Bei der WM 2006 wurde aus Deutschland Schland. Die Welt war zu Gast bei Freunden. Deutschland entdeckte den Patriotismus neu. Seitdem hat sich einiges verändert und zur WM 2018 fragen sich einige: Wie viel Schland-Patriotismus verträgt Deutschland in Zeiten von AfD und Pegida?

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2006 entdeckte Deutschland ein lang verloren geglaubtes Gefühl wieder: Stolz auf das eigene Land; einen freudigen Patriotismus, der die Nation in ein schwarz-rot-goldenes Meer aus bemalten Wangen, Fahnen und Girlanden tauchte, während sich Fremde wie Freunde in den Armen lagen und "54, 74, 90, 2006" von den Sportfreunden Stiller sangen.

Das Wir-Gefühl war überwältigend, Deutschland transportierte ein Bild kollektiven Überschwangs und überschwänglicher Gastfreundlichkeit in die Welt. Und obwohl die deutsche Nationalmannschaft am Ende nicht Weltmeister wurde, so doch zumindest Weltmeister der Herzen. Schland war geboren.

Schön war's. Auch 2010 noch und im Weltmeisterjahr 2014 sowieso.

Aber jetzt ist 2018 und Deutschland hat sich verändert. Im Bundestag sitzt die AfD mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland, der unlängst Hitler und den Nationalsozialismus als "Vogelschiss" in 1000 Jahren ruhmreicher deutscher Geschichte bezeichnet hat. Und der schon 2016 Jerome Boateng nicht als seinen Nachbarn haben wollte.

Patriotisch ist inzwischen ein Begriff, den die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz Pegida für sich beansprucht haben, während sie die Deutschland-Fahne schwenkend und Parolen brüllend durch die deutschen Innenstädte gezogen sind.

Wie viel deutschen Patriotismus verträgt die WM?

Jetzt ist also wieder WM und sollten die deutsche Nationalmannschaft von Erfolg gekrönt sein, dürfte sich Deutschland recht schnell wieder in sein Alter Ego, das feierwütige Schland, verwandeln. Aber ist sorgloses Feiern mit Deutschland-Fahne und anderen Schland-Devotionalien überhaupt möglich und sinnvoll - oder müssen wir befürchten, dass sich unter die friedlichen Fußballfans auch reaktionäre Gestalten mischen, die hoffen, im kollektiven Freudentaumel ungestraft hetzen zu können?

Wir haben einige Sportler, Politiker und Prominente gefragt, wie viel Schland-Hype Deutschland in Zeiten von AfD und Pegida verträgt:


Robert Habeck (Bundesvorsitzender der Grünen):

"Auch mein Verhältnis zur deutschen Fahne hat sich seit 2006 entkrampft.

"Schland" wurde zum Schlagwort für einen entspannten Umgang von Fußballfans, die Schwarz-Rot-Gold auf der Wange trugen, damit aber nicht 'Deutschland über alles' meinten. Die Fahne war für mich zu einem Symbol für Fans, nicht für Volk, geworden, für die Lust am Spiel von einer vielfältigen deutschen Nationalmannschaft. Für ein einladendes, freundliches, tolerantes Land, das Respekt und Anerkennung lebt.

Diese Leichtigkeit ist mit den fahnentrunkenen Aufmärschen von AfD und Pegida verschwunden. Sie haben es geschafft, die Leichtigkeit, die mit der WM 2006 entstanden war, wieder zu vertreiben. Es wird bei dieser WM also auf uns Fans ankommen: Die Freude am Spiel und die Lust, gemeinsam Vielfalt zu feiern, dürfen wir uns nicht nehmen lassen! Nichts ist gewonnen, wenn wir den Völkischen, die diese Republik ablehnen, die Deutungshoheit über staatliche Symbole, wie etwa die Fahne, überlassen."

Timo Hildebrand (Ex-Nationaltorhüter):

Ein gesunder Schland-Patriotismus ist in jedem Fall angebracht. Wir brauchen uns ja nicht zu verstecken. Über unsere Geschichte weiß jeder Bescheid, jeder kann es gut einordnen.

Klar gibt es eine rechte Szene, durch die eine Partei wie die AfD bestärkt wird, aber wenn alles gesund und okay abläuft, dann können wir stolz auf unser Land sein. Ich finde, es ist eins der schönsten Länder der Welt.




Sahra Wagenknecht (Fraktionsvorsitzende der Linken):



"Ob Euphorie entsteht, sollte maßgeblich vom Spiel unserer Nationalelf und dem Turnierverlauf und nicht von Überlegungen abhängen, wie viel Jubel gerade als politisch korrekt angesehen wird."






Marcell Jansen (Ex-Nationalspieler):

"Ich persönlich hoffe wieder auf viel Schland-Patriotismus! Denn so offen und international wie bei der WM im eigenen Land vor 12 Jahren war Deutschland noch nie.

Das Motto 'Die Welt zu Gast bei Freunden' war nicht nur eine Floskel sondern wurde von allen gelebt – die Menschen lagen sich in den Armen, egal woher sie kamen. 2006 hat uns maßgeblich geprägt und die Welt hat Deutschland neu kennengelernt."







