Zehn Spielminuten genügen Nia Künzer in ihrer an Ereignissen reichen Karriere, um ihren Fuß in die deutsche Fußball-Geschichte zu setzen. Dabei ist das anatomisch nicht ganz richtig. Denn sie setzt im richtigen Moment vor allem ihren Kopf ein.

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Sieben Jahre nach Oliver Bierhoffs Streich im Londoner-Wembley-Stadion gewann Deutschland im Fußball erneut einen großen Titel durch ein sogenanntes "Golden Goal". Am 12. Oktober 2003 im US-Bundesstaat Kalifornien schrieb Nia Künzer Geschichte. Ganze zehn Minuten nach ihrer Einwechslung für Pia Wunderlich bezwang Künzer Schwedens Torfrau Caroline Jönsson per Kopf - und damit war das Finale der WM entschieden. Der "Golden Goal"-Regel gemäß blieb den Schwedinnen - die bis zur 46. Minute mit 1:0 geführt hatten - keine Chance mehr, zurückzuschlagen.

"Durch die Regel des Golden Goals war es natürlich auch eine extreme Dramaturgie", erinnert sich Künzer 20 Jahre später im exklusiven Interview mit unserer Redaktion. Dieser historische Moment in einem bis dahin umkämpften Spiel rückte Künzer mit einem Mal ins Rampenlicht. "Plötzlich fokussierte sich in den Medien alles auf mich. Nicht nur für mich, sondern auch für viele Kolleginnen war das eine schwierige Situation", gibt Künzer heute zu.

"Ich kann keiner Mitspielerin verdenken, dass auch sie gerne diese Sekunde erlebt hätte."

Nia Künzer über ihr "Golden Goal" gegen Schweden im WM-Endspiel 2003

"Ich hatte vor dem Finale wenig Spielanteile gehabt, andere Spielerinnen deutlich mehr, und sie hatten beeindruckende Leistungen gezeigt. Und dann komme ich für zehn Minuten ins Endspiel rein und erziele das entscheidende Tor. Ich kann keiner Mitspielerin verdenken, dass auch sie gerne diese Sekunde erlebt hätte."

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Nia Künzers Kopfballtreffer wird zum "Tor des Jahres" gewählt

Diese Sekunde schloss sich an einen von Renate Lingor perfekt in den Strafraum der Schwedinnen getretenen Freistoß an. Von Lingor aber ist heute keine Rede mehr. Sie war eben nur die Assistentin. Künzer aber wurde am Ende des Jahres sogar für das "Tor des Jahres" ausgezeichnet. "Ich habe immer versucht, den Anteil der Mannschaft zu betonen", so Künzer. "Das konnte aber nicht in Gänze funktionieren. Und so gab es Situationen, in denen Kolleginnen nicht mehr so unbefangen reagiert haben. Das lag bestimmt auch an mir."

Künzer verweist in diesem Zusammenhang auch gerne auf ihr damaliges Alter. "Ich war erst 23 Jahre alt, und obwohl ich beim 1. FFC Frankfurt damals schon Spielführerin war, war die Situation nach der WM 2003 auch für mich ungewohnt. Ich hatte das Gefühl, dass sich die Aufmerksamkeit nicht mehr gerecht verteilt."

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Dabei "grenzte es an ein Wunder", wie Künzer richtigerweise betont, "dass ich (...) überhaupt den Sprung in den WM-Kader 2003 geschafft habe." Künzer war im Jahr vor der WM bereits zum dritten Mal in ihrer Karriere das Kreuzband gerissen. Und nur zwei Monate nach ihrem Glück im WM-Endspiel schlug das Pech in Form eines vierten Kreuzbandrisses erneut zu.

"Ich sehe es als Glück, was ich (...) alles erleben durfte."

Nia Künzer über ihre Karriere als Spielerin

"Ich sehe es als Glück, was ich trotz dieser vielen und langwierigen Verletzungen alles erleben durfte", weiß die heutige ARD-Expertin und Buch-Autorin. "Ich hoffe, dass ich in meinem Leben keinen Punkt erreiche, an dem es mich nervt, auf dieses Tor und die WM 2003 angesprochen zu werden", sagte Künzer im Interview mit unserer Redaktion auf die Frage, ob es auch zur Belastung werden könne, zeit ihres Lebens auf ein solch herausragendes Ereignis reduziert zu werden.

17 Jahre lang ARD-Expertin

20 Jahre danach ist klar, dass für Künzer dieses eine Tor viele Türen geöffnet hat. Die 34-malige A-Nationalspielerin, die neben ihrem Finaltor nur noch ein weiteres im Dress des DFB erzielte, glänzte bei der WM in Australien und Neuseeland letztmals als Expertin in Diensten der ARD. 17 Jahre lang hatte die in Afrika geborene Künzer sich die Sympathien der Zuschauerinnen und Zuschauer am Rande der Übertragungen mit ihrer gleichsam kenntnisreichen und erfrischenden Art der Analyse erworben und erhalten.

So blieb Künzer - im Gegensatz zu mancher ihrer Mitspielerinnen aus dem siegreichen WM-Team von 2003 - öffentlich sehr präsent. "Rückblickend (...) bin ich sehr dankbar, dass ich mit allen Kolleginnen, mit denen ich damals schon enger befreundet war, wieder ein tolles Verhältnis habe. Ich bin total glücklich, dass es keine dauerhaften Verwerfungen gab. Das Unbehagen ist weg. Wir holen heute die gemeinsamen Erinnerungen raus. Diese Nähe bleibt", hält Künzer fest. "Das waren tolle Zeiten, die uns alle geprägt haben. " Und jedes Jubiläum ist ein toller Anlass, an eine Sternstunde des deutschen Frauenfußballs zu erinnern.

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