Für den Videobeweis gab es bei der Weltmeisterschaft in Russland bislang viel Lob. Laut Schiedsrichter-Chef Collina liegt auch seinetwegen die Quote richtiger Entscheidungen bei 99,3 Prozent. Auffällig ist, dass die Einführung von Video-Assistenten zu einem neuen WM-Rekord bei den Elfmetern beigetragen hat. Eine Zwischenbilanz.

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Viel war vor der Weltmeisterschaft über den Videobeweis geunkt worden: Er werde im Chaos versinken, seine Befürworter bis auf die Knochen blamieren, sich selbst abschaffen, hieß es häufig.

Nicht wenige glaubten, dass vor allem Schiedsrichter aus Ländern, in denen es noch keine Erfahrungen mit den Video-Assistenten gibt, mit der Neuerung überfordert sein würden.

Doch das Chaos ist ausgeblieben, auch wenn der Videobeweis zwischenzeitlich ein wenig von der nahezu uneingeschränkten Anerkennung, die ihm an den ersten Turniertagen zuteilwurde, eingebüßt hatte. Insgesamt läuft es aber gut mit ihm – besser als in der Bundesliga, finden manche.

Dort, wo Entscheidungen der Schiedsrichter mithilfe der Video-Assistenten geändert wurden, waren die Eingriffe aus der Videozentrale in Moskau, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nachvollziehbar und richtig.

In den 48 Vorrundenspielen korrigierten sich die Unparteiischen vierzehnmal, allein neun Änderungen betrafen dabei Elfmeterentscheidungen.

Sieben Strafstöße wurden nachträglich gegeben, zwei nach Ansicht der Bilder zurückgenommen. Angesichts der Tatsache, dass mit bislang 27 Elfmetern der bisherige Rekord von 18 Strafstößen während der gesamten WM 2002 in Japan und Südkorea bereits jetzt klar übertroffen worden ist, lässt sich feststellen: Der Videobeweis deckt so manches Vergehen im Strafraum auf, das den Schiedsrichtern verborgen bleibt.

Lob für den Videobeweis vor allem an den ersten WM-Tagen

Vor allem an den ersten Turniertagen gab es mehrere Interventionen durch die Video-Assistenten, die in der Öffentlichkeit auf viel Beifall stießen. So zum Beispiel im Spiel zwischen Frankreich und Peru (1:0), als ein klares Foul am französischen Angreifer Antoine Griezmann im Strafraum, das der Referee nicht erkannt hatte, schließlich doch noch mit einem Elfmeter geahndet wurde.

Oder in der Partie Brasilien – Costa Rica (2:0), in der Schiedsrichter Björn Kuipers einen Strafstoß zurücknahm, den er wegen eines vermeintlichen Fouls an Neymar gegeben hatte. Die Bilder zeigten, dass der brasilianische Superstar einen minimalen Kontakt genutzt hatte, um im Strafraum theatralisch zu Boden zu sinken.

Auch die kalibrierten Abseitslinien, die es bei der WM in Russland im Unterschied zur Bundesliga gibt, funktionieren offenbar. Deshalb fand das späte Tor der Spanier zum 2:2 in der Begegnung gegen Marokko, das der Unparteiische Ravshan Irmatov ursprünglich wegen Abseits annulliert hatte, doch noch Anerkennung. Denn mithilfe des Videomaterials ließ sich nachweisen, dass kein Abseits des Torschützen vorlag.

Gleiches gilt für das Tor zum 1:0 für Südkorea im Spiel gegen Deutschland. Schiedsrichter Mark Geiger hatte den Treffer erst wegen Abseits aberkannt, die Bilder zeigten jedoch, dass der Ball nicht von einem Koreaner, sondern von Toni Kroos zum Torschützen gespielt worden war. Damit war das Abseits aufgehoben. Das Tor wurde schließlich gegeben, erneut hatte der Video-Assistent einen spielentscheidenden Fehler verhindert.

