• Im ersten Teil des Jubiläums-"Tatort" geht es um die Machenschaften der kalabrischen Mafia in Deutschland.
  • Die Ermittler aus Dortmund und München arbeiten zusammen, aber widerstrebend.
  • Regie führt Dominik Graf, der für seine offenen Worte zum deutschen Fernsehen bekannt ist.

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Im ersten Teil des Jubiläums-"Tatort" geht es um die Machenschaften der kalabrischen Mafia in Deutschland. Die Ermittler aus Dortmund und München arbeiten zusammen, aber widerstrebend.

Regie führt Dominik Graf, der für seine offenen Worte zum deutschen Fernsehen bekannt ist. Wir liefern Hintergründe zu diesem gar nicht so friedlichen Familientreffen.

Was ist ein Crossover-"Tatort"?

Zum Charakter des "Tatort" gehört die regionale Verortung der einzelnen Teams. Unterschiedliche Ermittler ausnahmsweise aufeinandertreffen zu lassen, hat deshalb einen ganz besonderen Reiz, den ARD-Redakteur Frank Tönsmann mit dem Fußball vergleicht: "Man erlebt sozusagen eine Begegnung in Hin- und Rückspiel."

Die Folgen, in denen kooperiert wird, haben eine gewisse Jubiläums-Tradition: Zum 30. Geburtstag ermittelten die Kommissare Ehrlicher (Peter Sodann) und Kain (Bernd-Michael Lade) gemeinsam mit den Kölnern Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär) als "Quartett in Leipzig".

Für den 1.000. "Tatort" stiegen 2016 Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) aus Niedersachsen und Kommissar Klaus Borowski aus Kiel ins "Taxi nach Leipzig" – eine Anspielung auf den allerersten "Tatort" 1970, der ebenfalls "Taxi nach Leipzig" hieß.

Wieso arbeiten im Jubiläums-"Tatort" gerade diese zwei Teams zusammen?

Es macht Sinn, zwei Teams mit unterschiedlichen Charakteristik und unterschiedlichen Ermittlungsmethoden kontrastieren zu lassen.

Die Entscheidung für Dortmund und München habe dabei "vor allem mit der Bereitschaft der beiden Redaktionen zu tun, sich dieser besonderen Situation aussetzen zu wollen", so Frank Tönsmann.

Solche Ausnahme-Drehs, noch dazu mit einem renommierten Regisseur wie Dominik Graf sind aufwändig und teuer, das können nur größere ARD-Sendeanstalten wie der Bayerische Rundfunk oder der WDR schultern.

Was ist die 'Ndrangheta?

Die kalabrische 'Ndrangheta ist laut dem Bundeskriminalamt (BKA) die derzeit stärkste Mafiagruppe in Italien und Deutschland und nimmt eine dominante Stellung auf dem europäischen Kokainmarkt ein.

Die Herkunft des Namens ist nicht ganz geklärt. Er könnte aus dem griechisch-kalabrischen Dialekt stammen und geht vielleicht auf die griechischen Wörter für "Heldentum" und "Tugend" zurück.

Der Journalist Bernd Ulrich hat 2011 auf einer Fachtagung des BKA auf ihre tiefe Verwurzelung in der italienischen Stiefelspitze beschrieben: "Alle wichtigen Entscheidungen werden in den kleinen Bergdörfern oder Provinzstädten getroffen, wo die Ursprünge der 'Ndrangheta liegen. Ihre Stärke bezieht die 'Ndrangheta aus der Verschwiegenheit ihrer Mitglieder und deren absolutem Gehorsam. Dies wird in ihrer Ideologie mit den Begriffen Blut und Ehre überschrieben. Sie rekrutiert sich überwiegend aus Familienmitgliedern. Die 'Ndrangheta hat ein elitäres Weltbild und ist tief im katholischen Glauben verwurzelt. Sie ist konservativ und folglich eher politisch rechts verortet."

Hat der Fall ein reales Vorbild?

Nicht direkt. Ermittlungen gegen die Mafia sind selten Einzelgänge wie die von Kommissar Fabers Team in Dortmund: 2018 waren an einem internationalen Schlag gegen die 'Ndrangheta über 440 BKA-Mitarbeiter beteiligt, die vor allem in Bayern und Nordrhein-Westfalen 65 Objekte untersuchten.

2019 gab es gegen 179 Angehörige der 'Ndrangheta Verfahren vor allem wegen Rauschgifthandels.

Bernd Lange zeigte sich bei den Recherchen zu seinem Drehbuch beeindruckt: "Mit einem konservativ geschätzten Jahresumsatz von 60 Milliarden kann man die kalabrische Mafia als Unternehmen zum Beispiel mit Siemens vergleichen, und das komplett im Schatten und außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung."

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Ist Dominik Graf nicht ein Kritiker des "Tatort"?

