Das IOC hat die Tür für russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler aufgestoßen - unter Bedingungen. Doch was genau wurde entschieden und wie sehen die Bedingungen aus?
Das IOC hat Stellung bezogen - und sich für viele Beobachter auf die Seite des Aggressors geschlagen. Russische und belarussische Athleten und Athletinnen können in den Weltsport zurückkehren. "Ein Schlag ins Gesicht der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler", sagt Bundesinnenministerin
Wer hat was entschieden?
Die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) unter der Führung von Präsident
Wie sehen die Bedingungen aus?
Teilnehmen dürfen nur Einzelsportler unter strikter Neutralität, also keine Flagge, keine Hymne, keine sonstige Identifizierung. Teams bleiben ausgeschlossen, wobei sich die UEFA dieser Empfehlung ohnehin widersetzt und Belarus in der EM-Qualifikation starten lässt. Athleten und Athletinnen, die den Angriffskrieg aktiv unterstützen, bleiben verbannt, ebenso Angehörige des Militärs. Bach betonte auch die Anforderungen des Anti-Doping-Codes. Als wäre diese Bedingung neu.
Welche Bedenken gibt es?
Strikte Neutralität hatte das IOC Russlands Sportlern auch nach dem Dopingskandal von Sotschi, Putins Propagandaspielen, auferlegt. Ohne große Konsequenzen. Athletinnen und Athleten in Weiß, Blau und Rot sangen die Hymne selbst, die russischen Staatsmedien feierten ihre Helden, die trotz ungerechtfertigter Sanktionen über die Konkurrenz aus dem westlichen Ausland triumphierten. Warum sollte das nun anders werden? Auf diese Frage fand Bach bislang keine überzeugende Antwort.
Werden Russen und Belarussen bei Olympischen Spielen auflaufen?
Bach betont zwar, dass die Entscheidung nicht für Paris 2024 oder Mailand/Cortina d'Ampezzo 2026 gelte, doch wäre ein Nein zu den milliardenschweren IOC-Events eine völlige Abkehr von der bisherigen Linie und damit unvorstellbar. Über Olympia werde zu "gegebener Zeit" entschieden, sagt Bach. Die IOC-Argumentation, die auf der UN- und der eigenen Charta sowie deren Auslegung durch zwei Sonderberichterstatterinnen der Vereinten Nationen beruht, wird sich bis dahin kaum geändert haben.
Wie fallen die Reaktionen aus?
Als erste Kritikerin äußerte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die von einem "Schlag ins Gesicht der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler" sprach. Polens Außenminister Piotr Wawrzyk schrieb bei Twitter von einem "Tag der Schande für das IOC". Bach hatte mit den Reaktionen gerechnet, die Positionen waren längst klar verteilt. "Wir können keine Lösung bieten, die allen gefällt", sagte er. Der DOSB fügte sich als Teil einer "Minderheit" in der olympischen Bewegung der Entscheidung, forderte aber die "glaubhafte" Umsetzung der "strikten Voraussetzungen" und "Sanktionen" bei Verstößen.
Wie reagiert die Ukraine?
Sportminister Wadym Hutzajt wertet die vertagte Entscheidung über die Olympia-Teilnahme als Teilerfolg. Mehr aber nicht. "Wir werden mit unseren Verbänden und Athleten eine Entscheidung über unsere nächsten Schritte treffen", sagte er im ARD-Morgenmagazin. Die Fechterinnen und Fechter haben bereits den Boykott der sportlichen Begegnungen mit Russen und Belarussen beschlossen. Sollten diese an den Spielen in Paris teilnehmen, rückt auch der Olympia-Boykott der Ukraine näher.
Schließen sich weitere Länder einem möglichen Boykott an?
Das ist bislang nicht bekannt. DOSB-Präsident Thomas Weikert hat einen deutschen Boykott bereits kategorisch ausgeschlossen. Besonders IOC- und Russland-kritisch sind die Nationen im Baltikum und Polen, auch dort gibt es bislang keine flächendeckenden Boykott-Bestrebungen.
Wie reagiert Russland?
Erwartbar. Die vom IOC empfohlenen Kriterien seien "inakzeptabel. Das ist Diskriminierung auf Grundlage der Nationalität", wetterte Stanislaw Posdnjakow, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Russlands ROC. Skiverbandspräsidentin Jelena Wälbe schimpfte: "Das werde ich nicht mal diskutieren. Ich bin kategorisch gegen den neutralen Status, zumal es zahlreiche weitere Auflagen gibt."
Warum fiel die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt?
Im Frühjahr beginnen die meisten Olympiaqualifikationen - an denen auch russische und belarussische Athletinnen und Athleten teilnehmen sollen, um die sportlichen Kriterien für Paris zu erfüllen. Wo sie tatsächlich in den Weltsport zurückkehren, überließ Bach den Sport- und Kontinentalverbänden. Seit Monaten ist bekannt, dass in Asien die größten Möglichkeiten bestehen, während in Europa bislang wenige Länder Visa für Russen und Belarussen problemlos vergeben.
Welche Linie fahren die Sportverbände?
Viele haben die Entscheidung des IOC abgewartet, sie sind finanziell abhängig von der mächtigen Organisation aus Lausanne. Daher waren Bachs Worte mehr als nur Empfehlungen. Die Tür für die Rückkehr der Athletinnen und Athleten aus Russland und Belarus ist weit geöffnet. Im Tennis - Bachs Lieblingsbeispiel für eine angeblich friedliche Ko-Existenz der Konkurrenten aus den verfeindeten Nationen - gilt der neutrale Status seit einem Jahr. Fechten und Boxen öffneten zuletzt in vorauseilendem Gehorsam. Als großer Verband hat sich bislang nur der Leichtathletik-Weltverband World Athletics kategorisch gegen die Rückkehr ausgesprochen. (sid/ska)
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