Der Reitsport wird regelmäßig von Skandalen begleitet. Der jüngste trifft die Branche mit voller Wucht. So heftig, dass die olympische Zukunft möglicherweise wackelt. Mindestens aber werden tiefgreifende Änderungen nötig sein. Was sagen die Betroffenen? Wir haben nachgefragt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die deutsche Reit-Elite nahm kein Blatt vor den Mund. Jessica von Bredow-Werndl war deutlich anzusehen, wie sauer sie war. "Im ersten Moment waren wir alle in Schockstarre. Wir waren geschockt und dann eigentlich nur noch wütend", sagte die 38-Jährige der "Sportschau". Es richte ein wahnsinnig schlechtes Licht auf ihren Sport. "Es ist ein absolutes No-Go. Es ist scheiße."

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Auch Isabell Werth zeigte sich fassungslos. "Wir sind auf das Wohlbefinden und das Vertrauen der Pferde angewiesen. Wenn ich da reinreite und das Pferd ist gegen mich, habe ich keine Chance", sagte sie.

Es herrscht Wut im Lager der deutschen Reiter, vermischt mit jeder Menge Unverständnis, aber auch großer Sorge. Da half auch die umjubelte Goldmedaille von Vielseitigkeitsreiter Michael Jung am Montag nur wenig. Der Skandal um die mehrmalige Dressur-Olympiasiegerin Charlotte Dujardin hängt in Paris wie eine dunkle Wolke über den sonst so glamourösen Reit-Wettbewerben.

Der nächste Tiefschlag

Denn der Fall Dujardin ist der nächste Tiefschlag für einen Sport, der sowieso regelmäßig Skandale verkraften und erklären sowie um Verständnis für die eigene Existenz werben muss. Ob nun Barren beim Springen, die Rollkur bei der Dressur, tote Pferde bei der Vielseitigkeit oder generell Tierquälerei - immer wieder gibt es negative Fälle, tauchen Videos auf, die unerklärliches Fehlverhalten des Menschen zeigen. Und die den Verdacht schüren, dass es längst keine Einzelfälle mehr sind.

Dass Dujardin nun gesperrt wurde, nachdem sie ein Pferd mehrfach mit einer Peitsche geschlagen hatte, trifft den Reitsport doppelt. Denn sie galt als beste Botschafterin für eine artgerechte Haltung und Ausbildung von Pferden. Wenn sie Pferde schon so behandelt, wie schlimm ist es dann in der Breite, wie sieht das Dunkelfeld aus?

"Immer mehr Menschen erkennen, dass Pferde bei den Olympischen Spielen Zwangsteilnehmer sind. Dies entspricht nicht dem Geist der Olympischen Spiele. Deswegen halten wir einen Ausschluss sämtlicher Pferdesportdisziplinen bei den Olympischen Spielen in absehbarer Zeit für realistisch. Die Diskussion darüber hat längst begonnen", sagt Peter Höffken, Fachleiter bei der Tierschutzorganisation Peta, auf Anfrage unserer Redaktion. "Leider reagieren die Verantwortlichen nur auf massiven Druck."

Diskussion um Olympia-Aus des Reitsports wird forciert

In der Tat wird eine Diskussion forciert, die den Verantwortlichen des Reitsport-Weltverbandes FEI kaum gefallen wird: Kann beziehungsweise darf Reitsport noch olympisch sein?

Olympia "ist immer in Gefahr", sagt Jens Adolphsen, Vorsitzender des Ausschusses Vielseitigkeit im Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei (DOKR), im Gespräch mit unserer Redaktion. "Für das Internationale Olympische Komitee wäre es vielleicht stressfreier ohne Reitsport".

Man müsse sich ständig rechtfertigen, aber auch ständig verbessern, so Adolphsen: "Dass wir immer gefährdet sind, damit lebt man. Das ist aber aufgrund des Dauer-Reformismus so gewollt", sagt der 57-Jährige. Er glaubt: "Dass es ein Sport mit Tieren ist, ist vielleicht der Grund, warum wir olympisch bleiben. Vielleicht ist es aber auch das Problem, das uns irgendwann den Platz kosten wird."

Was die Vielseitigkeit im Speziellen angeht, habe man nach wie vor die Diskussion mit dem IOC, dass der Sport bei Olympia teurer ist als die anderen Reitdisziplinen. "Wir leben mit der Befürchtung, dass wir entweder irgendwann aus dem olympischen Programm fliegen oder wir so verändert werden, dass wir uns kaum noch wiedererkennen. Und das möchten wir natürlich nicht."

Transparenter Umgang – reicht das?

Dennis Peiler, Geschäftsführer Sport und des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei, formuliert es im Gespräch mit unserer Redaktion etwas defensiver. "Nicht jeder aufgedeckte Missstand bedeutet automatisch eine Gefährdung des Olympiastatus. Viel wichtiger ist, wie die zuständigen Verbände damit umgehen. Im konkreten Fall wurde transparent damit umgegangen und schnell reagiert", sagte er. Dujardin wurde für ein halbes Jahr gesperrt.