Der 1952 geborene Münchner Regisseur gehört zu den besten und renommiertesten seines Fachs. Graf liebt amerikanische Genrefilme und die Polizeiserien der siebziger und achtziger Jahre, die subversiven Kraft gehabt hätten – "Krimi" dagegen, so der Regisseur im Interview mit der ARD zum Jubiläum, "klingt völlig uninteressant. Ich habe viele Polizeifilme gedreht, immer mit Begeisterung."

Die sollten "in einer auseinanderbrechenden Gesellschaft nicht die Funktion der Bestätigung des Etablierten einnehmen, sondern eher die subversive Antithese."

Der "Tatort" habe sich im Laufe der Zeit zu einem Gesellschaftsforum entwickelt, so Graf gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit": "Das hatte den Vorteil, dass relevante Themen angepackt wurden, heiße Eisen, die vorher jeder gemieden hatte." Aber es müsse vermieden werden, dass dabei "Themen- und Thesenfilme herauskommen", denn die, so Graf zur ARD, "sind immer in der Gefahr, leblos zu geraten".

Der "Zeit" verriet er auch, was er anders machen würde: "Wenn ich verantwortlich wäre, würde ich wesentlich wilderes Zeug in Auftrag geben. Ich würde Verwirrung stiften: Manchmal nicht mitkommen macht nichts, dranbleiben. Wird schon geklärt, und wenn nicht, war es auch spannend. Wir müssen doch die Welt reflektieren, in der wir gerade leben."

Welche "Tatorte" hat Dominik Graf noch gedreht?

"In der Familie" ist bereits Grafs fünfte Arbeit für die Reihe. Seinen ersten "Tatort" drehte er bereits 1984. "Schwarzes Wochenende" war ein Fall für die von Götz George gespielte "Tatort"-Legende Horst Schimanski und wurde erst 1986 gesendet – angeblich, weil man im WDR befürchtete, der etwas unkonventionellere "Tatort" würde die Zuschauer überfordern: Viel Zeit vergeht mit Verhören, und außerdem arbeitet Graf hier bereits mit einem Polizeifunk, der ständig im Hintergrund knarzt und inzwischen fast so etwas wie ein Markenzeichen des 1952 in München geborenen Regisseurs ist.

Die zweite "Tatort"-Folge Grafs ist inzwischen selbst Legende: "Frau Bu lacht" wurde 1995 zum 25. Jubiläum der Reihe ausgestrahlt und begeisterte die Kritiker, auch viele Fans zählen den Fall um Kindesmissbrauch und Heiratshandel mit thailändischen Frauen zu den besten "Tatorten" überhaupt. "Wir wollten ein schweres Thema, eine harte Realität mit Humor und Poesie erzählen", so Graf gegenüber der "Zeit": "So wie die Amerikaner das konnten. Und wir waren stolz darauf, wenn ein Fernsehfilm aussah wie Kino." Auch in "Frau Bu" waren übrigens Batic und Leitmayr die Ermittler.

Grafs letzter "Tatort" war 2017 "Der rote Schatten" für die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz und löste eine Kontroverse aus, als der Journalist und RAF-Experte Stefan Aust die Tatort-Episode als "RAF-Propaganda" verurteilte.

Auch bei fünf "Polizeiruf 110"-Folgen führte Graf übrigens Regie.

Was sagen die dienstältesten Kommissare zum Jubiläum?

Miroslav Nemec als Ivo Batic und Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr spielen seit 30 Jahren im "Tatort". Sie hatten von allen aktiven Kommissaren seit 1991 die meisten Einsätze (nämlich 85) und sind als Team am längsten dabei (nur Lena Odenthal ist eine dienstältere Kommissarin, Ulrike Folkerts begann sie 1989 zu spielen, mit wechselnden Partnern).

Der 66-jährige Miroslav Nemec hat seine Bekanntheit gegenüber der "Zeit" als "seltsam" beschrieben: "Ich gehe durch Deutschland spazieren wie durch eine Wohnstube, weil mich alle grüßen." Der Münchner "Tatort" ist meist grundsolide, aber Nemec findet, man müsse mit Experimenten vorsichtig sein: "Früher am Theater hieß es: Wenn es nur halb voll ist, haben wir was richtig gemacht. So eine überhebliche Kacke. Die Leute sollen doch mitgenommen werden, das gilt auch für den Tatort. Sonst wird es elitär."

Der 62-jährige Münchner Udo Wachtveitl hat auch etwas am "Tatort" auszusetzen: "Der Unterprivilegierte ist mit öder Regelmäßigkeit der bessere Mensch", klagte er gegenüber der "Zeit": "Ich glaube, da ist ein bisschen 1968er-Kitsch dabei. Diese Leute sind jetzt alle in den Redaktionen in den entsprechenden Positionen. Bei denen darf der hart arbeitende Ausländer unter den drei Verdächtigen sicher nicht der Täter sein."

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