Abdelkarim (Deutscher Comedian mit marokkanischen Wurzeln):

"Ich finde gerade jetzt, wo wir in Deutschland einen spürbaren und ekelhaften Rechtsruck haben, ist es gut, dass vernünftige und zivilisierte Menschen aufstehen und sich zum facettenreichen Deutschland bekennen. Ganz egal, ob bewusst bei einer Demo oder ganz beiläufig bei einer WM. Außerdem feiert man bei der WM eine deutsche Mannschaft und Gesellschaft, die nichts mit dem Deutschlandbild der Rechten zu tun haben. Dabei braucht man auch keine Angst vor der Deutschlandfahne zu haben. Eine Fahne kann in der Regel nichts in einem Menschen hervorrufen, was nicht schon vorher in ihm schlummerte. Bei der WM 2006 hat die absolut überwältigende Mehrheit Deutschlands ihre Mannschaft gefeiert, ohne daraus Hass auf andere Länder abzuleiten. Es war ein Feiern mit offenen Armen. Natürlich gibt es während einer WM auch Menschen, die mit einer x-beliebigen Fahne in der Hand auf einmal ganz unruhig werden und sich denken: 'Oh ja, geil, wir sind die Herrenrasse!' Aber die meisten davon hatten auch schon vor der WM ethnisch begründete Herrschaftsfantasien. Diese Menschen missbrauchen die WM als Bühne, um endlich hemmungslos rassistische Parolen rauszuhauen. Wenn man während der WM solche "Gesänge" erlebt, sollte man sich nicht von der Gruppendynamik anstecken lassen und mitmachen, sondern sich und diesen Leuten klar machen: "Was hier gerade passiert, ist scheiße." Das ist vor allem dann Pflicht, wenn sich plötzlich im Freundeskreis jemand als heimlicher Verehrer von Rassenlehren entpuppt. Und keine Panik: Grillparty hin, Public Viewing her, wer Rassismus anspricht, kann nie SpielverderberIn sein.
Übrigens sollte man Gruppendynamik auf keinen Fall unterschätzen. Es gibt immer wieder Menschen, die eigentlich Lichtjahre von Rassismus entfernt sind und ein ganz normales Leben führen. Aber irgendwann kommt die WM und sie gehen sich ein Spiel angucken. Und dann passiert es. Entweder enttäuscht nach einer Niederlage oder aufgepumpt nach einem Sieg lassen sie sich zu sehr asozialen Sprüchen hinreissen. Einen Tag später sind sie dann selber am meisten von den eigenen Aussetzern schockiert.
Diesen Patriotismus-Overkill mit anschließender Schockstarre kann man vermeiden, indem man eine einfache Faustregel beachtet: Alles, was im normalen Leben uncool ist, ist auch dann uncool, wenn grad WM ist. Sich über die Niederlage anderer freuen? Uncool. Extra laut freuen und feiern, um andere zu provozieren? Uncool. Rassistische Sprüche? Uncool.
Und alles, was im normalen Leben cool ist, ist auch dann cool, wenn grad WM ist. Respekt? Cool. Empathie? Cool. Toleranz? Cool. Eigentlich ganz einfach."


Oliver Kalkofe (Comedian):

"Wenn die WM ist, möchte ich dabei feiern. Dann möchte ich auch 'Schland' rufen und für Deutschland jubeln dürfen. Aber das tun ja auch die anderen, egal, ob sie jetzt für Bayern oder für Bremen oder Hamburg oder sonst wen jubeln. Da fühlt man sich verbunden, weil man für diese Mannschaft mitjubelt.

Ich finde, Patriotismus - darauf stolz zu sein, wo man lebt - ist überhaupt nichts Krankes. Es ist nur schlimm, dass ein Begriff oder ein Gefühl wie Patriotismus durch so viele Vollidioten so negativ besetzt wurde und von so vielen Menschen derart falsch verstanden wird: Nämlich als dieses Gefühl, etwas Besseres zu sein und sich über die anderen erheben zu dürfen. Das ist mit Patriotismus nicht gemeint. Aber man sieht, dass das weltweit gerade in letzter Zeit wieder zu einem gefährlichen Phänomen wird.

Sobald sich Menschen selbst überhöhen, glauben, sie sind toller als andere, nur weil sie irgendwo geboren, ein Mann statt einer Frau, oder weiß anstatt dunkelhäutig sind: Das ist alles der gleiche Blödsinn. Da muss man vehement dagegen angehen.

Trotzdem darf man bei einer WM für Deutschland mitjubeln, weil man die Mannschaft des eigenen Landes unterstützt. Das hat nichts mit krankhaftem Patriotismus zu tun.

Ich finde es wirklich schade, dass so ein Wort durch unsere Geschichte und so viele Vollidioten derart schlecht besetzt ist, dass eine gutgemeinte Sache - nämlich eine gewisse Form von Stolz, dass man mit sich zufrieden ist - dass das so verzerrt und zu so einer negativen Sache wurde, für die man sich fast schämen muss."

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