Es wird schnell reagiert, möglicherweise wird es auch noch eine härtere Strafe geben. Doch reicht das?

Zu den Akten legen kann man die Fälle der zurückliegenden Monate definitiv nicht. Alleine deshalb, weil Olympia für Sportarten wie Reiten durch die finanziellen Förderungen überlebenswichtig ist.

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"Fakt ist, dass der Verbleib im olympischen Programm für jede Sportart – wahrscheinlich außer Fußball – ganz entscheidend ist. Das gilt auch für uns", betont Peiler. "Der Pferdesport hat weltweit eine große Fangemeinde und erfreut sich großer Beliebtheit. So gehörten beispielsweise die Tickets für die olympischen Reitwettbewerbe in Paris zu denjenigen, die als erste ausverkauft waren", argumentiert er.

Wie andere Sportarten aber auch müsse sich der Pferdesport laufend weiterentwickeln, um für ein breites Publikum attraktiv zu bleiben, so Peiler: "Dies betrifft zum einen das Format, aber auch Kosten und Aufwand."

Pferdesport steht schon länger in der Kritik

Der Pferdesport habe immer mal wieder auf dem Prüfstand gestanden, sagt Peiler. "Der Weltreiterverband hat darauf immer sofort reagiert, indem zum Beispiel das Reglement verändert wurde. Und natürlich muss in Fällen, in denen Einzelne nachweislich gegen Regeln verstoßen, möglichst schnell reagiert werden."

In der Hinsicht ist aber noch Luft nach oben, findet Kerstin Gerhardt, Ausbilderin bei der Reiterlichen Vereinigung. Ihr Vorschlag: "Alle Pferde sperren, die in diesem Stall miteinander etwas zu tun haben, die in den Papieren von den gleichen Besitzern sind. Zwei Jahre lang, kein Turnier, sie dürfen nicht verkauft werden. Damit täten wir ihnen mal richtig weh."

Dressur-Bundestrainerin Monica Theodorescu verweist in der Diskussion auf unangemeldete Dopingkontrollen für Reiter und Pferd und dass es künftig auch unangemeldete Trainingskontrollen geben sollte. "Bisher ist das juristisch noch nicht machbar", sagt sie.

Es muss sich etwas ändern, damit Reiten olympisch bleiben kann

Klar ist aber, dass etwas passieren muss, wenn die Reiter olympisch bleiben wollen. Und diese Maßnahmen müssen glaubwürdig und nachhaltig sein.

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis der nächste Vorfall an die Öffentlichkeit kommt, wenn es keine grundlegenden Veränderungen im Reglement im Turniersport und in der Ausbildung gibt. Das Tierwohl muss ohne Wenn und Aber an erster Stelle stehen, um Vertrauen und Akzeptanz zurückzugewinnen.

Letztendlich hat das IOC die Entscheidungshoheit, welche Sportarten olympisch bleiben, "aus der Erfahrung anderer Sportarten wissen wir, dass diese zunächst die Chance bekommen, sich weiterzuentwickeln und dass das IOC nicht einfach Tatsachen schafft", sagt Peiler vom Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei.

Wie beim Modernen Fünfkampf, bei dem die Verantwortlichen deutlich zu spüren bekamen, dass Skandale den Olympia-Status gefährden. Bei den Spielen 2021 in Tokio hatte die Deutsche Annika Schleu (heute Zillekens) bei der Disziplin Springreiten das Pferd Saint Boy mit Gerte und Sporen vor einem Millionen-Publikum malträtiert.

In Paris wird deshalb zum letzten Mal geritten, ab 2028 wird stattdessen ein Hindernislauf im "Ninja Warrior"-Stil ausgetragen. Hätte es diese Änderung nicht gegeben, wäre der Moderne Fünfkampf aus dem Programm geflogen. Dass die Verantwortlichen im Reitsport in der momentanen Krise Stellung beziehen und Willen zur Veränderung zeigen, kann daher nur der erste Schritt sein.

Über die Gesprächspartner

  • Peter Höffken ist Fachleiter des Kampagnenteams bei PETA Deutschland. Er beschäftigt sich seit fast 13 Jahren professionell mit Tieren, die für Unterhaltungszwecke wie Pferderennen, Zirkusse oder Ponykarussells benutzt werden.
  • Dr. Dennis Peiler arbeitet seit 2004 bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Seit 2012 ist er Geschäftsführer Sport und des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei.
  • Dr. Jens Adolphsen ist Vorsitzender des DOKR-Ausschusses Vielseitigkeit. Daneben ist der 57-Jährige Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht, nationales und internationales Zivilverfahrensrecht und Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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