Zwischenzeitlich gab es Kritik an den Video-Assistenten

Allerdings gab es auch verständliche Kritik an einigen Entscheidungsänderungen, die auf die Video-Assistenten zurückgingen. Im Spiel zwischen dem Iran und Portugal (1:1) beispielsweise wurde dem portugiesischen Verteidiger Cédric im eigenen Strafraum der Ball aus kürzester Distanz von hinten an den Arm geköpft. Der Unparteiische Enrique Cáceres ließ weiterspielen.

Doch sein Video-Assistent wollte darin einen klaren und offensichtlichen Fehler erkannt haben. Das war erstaunlich, schließlich hatte Cédric seine Arme völlig normal gehalten und keine Chance, dem Ball auszuweichen. Es kam zu einem On-Field-Review – und tatsächlich änderte Cáceres seine Meinung und gab den Strafstoß. Eine viel zu harte Entscheidung, die auf einem Eingriff des Video-Assistenten beruhte, den es nicht hätte geben dürfen.

Diskussionswürdig war auch die Rücknahme eines Elfmeters für den Senegal in der Begegnung gegen Kolumbien (0:1). Denn bei seiner Grätsche gegen Sadio Mané hatte der kolumbianische Verteidiger Davison Sanchez sowohl den Ball als auch den Gegner getroffen. Die Strafstoßentscheidung von Schiedsrichter Milorad Mažić war somit eigentlich nicht klar und offensichtlich falsch. Trotzdem schaltete sich der Video-Assistent ein.

Collina: 99,3 Prozent richtige Entscheidungen

Alles in allem aber ist die Eingriffsschwelle für die Video-Assistenten bei dieser WM hoch, was allgemein begrüßt wird. Wenn der Schiedsrichter zu verstehen gibt, dass er eine Situation aus günstigem Blickwinkel und mit Überzeugung beurteilt hat, bleibt es normalerweise bei der ursprünglichen Entscheidung.

Das entspricht den Vorgaben des International Football Association Board (IFAB) und der FIFA, mit denen die Position der Referees auf dem Platz gestärkt werden soll. Zwar gab es öffentliche Diskussionen über einige Situationen, in denen auf einen Eingriff und ein On-Field-Review verzichtet wurde, obwohl man der Ansicht sein konnte, dass der Schiedsrichter einen klaren und offensichtlichen Fehler begangen hatte.

Doch insgesamt ist die Zufriedenheit mit der Anwendung des Videobeweises groß – auch bei den verantwortlichen Schiedsrichter-Funktionären. Pierluigi Collina, der Vorsitzende der FIFA-Schiedsrichter-Kommission, sagte auf einer Pressekonferenz, auch dank der Video-Assistenten habe während der Vorrunde in 99,3 Prozent der 335 von ihnen überprüften Situationen am Ende die korrekte Entscheidung gestanden. Ohne die Video-Assistenten hätte die Quote nach seinen Angaben nur 95 Prozent betragen.

Mehr Transparenz als in der Bundesliga

Eindeutig positiv ist auch, dass die Abläufe und die Transparenz beim Einsatz der Video-Assistenten bis jetzt überwiegend gut sind: Die Checks und Reviews gehen meist ausgesprochen schnell über die Bühne, die Verzögerungen im Spiel halten sich dadurch in der Regel in erträglichen Grenzen.

Die Fernsehzuschauer bekommen während eines On-Field-Reviews genau die Bilder zu sehen, die auch dem Schiedsrichter gezeigt werden, ergänzt um eine schriftliche Einblendung, was gerade geprüft wird. In den Stadien werden nach dem Abschluss eines Reviews diejenigen Bilder, die für die Entscheidung maßgeblich waren, auf der Videowand abgespielt.

Die Zuschauer dort können also nachvollziehen, warum es einen Videobeweis gibt und weshalb eine Entscheidung geändert wird. Das ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der Bundesliga, wo das bisher nicht der Fall war. Zumindest in diesem Punkt kann man in Deutschland von der Weltmeisterschaft in Russland lernen.

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