler der einzige Profifußballer, dessen Depressionen öffentlich wurden. In der Folge sprachen deutlich mehr Fußballer über ihre psychischen Probleme, Vereine, Medien und Fans gehen verständnisvoller mit dem Thema um.
"Die Berichterstattung über Depressionserkrankungen im Leistungssport ist spürbar sensibler und auch fundierter geworden. Allein, dass heute unter nahezu jedem Artikel zum Thema psychische Krankheiten die Telefonnummern von Hilfsorganisationen angegeben werden, ist eine sichtbare Verbesserung. Das Wissen hat sich durchgesetzt, dass es sich bei Depressionen nicht um eine Laune oder Schwäche handelt, sondern um eine Krankheit, so wie Krebs oder ein Bandscheibenvorfall", sagt der Autor und Journalist Ronald Reng, der die Biografie "Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben" schrieb.
Spieler wie Andrés Iniesta oder Martin Amedick machten ihre Depressionen öffentlich
"Prominente Beispiele wie Andrés Iniesta haben geholfen, der Krankheit ein Stück weit das Unheimliche zu nehmen: Iniesta, der immer wieder mit depressiven Episoden zu kämpfen hat, zeigte, dass Depressionen zum Leben dazugehören – und dass ein Mensch mit Depressionen sogar sein Land zum Fußball-Weltmeister machen kann", erklärt Reng, der eng mit Enke befreundet war, weiter.
Reng engagiert sich als Kuratoriumsmitglied für die Robert-Enke-Stiftung. Er hält Vorträge mit dem früheren Bundesliga-Profi Martin Amedick, der sich im Sommer 2012 als Spieler von Eintracht Frankfurt wegen einer depressiven Episode in Behandlung begab und ein halbes Jahr später ins Mannschaftstraining zurückkehrte.
Es ist ein zentrales Anliegen der im Januar 2010 von DFB, DFL und Hannover 96 ins Leben gerufenen Robert-Enke-Stiftung, genau das zu vermitteln: Depressionen sind wie andere Erkrankungen und Verletzungen behandelbar, ein Comeback ist danach problemlos möglich.
"Wir hatten zunächst zwei Ziele im Auge. Zum einen, den Zugang für Profifußballer zu Therapie zu normalisieren und zu vereinfachen. Zum anderen aber auch, ein Verständnis im Profifußball zu schaffen, dass eine seelische Erkrankung so zu behandeln ist wie eine körperliche Erkrankung. Der Spieler oder die Spielerin fällt aus und kann danach genauso stark zurückkommen wie zuvor. Dieses Verständnis gibt es mittlerweile", sagt Teresa Enke, die die Vorstandsvorsitzende der Stiftung ist.
In den Monaten nach Enkes Tod gab es intensive Diskussionen über den Druck im Profifußball und den Umgang mit den Spielern. Schon bald wurde aber wieder zur Tagesordnung übergegangen. Pfiffe und Beschimpfungen durch Fans gehören heute ebenso wie früher zum Bundesliga-Alltag, Zeitungen und Online-Portale benoten die Spieler, kommentieren Fehler und schwache Leistungen mit deutlichen Worten.
Die Belastungen sind in den letzten Jahren sogar noch größer geworden. Profi-Spielerinnen und -spieler müssen immer mehr Pflichtspiele absolvieren und werden in den sozialen Medien übel beleidigt und regelrecht an den Pranger gestellt.
"Der Umstand, beziehungsweise die Entwicklung ist nicht erfreulich. Der Druck im Fußball allein macht aber niemanden krank und hat auch Robert nicht krank gemacht. Wir müssen dahin kommen, dass wir einen gesunden Umgang mit diesen schnelllebigen Themen hinbekommen", stellt Teresa Enke klar.
Robert Enke hatte eine Prädisposition für Depressionen
"Der innere und äußere Hochdruck im Profifußball ist für viele Spieler eine psychische Belastung. Aber es gibt keine Studie, die belegt, dass Profifußballer wegen des "Drucks" anfälliger für Depressionen wären als Busfahrer, Lehrer oder Dichter. Eher ist es so, dass Millionen Menschen eine Anfälligkeit für Depressionen besitzen und dass sich bei der großen Anzahl Betroffener auch einige im Profifußball finden", erklärt auch Ronald Reng.
"Beschimpfungen und Hetze führen bei manchem Profifußballer zu Niedergeschlagenheit, Stress, Angst und schränken den einen oder anderen auch in der Leistung ein. Depressionen aber sind eine Krankheit, die unabhängig vom beruflichen Druck jeden treffen können. Oft sind die Ursachen – ähnlich wie beim Krebs – nicht erklärbar.
Robert Enke zum Beispiel schrieb während seiner zweiten klinischen Depression in sein Tagebuch: "Warum jetzt?" Nach allem, was ich von ihm weiß, vermute ich: Der Fußball hat ihn nicht krank gemacht. Er wäre auch als Busfahrer, Lehrer, Dichter an Depressionen erkrankt, weil er eine Prädisposition für diese Krankheit hatte", sagt der Autor.
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Teresa Enke: Bemühungen im präventiven Bereich müssen verstärkt werden
Diese Prädispositionen zu erkennen, frühzeitig und offen über psychische Probleme zu sprechen, sich Hilfe zu holen und diese anzunehmen, sind Schlüssel im Kampf gegen Depressionen. Ob im Sport oder im privaten Leben. Im deutschen Profifußball wurde in den letzten 15 Jahren viel getan. Die Robert-Enke-Stiftung wurde ins Leben gerufen, die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert, viele Vereine beschäftigen Psychologinnen und Psychologen, die auch im Nachwuchsbereich arbeiten.
Trotzdem gibt es weiterhin viel zu tun. "Ich glaube, viele Spieler sind immer noch der Überzeugung, dass es negative Konsequenzen für ihre Karriere hat, wenn sie Schwäche und mentale Probleme äußern", sagte Nationalspieler Robin Gosens kürzlich in der ZDF-Dokumentation "Erfolgsdruck im Fußball - wenn die Psyche nicht mitspielt".
Auch für Teresa Enke ist der Prozess, der vor 15 Jahren durch den Tod ihres Mannes ausgelöst wurde, noch nicht abgeschlossen. "Wir müssen gemeinsam unsere Bemühungen im präventiven Bereich verstärken und weiter für Sensibilität im Umgang mit mentalen Themen werben", fordert sie.
Über die Gesprächspartner
- Teresa Enke lernte Robert Enke am Sportgymnasium in Jena kennen und heiratete den Torwart im Jahr 2000. Sie ist die Vorsitzende der Robert-Enke-Stiftung. Die Stiftung unterstützt Maßnahmen und Einrichtungen, die über die Krankheit Depression und Kinder-Herzkrankheiten aufklären oder diese Krankheiten erforschen und behandeln.
- Ronald Reng verfasste zahlreiche Fußballbücher. Als langjähriger Freund des Torwarts schrieb er nach dessen Tod die Biografie "Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben". Zuletzt veröffentlichte Reng das Buch "1974 – Eine deutsche Begegnung".
Verwendete Quelle
Hilfsangebote
- Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 0800/1110-111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).
- Anlaufstellen für verschiedene Krisensituationen im Überblick finden Sie hier.
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